Meersburg am Bodensee

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Bodensee, Juli 2014

Dolce Vita am Bodensee

Das süße Leben beginnt nicht erst jenseits der Alpen: schon in Meersburg und Immenstaad

Für so manchen Deutschen beginnt der Süden erst jenseits der Alpen, doch man kann südliche Gefilde auch schon in Deutschland finden. Man könnte einmal das Auto daheim stehen lassen, sich in den Zug setzen und nach Konstanz fahren, von dort mit dem Linienschiff oder der Fähre den Bodensee nordwärts überqueren: bis bei Meersburg die deutsche Südküste aufsteigt.

Wunderbar, wenn auf dem Dampfer oder der Fähre der Bodensee fast so wie ein Meer erscheint, unglaublich weit, und doch ringsum eingefasst von flachen Anstiegen oder gar Steilküsten;  dahinter folgen Hügelreihen der Voralpenlandschaften, bis auch erhabene, nackte Berggipfel aufragen. Das Wasser blinkt, Segelboote ziehen dahin. Mal sind die Berge im Dunst, mal treten sie bei Fön ekstatisch hervor. Vom Alltag ist bald nichts mehr zu spüren: Auch hier herrscht Dolce Vita.

Von Dietrich Krieger - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=3469562

Meersburg – Blick von der Ober- auf die Unterstadt und den Bodensee.
© Dietrich Krieger, Quelle, CC BY-SA 3.0

Meersburg erscheint vom Dampfer aus an einem rivieraartigen Steilhang mit Unter- und Oberstadt. Anziehungspunkt der Unterstadt ist Seepromenade. Jedes Schiff, jede Fähre bringt in der Saison hunderte von Besuchern an diese Flaniermeile am Wasser. Nachbarorte, die Meersburg um diese vielen Gäste beneiden, sprechen despektierlich von Massentourismus. Aber was heißt das schon?

Es macht auch Spaß, so viele Menschen hier zu sehen, im ständigen Kommen und Gehen. Ohnehin wirkt die Promenade gepflegt. Zugeschnittene Platanen mit kugelförmigen Laubkronen spenden Schatten; ein Lokal reiht sich ans andere, Eisdielen, Cafés, Restaurants; für jeden ist etwas dabei. Sonnenschirme und Markisen sind in der Regel hell und freundlich und ohne Werbung, nichts wirkt marktschreierisch. Es ist ein Boulevard für alle Bürger. Man sieht die neue Generation rüstiger Rentner, behelmt und ein Fahrrad vor sich her schiebend, daneben jüngere Leute, zuweilen in eleganter, maritimer Kleidung, mit Strohhut, Sonnenbrille, weißem Kleid.

Nicht jeder nutzt die Gelegenheit, auch die Oberstadt zu besuchen. Doch bezaubernd staffeln sich in der Steigstraße die Fachwerkhäuser hoch. Oben, am kleinen Marktplatz, springen die Dachlinien wie im Takt auf und ab, ganz so, als entstehe Musik. Neben dem bürgerlichen Bereich breitet sich der höfische Bezirk der einstigen Fürstbischöfe von Konstanz aus: mit mittelalterlicher Burg und barockem Schloss, für das Balthasar Neumann das prachtvolle Treppenhaus entworfen hat. Nicht weit davon entfernt, stößt man auf die altehrwürdige Winzerstube zum Becher, deren vertäfelte Einrichtung teilweise noch aus dem neunzehnten Jahrhundert stammt. Köstlich sind die Badische Schneckensuppe oder der Kalbskopf in körniger Senfsoße sowie der hauseigene Gutedel.

Geht der Besucher auf dem Steilhang östlich aus der Stadt hinaus, entdeckt er das Terrassenhotel Weißhaar: ein glänzend weißes Gebäude mit flachem, mediterran anmutendem Ziegelwalmdach, als sei es von Italien hierher verpflanzt worden. Im Wesentlichen erhielt das Haus sein Gepräge in den sechziger Jahren, und es wirkt nach wie vor gepflegt. Die Lage über dem See ist traumhaft, und die gastronomische Terrasse des Hauses gehört zu den schönsten, die man in Deutschland finden kann. In der Ferne ragt das Appenzeller Säntismassiv hoch und erinnert an den provenzalischen Bergzug Sainte-Victoire, wie ihn Cézanne gemalt hat. Man kann stundenlang dort sitzen, essen, trinken, plaudern und zuschauen, wie die Abendsonne das Säntismassiv auflodern lässt.

Just unterhalb des Weißhaar befindet sich das Hotel Residenz am See. Die Küche dieses Hauses gehört zu den besten der Gegend. Neben dem Gourmetrestaurant „Casala“ gibt es das Residenz-Restaurant mit feiner Regionalküche, Bodenseefischen, Reichenauer Gemüse, Obst. Küchenchef Markus Philippi ist für beide Restaurants zuständig und findet für die Gerichte eine glückliche Balance zwischen einem unverfälschten Stück auf dem Teller und dessen Umgarnung mit raffinierten Soßen und dergleichen. „Ich will“, sagt Philippi, „dass der Gast erkennen kann, was auf der Karte steht“. Ein Felchenfilet bleibt ein Felchenfilet, behutsam auf der Haut gebraten. Bezirzend sind der milde Eigengeschmack des Fisches und die Soße Beurre blanc, die frisch und vielschichtig schmeckt. Auch die vegetarische Küche kommt nicht zu kurz, Ravioli, gefüllt mit Allgäuer Bergkäse, umzogen von feinem Reichenauer Gemüsesud. Wer will, kann hier die Bodenseeregion schmecken.

Nur eine halbstündige Dampferfahrt von Meersburg entfernt, Richtung Lindau, liegt Immenstaad. Über einen Damm kommt man ins Dorf. Rechts ist der Yachthafen, an den sich das Hotel Seehof anschließt. Auf der Terrasse des Hauses fühlt man sich gleich wohl. Patron und Küchenchef Jürgen Hallerbach vertritt entschieden das Konzept einer regionalen Küche. Selbstverständlich gibt es auch hier frisch gefangene Bodenseefische, welche die Fischerfamilie Meichle aus Hagenau bringt: Felchen vor allem, aber gelegentlich auch Seesaibling, Seeforelle, Flussbarsch, Zander, Hecht. Das regionale Konzept beschränkt sich allerdings nicht nur auf die heimischen Süßwasserfische. Hinzu kommen ebenfalls Salat und Gemüse von der Insel Reichenau, Lamm aus Salem oder Rind aus dem Linzgau. Hallerbach erklärt: „Wenn die Lebensmittel aus der Region wirklich gut sind, dann nehmen wir sie. Aber man hat auch mal Lust auf Hummer.“ Der Regionalgedanke ist hier kein Dogma; er bürgt für erstklassige frische Waren, ohne sich ganz auf das Heimische einzuschränken.

Frei von großen Formspielereien erscheinen die Lammkoteletts mit Senfkruste auf dem Teller, umzogen von Pfifferlingen, grünen Bohnen, gelben Kartoffelknöpfen und braunem Jus. Die Zutaten präsentieren sich vorwiegend in den eigenen Farben und Formen, heiter und fröhlich. Die dicken Koteletts zeigen sich saftig und rosarot, die Pfifferlinge muten wie kleine Trompeten an. Dem Gast offenbart sich gleichsam Naturästhetik, die symbolisch vermittelt, dass Koch und Lieferanten schonend mit den natürlichen Gütern umgehen. Man fühlt sich entspannt, hat ein gutes Gewissen und genießt. Bezaubernd der Thymianduft des zarten Fleisches, betörend die federleicht gelierte, feinwürzige Soße, deren Fond zuvor zwei Tage sanft eingekocht wurde, wie Hallerbach verrät.

Obwohl Hallerbach als Koch in mehreren Häusern mit drei Michelin-Sternen gelernte hatte, wollte er in Immenstaad, wie er selbst erklärt, „kein Gourmetrestaurant mit fünf Tischen betreiben, sondern ein Gasthaus, das lebt“. Er fragte sich, als er daheim als Küchenchef begann – während Bruder Frank den Service übernahm –, was die Quintessenz der feinen Bodenseeküche oder alemannischen Küche sei, ähnlich wie der Risotto in der Po-Ebene. Es lief auf die Spätzle zu. Es ging für ihn nur noch darum, Spätzle als kulinarische Herausforderung zu begreifen und sie so gut wie möglich zu machen. Zuerst suchte er dafür nach den besten regionalen Zutaten. Es stieß früher oder später auf die traditionsreiche Stelzenmühle in Bad Wurzbach, die ihm ein etwas gröber gemahlenes Mehl aus Weizen und Dinkel liefert. Die Spätzle werden täglich frisch gemacht, in der Regel sogar zweimal. In den Teig kommen viele frisch aufgeschlagene Eier, so dass kein Wasser mehr nötig ist, um den Teig geschmeidig zu machen. In der Rührmaschine wird er gut geknetet, anschließend entweder vom Brett in sprudelndes Wasser geschabt oder in Form von Knöpfle gehobelt. Das Spätzlebrühwasser ist schließlich die Grundlage für die Käsesoße. Dafür werden nur große Käselaibe verwendet und in der Küche gerieben, vorwiegend aus der Region: Bergkäse aus dem Allgäu oder aus Vorarlberg sowie Appenzeller.

Der Gast sitzt auf der schattigen Terrasse vor dem Yachthafen und strahlt, wenn die nette Kellnerin die „Käsespätzle mit vielerlei Alpenkäse, Zwiebelschmelze und Blattsalaten“ auf den Tisch stellt. Die Teigware ist von wunderbar elastischer Konsistenz, voll von mildwürzigem Aroma; die Soße unterstreicht das Ganze mit kräftigeren Noten; köstlich das Sämig-Süße der Zwiebelschmelze. Über den Bodensee hinweg steigen die Appenzeller Berge auf. Das Gast jauchzt: Das gute Leben!

Erwin Seitz

www.echt-bodensee.de; www.terrassenhotel-meersburg.de; www.hotel-residenz-meersburg.com; www.winzerstube-zum-becher.de; www.seehof-hotel.de

Näheres über den Bodensee und seine beeindruckende gastliche Tradition in meinem Buch „Kunst der Gastlichkeit“, in den Kapiteln 10 „Erlesenes Menü“, 11 „Liebenswürdiger Gastgeber“ (darin über das Konstanzer Konzil und die Gastfreundlichkeit der Konstanzer Bürger), 13 „Arkadisches Landhaus“ (in der Schlusspassage über die Halbinsel Höri) und besonders im Kapitel 20 „Naturnahe Küche“. Link

siehe auch:

Bodensee, September 2014

Regelrecht mediterran

Auf der Halbinsel Höri am Untersee des Bodensee. Link