„Chef-Sache“ und „Chefdays“
Netzwerke kleinerer Lieferanten sind im Kommen
Die „Chef-Sache“ in Düsseldorf sowie die „Chefdays“ in Berlin wollen Plattform für die Avantgarde der Köche und Gastronomen sein. In guten Augenblicken gelingt das – trotz bisweilen nerviger Hipster-Attitüde.
Erstmals fand die Chef-Sache in diesem Jahr in Düsseldorf statt, weil der übliche Veranstaltungsort in Köln zu klein geworden war. Man zog um in die Alten Schmiedehallen im Areal Böhler: in eine ehemalige Industrieanlage aus Backstein und Stahlträgern, die genügend Platz bot. Wurden bislang hauptsächlich Köche angesprochen, so hat die Chef-Sache nun die Gastronomie insgesamt im Blick. Neben der gewohnten großen Kochbühne, vor der mehr als tausend Leute Platz nehmen konnten, gab es jetzt auch die „Masterclass-Bühne“ für weitere Kochvorführungen sowie die „School of Wine“ für Servicekräfte. Die Veranstaltung nannte sich deshalb nicht mehr „Köche-Symposium“, sondern „Gastronomie-Symposium“. Zu den Bühnen kam schließlich eine Art Markplatz dazu, wo Aussteller an unterschiedlichen Ständen ihre Waren zeigten: Lebensmittel, Porzellan, Küchengeräte und so fort.
Wie jedes Jahr präsentierten heimische wie internationale Küchenstars ihre neuesten Ideen und Gerichte auf der Bühne. Doch im Gegensatz zu früher richteten die Organisatoren, Thomas Ruhl und Carola Gerfer-Ruhl von Port Culinaire, ihr Augenmerk nicht mehr so sehr auf Drei- oder Zwei-Sterne-Köche. Es kamen auch Köche des Ein-Sterne- oder Bib-Niveaus zu Wort, weil dieses Segment unter dem Stichwort „Casual Fine Dining“ immer wichtiger wird. Die Chef-Sache denkt jetzt breiter, gastronomisch ganzheitlicher und schließt auch Sommeliers, Servicekräfte, Food Manager ein.
Noch bemerkenswerter war ein weiteres Phänomen. Einige Köche brachten ihre Bauern mit auf die Bühne oder erzählten ausführlich von dem Netzwerk an kleineren Lieferanten, das sie neuerdings auf regionaler Grundlage aufbauen. Fast alle Köche gingen auf dieses Thema ein – und es scheint die neue Haupttendenz der Kochkunst zu sein: nach lokalen oder regionalen Waren und Erzeugern zu suchen, die eine unverwechselbare Qualität bieten und zu kreativen Ideen anregen. Die Gerichte sollen mehr denn je ein Spiegelbild der Landschaft sein, in dessen Nähe der Gast gerade speist.
Der Koch ist nicht länger allein der Star, sondern auch die naturnahe Zutat und seine Erzeuger: der kleine Biobauer, der Gärtner, der Fischzüchter. Die Verbindung der Köche zur umgebenden Landschaft oder, umgekehrt, der unmittelbare Weg „from farm to table“ wird immer wichtiger. Je schneller sich die Welt dreht, je künstlicher sie erscheint, desto mehr wächst die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit, nach echten Lebensmitteln mit feinen Düften, Aromen, Geweben – vorbei an der Vereinheitlichung der Industrieware oder an den alten Mustern der Hochküche: Hummer und Co. Das entspricht sowohl der Romantik junger Köche als auch moderner Konsumenten.
Viel Zeit wurde so der jungen „Berliner Avantgarde“ auf der Hauptbühne eingeräumt, die sich selbst „Die Gemeinschaft“ nennt (www.die-gemeinschaft.net). Dazu gehören Patrons beziehungsweise Küchenchefs von vier Berliner Restaurants: Sebastian Frank und Jeannine Kessler vom „Horváth“ (zwei Sterne), Ivo Ebert und Andreas Rieger vom „Einsunternull“ (ein Stern); Micha Schäfer und Billy Wagner vom „Nobelhart & Schmutzig“ (ein Stern) sowie Spencer Christenson, Christoph Geyler und Dylan Watson vom „Ernst“. Sie hatten ein Manifest verfasst und trugen es in Düsseldorf vor.
Der erste Paragraph lautete: „Wir geben uns nicht mit dem Mittelmaß einer Lebensmittel- und Agrarindustrie zufrieden, die eine mittelmäßige Kulinarik und Esskultur mit sich bringt und unsere Märkte, Küchen und Restaurants mit mittelmäßigen Lebensmitteln überschwemmt.“ Einer ihrer Lieferanten, der Landwirt David Peacock vom „Erdhof Seewalde“ nördlich von Berlin, stellte seinen Hof als traditionellen Mischbetrieb vor: mit alten Rinderrassen, die Milch mit hohem Fettgehalt geben, Schweinen, Schafen, Hühnern mit Auslauf, Bienen, Gärtnerei (www.erdhof.de). Was vor ein paar Jahren bei der Chef-Sache ideologisch noch verpönt war, Milchprodukte wie Butter, Rahm, Sauerrahm, Buttermilch, Quark, Molke, Joghurt, steht jetzt hoch im Kurs, zumal wenn diese Produkte eben von kleinen bäuerlichen Bio-Betrieben aus Rohmilch mit hohem Fettgehalt hergestellt werden.
Vieles deutet darauf hin, dass sich derzeit ein Revival der „Arts and Craft“-Bewegung vollzieht, die schon Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in England aus der Taufe gehoben wurde, um sich mit Kunstverstand und Handwerk gegen die Nivellierungen der Industrie zu stemmen, nur dass man heute diese Idee nicht bloß auf Möbel und Architektur, sondern auch auf Koch- und Braukunst überträgt: mit dem Einsatz für eine bessere Warenqualität sowie eine schnörkellose Verarbeitung und Formgebung, schließlich ergänzt durch verbesserte Produktions- und Lebensumstände.
Vielleicht kommt diesen Idealen im Augenblick niemand näher als Esben Holmboe Bang vom Restaurant „Maaemo“ in Oslo (drei Sterne). Diesen Eindruck gewann man jedenfalls, als er die Bühne betrat und seine neuesten Gedanken und Kreationen vorstellte. Der Name des Restaurants ist schon Programm: Maaemo – Mutter Erde, mit Assoziationen von Land und Landwirtschaft. Es geht um unverfälschte Produkte, die mit Hilfe zeitgemäßer Kochkunst die Kultur des Landes spiegeln: die norwegische Tradition in Form von minimalistischen Gerichten. Kaum ein anderer Koch auf der Bühne wagte es zuvor, so puristisch zu kochen. Doch der Guide Michelin rückt dafür oder gerade dafür mittlerweile die Höchstauszeichnung heraus und deutet einen Paradigmenwechsel an.
Täglich liefert eine ganz bestimmte Kuh, namens Rosa, Milch und Milcherzeugnisse für dieses kleine Restaurant. Der Gast soll die Düfte und Aromen der Milch von ein- und derselben Kuh im Wechsel der Jahreszeiten genießen. Ein Paradeprodukt ist der Sauerrahm, aus dem beispielsweise hauchzarter Porridge gemacht wird, bedeckt mit brauner Butter, Pflaumen-Essig, Waldsauerklee und geriebenem Rentierherz (das vorher geräuchert und getrocknet wurde, um es wie Hartkäse reiben zu können). Das aktuelle Gericht reflektiert die Tradition des Landes: Milchiges, Säuerliches, Rauchiges.
Fast zeitgleich, nur ein paar Tage früher, fand in diesem Jahr erstmals in Deutschland das „Foodsymposium Chefdays“ statt – nicht am Rhein, sondern an der Havel in Berlin. Es war ähnlich strukturiert wie die „Chef-Sache“, mit einer Reihe von heimischen und internationalen Spitzenköchen auf der Bühne. Als Frontmann wurde ein Berliner Küchenstar aufgebaut: Tim Raue. Auf Fotos und Plakaten winkte er in machohaft-rockiger Geste die jungen Hipster-Köche heran. Tatsächlich sah man unter den Teilnehmern reihenweise jüngere Männer mit Vollbärten, Side- und Undercut-Frisuren, zusätzlich geschmückt mit Holzfällerhemden und oft gezückten Smartphones – Utensilien der Kreativität. Komisch nur, dass der Hipster mittlerweile auch schon zum Mainstream gehört.
Während auf der Bühne viele Köche, ähnlich wie in Düsseldorf, eine naturnahe, regionale wie saisonale Küche vertraten, um eine beruhigte, umweltschonende Kochkultur zu fördern, schien sich Raue nicht viel darum zu kümmern. Er blieb dem Asia-Trend treu – der jetzt auch schon langsam in die Jahre kommt. „Bei uns ist immer Sommer“, ließ er verlauten, „denn wir beziehen einen großen Teil unserer Waren aus Thailand und pflegen die Kochtechnik der kantonesischen Küche“.
Wegweisend dürften solche Aussagen in Europa nicht mehr sein. Raue betrieb ungeniert Kommerz, stellte sich als Botschafter der Metro vor und lobte die Lohberger Küchen, die er selbst bevorzuge. Er arbeitet an seinem Markenkern, dem flotten Mundwerk, nannte beispielsweise das Gewürz Galgant eine „fiese Sau“, da sich dessen Schärfe in den Gaumen einbeiße. Das war natürlich witzig gemeint, doch vom Spaß zur Sprachverrohrung ist es oft nur ein schmaler Grat.
Wer Raue etwas näher kennt, weiß, dass er eigentlich ungemein fein und kenntnisreich über das Kochen reden kann. Doch das war hier offenbar nicht gewollt. Er verkörperte mehr oder minder den „American Way of Life“, einen Typus, der es durch harte Arbeit vom Tellerwäscher zum Millionär bringt, jemanden, der sich als Jugendlicher vom Kreuzberger Gang-Milieu löste und ein gastronomisches Imperium schuf. Doch die Traumbilder des einundzwanzigsten Jahrhunderts sind womöglich von anderer Art. Nicht harter Wettbewerb, sondern Gemeinschaft dürfte die Devise sein. Gefordert sind schonende und nachhaltige Formen des Konsums und Zusammenlebens – Träume von grünem Wachstum.
Erwin Seitz
Erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ)