Urgetreide in der Küche: Einkorn, Emmer, Ur-Dinkel

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Juni 2021

Das Alte kann das Neue sein

Urgetreide in der Küche: Einkorn, Emmer, Ur-Dinkel

Überall hört man jetzt die Frage: Wie geht es weiter in der Gastonomie nach Corona? Oder: Verändert die Pandemie das Verhalten der Konsumenten? Müssen Köche umdenken? Müssen sie neue Konzepte entwickeln und die Gerichte anders aufbauen? So genau kann niemand diese Fragen beantworten. Doch einige Trends, die sich schon vor der Krise abgezeichnet hatten, werden sich wohl verstärken.

Die vergangenen Monate haben den Zeitgenossen auf die eigene Region verwiesen. Diese Aufmerksamkeit für die nähere Umgebung sitzt jetzt in den Köpfen – und vermutlich auch das Gefühl, dass das Leben in den letzten Jahren ein wenig überdreht war. Man stellt fest, dass es gar nicht so schwer ist, sich ein wenig einzuschränken und ein bisschen klüger zu werden. Der Zug zum Regionalen, zur Biodiversität und Nachhaltigkeit wird an Bedeutung gewinnen. Im Vordergrund steht nicht mehr das Artifizielle auf dem Teller, sondern kultivierte Leichtigkeit.

Bloß nicht mehr so viel Geschnippel, nicht mehr so viel Klein-Klein und Vielerlei und überflüssige Arbeit, sondern entzückende Einfachheit und Eleganz, bedacht auf das Wesentliche. Das Essen soll zuerst gesund sein und seine Herstellung die Umwelt schonen. Die Fleischportionen werden kleiner werden und von Tieren aus artgerechter Halung stammen, die pflanzlichen und veganen Gerichte werden zunehmen. Es geht mehr denn je um kurze Wege, Frische, Düfte, Aromata, Handwerk oder zumindest um halbhandwerkliche Prozesse und ökologisches Verständnis. Ebenso geht es um die Vermeidung von Abfall, „zero waste“. In ein paar Jahren wird die Kompostiermaschine in der Küche selbstverständlich sein.

Die feine, leichte, gesunde Küche wird sich anders zusammensetzen. Weniger tierisches Eiweiß, weniger Kohlenhydrate, mehr pflanzliches Eiweiß und Mineralstoffe. Im Blickpunkt stehen nicht mehr so sehr Fleisch, Fisch, Krustentiere, sondern Kräuter, grüner Salat, Gemüse, Früchte, Nüsse, Samen, Öle – sowie Getreide: nicht irgendeines, nicht unbedingt Weizen, der süße Dickmacker, sondern vermehrt verträglichere Sorten, die noch nicht überzüchtet sind, die etwas weniger Kohlenhydrate und dafür mehr pflanzliches Eiweiß enthalten, reichlich Mineralstoffe sowie das Zaubermittel Beta-Carotin, das auch in anderen gesunden Sachen wie Orange und Karotte steckt. Die Rede ist von Urgetreide: Einkorn, Emmer, Ur-Dinkel.

Edle Natürlichkeit: der Ur-Dinkel, noch ohne die Einkreuzung von Weizen
© Chiemgaukorn

Nicht ohne Eleganz und Würze: der Emmer

Bislang waren es vor allem Müller, Bäcker und Brauer, die das Getreide als Nahrungsmittel verarbeiteten. Im Wesentlichen erzeugte man Mehl, Brot und Bier. Lediglich Mehl kam in geringeren Mengen auch in die Küche. Insbesondere die schwäbischen Köche und Köchinnen entwickelten hierzulande eine Teigwarenküche: mit Flädle, Maultaschen, Spätzle oder Knöpfle. Doch manche Köche verwenden für all das mittlerweile statt des Weizens lieber Dinkel, Emmer, Einkorn oder Mischungen aus Weizen, Dinkel, Einkorn, Emmer: erstens weil es gesünder und bekömmlicher ist; zweitens weil es aromatischer und würziger schmeckt (besonders Emmer); drittens weil es die Biodiversität befördert und viertens weil es ein Gefühl von „long ago“, Romantik hervorruft.

Das Spelzgetreide – sprich Einkorn, Emmer, Ur-Dinkel – gehört zu den ältesten Lebensmitteln, die der Mensch züchtete, vor rund zehntausend Jahren im Vorderen Orient. Und schon vor rund siebeneinhalbtausend Jahren wurden diese Getreidearten, wie die Archäologen nachweisen, bereits im heutigen Deutschland angebaut. Das landwirtschaftlich geprägte Kochen, Backen und Brauen begann in heimischen Gefilden mit diesen Getreidesorten, hinzu kamen Hirse und Gerste. Erst nach und nach übernahmen Weizen, Roggen und Hafer die Hauptrolle, weil sie ertragreicher waren. Doch das Spelz- und Urgetreide, Einkorn, Emmer, Ur-Dinkel, überlebte in Nischen. Es ist bis heute nicht überzüchtet und robust. Die Spelze schützt das Korn vor Umwelteinflüssen. Deshalb eignet sich Urgetreide besten für den Bioanbau ohne Schutzgifte.

Doch es geht längst nicht nur um das Mehl von Urgetreide für die Küche, es geht auch um das Korn selbst, um daraus Getreide-Risotto zu machen, am besten von Perl-Getreide, das leicht angeschliffen wird und idealerweise nur vierzig Prozent der Schale verliert, damit es in erhitzter Flüssigkeit in rund zwanzig Minuten gar wird und über einen elastischen Biss verfügt. Indem nur ein Teil der Schale entfernt wird, soll der Effekt der Vollwertkost so weit wie möglich erhalten bleiben. Ein Biobetrieb wie „Chiemgaukorn“ im oberbayerischen Trostberg wurde zum Pionier. Schon vor Jahren hatte man sich hier entschieden, Urgetreide zu produzieren: nicht für den Bäcker, sondern für Koch und Köchin.

Alles bleibt dort in einer Hand, der Anbau des Korns und die Bearbeitung in der Mühle. Es gibt Perl-Einkorn, Perl-Emmer, Perl-Dinkel oder den geperlten „Urgetreide-Mix“. Man spricht auch vom „Bayerischen Reis“, weil sich das urwüchsige Perl-Getreibe eben ausgezeichnet für unkomplizierte Risotto-Zubereitung eignet. Man gibt Perl-Korn und Wasser im Verhältnis 1:2 in den Topf, salzt das Ganze, verschließt den Topf, bringt ihn zum Kochen, reduziert die Hitze und lässt das Perl-Korn zwanzig Minuten köcheln, bis die Flüssigkeit größtenteils aufgesogen ist. Am Schluss rührt man etwas Butter und gerieben Käse ein, nicht den immer und ewigen Parmesan, sondern Bergkäse aus der heimischen Region, aus dem Allgäu oder aus Tirol.

Das ist das Praktische, dass das leicht geperlte Urkorn über so viel eigenen Geschmack verfügt, dass man es schlicht in Wasser sieden kann – anschließlend genügen Butter und Käse als Verfeinerungsmittel. Natürlich kann man für das Sieden auch eine Brühe verwenden, um dem Geschmack einen besonderen Akzent zu geben. Und selbstverständlich lässt sich ein solcher Risotto weiter anreichern: wahlweise mit Kräutern, Pilzen, Gemüse, Früchten, Nüssen, Samen, Ölen, etwas Fleisch, Fisch oder Kurstentier. Ebenso praktisch: Man braucht zum Servieren nur einen Teller: einen schalenartigen Teller oder die Bowl. Auch dieses Geschirr liegt im Trend: wirkt unkompliziert, urzeitlich, „long ago“, romantisch.

Eine solche Bowl mit Urkorn macht sich auch im Hotel gut. Das traditionsreiche „Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski München“ folgt dem Motto: „Young Bavarian Cuisine“, die, nach eigenen Worten, „regionale, nachhaltige und erstklassige Produkte“ verarbeitet. Das gilt dort sowohl für die „Schwarzreiter Tagesbar“ als auch für das „Schwarzreiter Restaurant“ (ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern). Hannes Reckziegel ist als Küchenchef für beide Lokale verantwortlich und erklärt, dass die Urkörner da wie dort regelmäßig zum Zug kommen. In der Tagesbar sei der Risotto von Urgetreide regelrecht zum Signature Dish geworden, aktuell mit Lachsforelle, Kräutern, Ochsenherztomaten, Fenchel, Ricotta-Creme und Krustentierfond. Eine solche Bowl mit Urkorn-Risotto und anderen heimischen Erzeugnissen dürfte bald auch andernorts von sich reden machen.

Erwin Seitz

Risotto von Urgetreide – mit Lachsforelle, Kräutern, Ochsenherztomaten, Fenchel, Ricotta-Creme und Krustentierfond, Komposition von Hannes Reckziegel, Küchenchef in der Tagebars und im Restaurant „Schwarzreiter“, Hotel Vier Jahreszeiten Kempinski, München

Adressen:

www.chiemgaukorn.de

https://www.kempinski.com/de/muenchen/hotel-vier-jahreszeiten/