Weintrends, April 2016
Blick zurück nach vorn
Winzer entdecken alte Rebsorten, uralte An- und Ausbaumethoden und sprechen vom Naturwein
Der Zug zum Ursprünglichen, Naturnahen, Altertümlichen ist in Küche wie Keller gleichermaßen aktuell. So wie Gärtner und Köche alte Gemüsesorten wieder entdecken, so schauen sich auch Winzer und Sommeliers nach vergessenen Rebsorten um und interessieren sich für althergebrachte Herstellungsverfahren. „Long ago“ liegt in der Gastronomie im Trend.
Gerade in Metropolen wie Berlin lassen führende Weinhandlungen, wie Wein & Glas Compagnie oder Viniculture, sowie angesagte Weinbars, wie Cordobar, Maxim oder Mauerwinzer, diese Entwicklung erkennen: die Lust auf alte Rebsorten, auf den Anbau im gemischten Satz oder den Ausbau in Amphoren, das Faible für handwerklich hergestellte Weine: biodynamische Naturweine.
Was aber sind hierzulande alte Rebsorten? Hildegard von Bingen kannte in ihrer „Physica“, die um 1150 entstand, zwei Hauptsorten: den „Fränkischen“, wohl Wein von westfränkisch-französischen Reben, der „kräftig“ sei – sowie Wein aus hunnisch-ungarischen Reben, lateinisch „hunonicum vinum“, wohl Weine in der die Heunischrebe enthalten war, der „wässriger“ anmute.
Ähnlich verhielt es sich auch noch rund dreihundert Jahre später, bloß dass sich jetzt eine neue edle Rebsorte dazwischenschob: der Riesling. Erstmals 1435 in einer Urkunde der Grafen von Katzenelnbogen erwähnt, hieß es dann 1453, in einem Dokument des Klosters Marienhausen bei Rüdesheim: In den Weinbergen in Oberdiebach gäbe es „frentsche, rueßelinge, huntsche“ Reben, dazu „roit“, rote Reben, darunter vermutlich schon Spätburgunder. Auch er war jetzt im Rheingau unter dem Namen „Clebroit“ bekannt, so 1470 im Schröter-Bruderschafts-Buch in Hattenheim.
Darüber hinaus wusste man damals bereits, was ein Traminer ist. Auf einer Pilgerreise notierte Felix Faber, als er durch Südtirol kam, 1483 in seinem Tagebuch: „Der bedeutendste Ort heißt Tramingum (Tramin); (…) um ihn gedeihen feine Weine, welche man nach Schwaben ausführt und nach dem Ort Traminger (Traminer) nennt.“ Ausgeführt wurden nicht nur die Weine, sondern auch die Reben, und Schwaben umfasste damals auch die Weinbaugebiete am Oberrheingraben. Hieronymus Bock berichtet 1551 in seiner „Teutschen Speißkammer“, dass an der pfälzischen Hardt, „zur Newenstatt und Deidesheim“, auch schon Muskateller und der „edle“ rote Gänsfüßfler angepflanzt wurden.
Zur ältesten Schicht der heimischen Rebsorten gehören jedenfalls der Heunisch und der Traminer. Aus genetischen Untersuchungen geht hervor, dass im Riesling neben einer Ur-Rebe des Rhein-Mosel-Gebiets auch Heunisch und Traminer stecken. Was aber verbarg sich einst hinter der Bezeichnung „frentsche“ Reben? Vermutlich westfränkisch-französische Sorten, darunter der Orleans. Der Winzer Bernhard Breuer vom Weingut Georg Breuer in Rüdesheim stöberte vor rund fünfzehn Jahren in alten Weinbergkarten herum und entdeckte, dass sich innerhalb der berühmten Lage Rüdesheimer Berg Schlossberg früher ein Gewann „Berg Orleans“ befand.
Tatsächlich entdeckte er in verwilderten hohen Steillagen in Rüdesheim noch ein paar Rebstöcke, die sich als Orleans klassifizieren ließen, kultivierte daraus junge Reben und pflanzte damit wieder ein Areal im Berg Schlossberg an. Seine Tochter Teresa führt heute dieses Erbe fort und stellt auch wieder geringe Mengen an Heunisch her, einfach aus Neugierde. Ihr Heunisch schmeckt aber keineswegs wässrig, sondern köstlich: mild und frisch; begleitet bestens Gemüsegerichte.
Dennoch meint Teresa Breuer: „Es machte schon Sinn, im Laufe der Zeit den komplexeren Riesling vorzuziehen, der wohl seine gute Säure vom Heunisch und sein feines Aroma vom Traminer geerbte hat.“ Man möchte allerdings hinzufügen, dass der zurückhaltende feine Orleans ebenso wie der Heunisch vorzüglich pflanzlich-vegetarische Gerichte begleiten; ohnehin sind es Weine mit verhältnismäßig wenig Alkohol; sie wirken leicht und bekömmlich, ohne die Speisen zu übertünchen. Vielleicht ist bei Breuer der Heunisch sogar noch um einen Tick besser als der Orleans.
Obwohl sich schon für das fünfzehnte Jahrhundert da und dort belegen lässt, dass Riesling und Spätburgunder hierzulande sortenrein angepflanzt wurden, blieb die Regel bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein der Anbau im Gemischten Satz. Unterschiedliche Rebsorten wurden im Weinberg nebeneinander gesetzt, zur selben Zeit geerntet und gemaischt, in der Hoffnung, dass immer ein guter, komplexer Querschnitt entsteht. Das fränkische Weingut Bickel-Stumpf in Frickenhausen hat vor ein paar Jahren wieder ein Areal mit Fränkischem Gemischtem Satz angebaut, beraten von Josef Engelhardt von der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim, der in uralten verwilderten Weingärten den traditionellen Fränkischen Gemischten Satz erforschte: mit Silvaner, Riesling, Gewürztraminer, Gelben Muskateller, Goldmuskateller, Weißem und Rotem Gutedel, Weißem und Rotem Elbling. Auch das Weingut Juliusspital in Würzburg oder das Weingut Störrlein Kering bieten den Fränkischen Gemischten Satz wieder an.
Der Begriff des Naturweins ist weniger klar definiert. Idealerweise sollte es sich um ein biodynamisches Weingut handeln, das die landwirtschaftliche Lehre von Rudolf Stein beachtet und die technischen Möglichkeit minimiert, das heißt, so schonend wie möglich die Natur des Weinbergs pflegt und den Rebensaft im Keller so sanft wie möglich behandelt: möglichst spontan vergoren, ohne Reinzuchthefen, nicht geschwefelt und nicht gefiltert. Das biodynamische Weingut Peter Jakob Kühn im Rheingau nähert sich diesem Ideal an, ohne seinerseits den Begriff des Naturweins an die große Glocke zu hängen. Als VDP-Weingut hat man es nicht nötig, mit modischen Begriffen auf sich aufmerksam zu machen. Man will flexibel bleiben, eigene Erfahrungen einbringen, auch geringe Schwefelmengen einsetzen, um jene Wein zu erzeugen, die der Winzerfamilie am besten schmecken.
Eine besondere Variante des Naturweins ist die Vergärung und der Ausbau des Weins in Amphoren aus Ton. Diese uralte Verfahrensweise hat sich in Georgien da und dort erhalten und wird nun auch im deutschsprachigen Raum eingeführt. Das biodynamische Weingut Bernhard Ott im Wagram in Österreich bietet seit ein paar Jahren einen solchen Wein aus Grünem Veltliner an. Die Trauben werden lediglich gerebelt, kommen so in die Amphoren, die in der Erde vergraben werden, und bleiben dort ohne Eingriffe des Winzers ein halbes Jahr auf der Maische. Natürlicher geht es nicht. Dieser Wein heißt bei Ott Qvevre, so wie die Amphore in Georgien heißt. Das Ergebnis ist wirklich außerordentlich, von makelloser Reinheit, sofern die Kühlkette vom Weingut über den Weinhändler zum Sommelier nicht unterbrochen wird. Seit dem Jahrgang 2013 gibt Ott vor dem Abfüllen geringe Schwefelmengen dazu, um den Wein stabiler zu machen. In Deutschland experimentiert auch das Weingut Peter Jakob Kühn oder das Weingut Rebholz mit der Amphore.
ERWIN SEITZ
zuerst erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ)