Nordseeinsel Juist

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Juist, Oktober 2016

Magische Momente

Auf der Nordseeinsel Juist begegnet man urtümlicher Natur und einem anderen Zeitmaß

Juist macht Umstände, schon der Weg dorthin. Eigentlich ist man das nicht mehr gewohnt, dass den Sehnsüchten irgendetwas in die Quere kommt. In der elektronisch hergestellten Wirklichkeit geht alles blitzschnell und mühelos. Nun sitzt man aber in der Regionalbahn und fährt auf den Hafen Norddeich Mole zu. Schiffe fahren von hieraus regelmäßig ab, allerdings nicht nach Juist, sondern nach Norderney. Die Fahrrinne nach Juist ist so flach, dass nur einmal am Tag bei Flut eine Fähre zwischen Norddeich und Juist verkehren kann. Obwohl die Entfernung nur acht Kilometer beträgt, dauert die Fahrt eineinhalb Stunden, weil der Kurs einer Zickzacklinie folgt.

Wer nach Juist reist, lässt sich auf ein gewisses Abenteuer ein: auf die Begegnung mit urtümlicher Natur, auf die elementaren Kräfte des Wattenmeers, die ein eigenes Zeitmaß haben. Zu Beginn der Überfahrt schaut der eine oder andere Gast noch auf sein Smartphone, doch langsam erblasst die elektronische Realität gegenüber der natürlichen Wirklichkeit, gerade weil diese noch reizvolle Urelemente bietet: Wasser, Wellen, Wind, Wolken, eine frische Brise. Die Smartphones blieben in den Taschen, der Zeittakt stellt sich um, man kommt herunter.

Am Hafen in Juist angekommen, erlebt man die nächste Eigentümlichkeit. Es ist betörend still und entspannt auf der Insel. Es gibt keine Autos, nicht einmal die Einheimischen dürfen ein solches benutzen. Die Koffer der Gäste werden von Gepäckträgern zum Hotel oder zur Ferienwohnung gebracht, per Fahrrad mit Anhänger. Die meisten Gäste gehen zu Fuß zu ihrer Bleibe, einige steigen in eine Pferdekutsche ein. Der andere Zeittakt setzt sich fort.

Aus der Vogelperspektive könnte man meinen, die Insel biete nicht viel; sie sei doch nur ein Strich, längsgestreckt und grün wie eine Kiefernadel. Tatsächlich hat sie bei siebenzehn Kilometern Länge nur fünf- bis achthundert Meter an Breite. Vom Süden her, vom Watt aus gesehen, steigen zunächst Salzwiesen auf, dann erhebt sich ein flacher Deich und dahinter sind schon die Häuser des Inseldorfes, die teilweise in den Dünenwall hineingebaut sind. Es gibt kein Ackerland, nur Salzwiesen und Dünen, und hinter diesen erstreckt sich nach Norden hin der Strand.

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Juist aus dem Weltraum

Obwohl die Insel so schmal ist, hat man dennoch, sobald man auf den Stand kommt, den Eindruck, dass es nirgendwo auf der Welt mehr Platz gibt als hier. Berauschend, dass sich der feinsandige Strand ohne Unterbrechung in einer Länge von siebzehnt Kilometern erstreckt und zugleich weit ins Meer hinaus dehnt, gerade bei Ebbe. Es ist, als betrete man einen Festplatz der Natur. Bezirzend, gleich einmal Schuhe und Strümpfe auszuziehen, die Hose hoch zu stülpen und an der Brandung entlang zu laufen: nichts als samtiger Sand, Wellenrauschen, Wolkenspiel, Sonnenglanz. Man vergisst sich selbst und fühlt sich erleichtert. Ähnlich wohltuend dürft buddhistisches Nirwana anmuten.

Juist: Strand im Winter© Arne Hückelheim, Quelle, Lizenz

Juist: Strand im Winter
© Arne Hückelheim, Quelle, Lizenz

Vom Strand aus sieht man auf den Dünen das Weiße Schloss thronen, eine Art Zauberschloss, errichtet 1898 als Hotel im Stil der Wilhelminischen Bäderarchitektur und Belle Époque, heute „Strandhotel Kurhaus Juist“ genannt, mit eigenem Seewasserbrunnen und Spa-Bereich. Eine lange hohe Haustreppe führt feierlich zum Empfang, rechts geht es in den Weißen Saal, der als Restaurant und Festsaal dient. Besonders schön sitzt man in der vorgelagerten ehemaligen Wandelhalle, mit Blick auf Dünen und Strand. Glanz und Grandeuer des Strandes wiederholen sich hier, ja werden regelrecht noch gesteigert durch vergoldete Kronleuchter mit Anklängen an Versailles.

Küchenchefin Maria Mäurer bietet sowohl eine gehobene regionale Küche als auch Fine Dining, indem sich der Gast für die Carte blanche entscheiden kann und überrascht wird. Betörend sind hier Brühen, Suppen und Soßen, und man sollte die Soßen ruhig nachbestellen. Hoteldirektorin Carmen Lein geht zu jedem Tisch, plaudert mit den Gästen und übernimmt die Rolle der charmanten Gastgeberin. Den Gästen selbst geht es in dem ehrwürdigen Haus nicht ums Schaulaufen, nicht um Angeberei; man will einfach eine gute Zeit haben und mal in den Tag hinein leben.

Nicht weit vom Weißen Schloss entfernt entdeckt man, noch etwas höher gelegen, das Café-Restaurant „Hohe Düne“. Vor den verglasten Gasträumen befinden sich Terrassendecks und eine Schirmbar; fast von überall aus sieht der Gast die Dünen und das Meer. Schöner kann man gastronomischer kaum sitzen; die Möbel wirken gepflegt, der Service ist nett und die Küche gut, unbedingt probieren sollte man die Suppe mit Krabben aus dem Meer, auf das man schaut.

Erwin Seitz

www.strandhotel-kurhaus-juist.com; www.juist-gastronomie.de/hohe-duene; www.juist.de