Juli 2019
Duft der Schorfheide an die Torstraße
Andy Saul ist im Restaurant „Bandol sur mer“ an der Torstraße in Berlin-Mitte seit 2018 sowohl Patron als auch Küchenchef und bietet eine modern-deutsche Hochküche mit bezaubernd regionalem Einschlag.
Welch wunderbarer Boom an guten Restaurants in Berlin in den letzten zwei Jahrzehnten. So etwas hat es an Spree und Panke noch nie gegeben. Die berühmten Goldenen Zwanziger waren ja auf Tanz und Varieté erpicht. Nun entpuppt sich die deutsche Kapitale als Food-Metropole von europäischem Rang. Nicht so einfach für das einzelne Restaurant, das nicht gerade brandneu ist, von sich reden zu machen. Das „Bandol sur mer“ gibt es schon seit über zehn Jahren, ein ziemliches Alter für ein feines Restaurant im heutigen Berlin.
Die Beständigkeit des Lokals spricht aber dafür, wieder einmal vorbeizuschauen. Es hat sich in mancher Hinsicht gewandelt und ist nun anderes als früher – wohl besser denn je. Andy Saul fing dort 2010 zunächst als Aushilfskoch an, weil er aus familiären Gründen eine Zeitlang kürzertreten wollte. Doch er hatte zuvor eine sehr gute Ausbildung genossen. Er arbeitete mehrere Jahre unter Küchenchef Marco Müller im „Rutz“ in Berlin-Mitte und stieg dort just in jener Zeit zum Souschef auf, als das „Rutz“ den ersten Michelin-Stern erhielt.
Saul ist ein waschechter Berliner, wuchs in den achtziger Jahren in Prenzlauer Berg auf, wo er auch heute noch wohnt. Als er einst vom „Rutz“ aus täglich über die Torstraße mit dem Rad nach Hause fuhr, war die heutige gastronomische Meile nachts noch ziemlich dunkel. Das „Bandol sur mer“ gehörte jedoch zu den ersten Lichtpunkten dort. Es wurde als französisches Bistro gegründet, worauf der Name des Lokals hinweisen sollte. Doch die Betreiber waren damals schon Deutsche. Lediglich der Innenarchitekt, Fred Rubin, hatte französische Wurzeln. Er verlieh dem „Bandol“ eine gewisse existentialistische Anmutung. Die Wände wurden mannshoch mit schwarzer Tafelfarbe gestrichen, auf die bis heute mit weißer Kreide das Menü geschrieben wird. Weiter oben hängen kleinere Küchenschränke, die aus dem Zentralkomitee der DDR stammen. Das sieht alles ein wenig „rough“ aus, passend zur Torstraße.
Saul wurde rasch Küchenchef im „Bandol“ und veränderte langsam den Küchenstil. Inspiriert vom Gedanken der Nachhaltigkeit, von kurzen Kreisläufen, Frische, Saison, richtete er sein Augenmerk mehr und mehr auf Zutaten aus der Nähe, aus der Mark Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, ohne sich ausschließlich darauf zu beschränken. Es durfte und darf auch Mal eine rote Meerbarbe aus Frankreich sein.
Französisch blieb auf jeden Fall das hohe handwerkliche Verständnis des Kochens, der Hang zu besten Produkten, die Genauigkeit in der Verarbeitung und die Liebe zur Soße, in der Butter als Geschmacksträger nicht fehlen darf. 2016 wurde das „Bandol“ erstmals mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, und seit 2018 ist Saul sowohl Patron als auch Küchenchef. Das Lokal ist somit ein inhabergeführtes kleines Restaurant mit offener Küche. Der Gast sieht den Chef bei der Arbeit – und er kommt gelegentlich auch an den Tisch. Es geht familiär zu.
Der neue Restaurantchef und Sommelier Alexander Seiser tritt nicht gravitätisch als Maître auf, sondern als freundlicher Kellner, der unaufdringlich und elegant Speisen und Getränke serviert. Wenn es sommers heiß wird und die Gäste auf der kleinen Terrasse vor dem Haus bedient werden, trägt er auch mal eine kurze Hose und bunt karierte Socken. Im „Bandol sur mer“ zeigt sich die aktuelle Berliner Hochgastronomie von ihrer besten Seite: ungezwungen-elegant, werktagstauglich und dennoch raffiniert, jederzeit in der Lage, für außergewöhnliche Momente zu sorgen.
Saul verlässt sich bei der Bestellung der Waren nicht einfach auf Großhändler, er hat sich selbst ein kleines Netz an regionalen Erzeugern und Lieferanten geschaffen. So serviert er einen vegetarischen Gang mit Karotte, eingelegten Hopfensprossen, Steinpilz-Mayonnaise und Deichkäse-Soße. Die Karotte stammt von der namhaften Biogärtnerin Grete Peschken aus Mecklenburg, die für den Gemüseanbau eigenes Saatgut verwendet, das noch nicht überzüchtet ist. Man schmeckt es: Die Karotte als wahre Delikatesse.
Wenn der Gast mit dem Löffel durch das Gericht sticht, sieht er die einzelnen Schichten: ganz unter das pulverisierte Grün der Karotte, dann die rot-orange Karottencreme, darauf ein gemächlich gebratenes Karottenstück, leicht eingeschrumpelt und verdichtet im Geschmack, außen mit Röstnoten, innen cremig und weich, von feiner Süße und Erdigkeit, dazu die Steinpilz-Mayonnaise mit verführerischer Morbidezza, die süßsauer eingelegten Hopfensprossen sowie roh marinierte Karottenscheiben, schließlich die vom Kellner angegossene Deichkäse-Soße, die durch eine Schuss Kirschwasser an Spiel gewinnt. Es ist, als werde man von Schicht zu Schicht in die aromatische Tiefe gezogen.
Reh bezieht Saul von dem Jäger Jörn Korte aus der Schorfheide nördlich von Berlin. Selten, dass man so gutes Reh isst, wie im „Bandol sur mer“, so zart und mineralisch, fein nach Waldwürze schmeckend, dazu eine umwerfend gute Soße – Rehjus mit Cassislikör und Limettensaft, aufgeschlagen mit Fichtennadelbutter, voll von geschmacklicher Fülle und doch so frisch und fruchtig. Es ist, als rücke die duftende Schorfheide an die Torstraße.
Gelegentlich wird am Montagabend das Menü unter das Motto „Bandol goes wild“ gestellt. Dann wird beispielsweise Jahrgangschampagner in die Gläser eingeschenkt. Er stammt nicht von sattsam bekannten großen Champagnerhäusern, sondern von kleinen, individuellen Familienbetrieben, ausgesucht und präsentiert von der Weinhändlerin Alexandera Durin-Hepke von „Champagne & Compagnie“ in Berlin-Wilmerdorf. Prachtvoll, zur Karotte aus Mecklenburg einen 2006er Millésime Chardonnay Grand Cru Brut von Corbon in Avize zu trinken, einen Champagner von großer Fülle, mit Aromen von Hefe, Rauch und Nuss – oder zum Reh einen 2011er R. Lejeune Pinot Noir Premier Cru Brut von Lejeune-Dirvang in Tauxières-Mutry: trocken, frisch, klar, würzig, betörend harmonisch. Der Gast sitzt auf der kleinen, weiß eingedeckten Terrasse, seitlich von Efeu geschmückt, wie auf einer kleinen Insel, vor ihm die Passanten und Autos der Torstraße, im Kopf schwirren Schorfheide und Champagne herum. Das hat etwas Verrücktes und unverschämt Zauberhaftes an sich.
Erwin Seitz
Bandol sur mer, Torstraße 161, Berlin-Mitte
Champagne & Companie, Nassauische Straße 24, Berlin-Wilmersdorf