Die Gemeinschaft: Symposium 2019

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September 2019

Ein Anflug von Aufbruchsstimmung

Das Symposium, welches „Die Gemeinschaft“ mit Sitz in Berlin, kürzlich auf Gut Kerkow in Brandenburg veranstaltete, suchte nach neuen Wegen für eine verbesserte Lebensmittel- und Esskultur jenseits industrieller Standardisierung

Gastronomische Symposien sind an sich nichts Neues. Seit über zehn Jahren kennt man zum Beispiel die „Chef-Sache“, die in Düsseldorf stattfindet und die besten Köche aus Deutschland und der Welt versammelt, um kreatives Kochen vor Augen zu führen. Seit einiger Zeit gibt es auch die „Chef-Days“ in Berlin, die mehr oder minder dasselbe machen. Jetzt kommt allerdings ein Format hinzu, das einen anderen Ansatz wählt und tatsächlich Neues bietet: das „Symposium der Gemeinschaft“, welches auf Gut Kerkow in Brandenburg stattfand.

Schon die Wahl des Ortes war bewusst anders: nicht in der großen Stadt oder in der Metropole, sondern auf dem Land, weit draußen, dort, wo die Grundlagen der Kochkunst geschaffen werden. Man wollte nicht den zweiten Schritt vor dem ersten tun, sondern dort hingehen, wo kulinarische Kreativität beginnt, bei der Erzeugung von Lebensmitteln. Es ging vordergründig also nicht um kreatives Kochen, sondern um das, was gutes Kochen erst ermöglicht: die Schaffung einer heimischen landwirtschaftlichen Produktkultur von neuer Güte – und das hieß: um eine verbesserte Beziehung zwischen Bauer, Gärtner, Koch und Gastronom.

Im kleineren Rahm hatte es im letzten Jahr schon eine Vorveranstaltung dieser Art gegeben, quasi einen Probelauf. In diesem Jahr machte man etwas mehr Werbung und zog das Symposium größer auf. Obwohl Gut Kerkow in der tiefen Provinz liegt, kamen mehr Besucher als gedacht, über dreihundert Teilnehmer: aus Berlin, Brandenburg und allen Teilen Deutschlands – und es wären gern noch mehr gekommen, wenn die Kapazitäten ausgereicht hätten: Landwirte, Gärtner, Käsemacher, Bäcker, Metzger, Craft-Bier-Brauer, Köche, Gastronomen, jüngere und ältere Leute, Auszubildende und Meisterköche, aber auch Menschen, die mit diesen Berufsfeldern nichts zu tun haben, doch am Thema interessiert sind, an einer verbesserten Esskultur in unserem Land.

Symposium der Gemeinschaft 2019: Miteinander reden, Kontakte knüpfen, Neues erfahren
© Caroline Prange

Die Veranstalter trafen mit ihrem Symposium den Nerv der Zeit. Viele Zeitgenossen haben die Monotonie und Standardisierung der industriellen Moderne satt. Es setzt sich die Einsicht durch, dass man mit dem, was man isst, Verantwortung übernimmt: für die eigene Gesundheit wie für die Güte des Bodens, des Wassers, der Luft, der Atmosphäre, für die Biodiversität und das Tierwohl, ebenso für die auskömmliche Existenz der Bauern und Lebensmittelhandwerker. Es geht um mehr Wertschätzung für das Natürliche und Gewachsene sowie die schonende Verarbeitung der Dinge, für das Einzigartige und Singuläre, für Frische und Düfte, Aromata und Geschmack, ländliches Terroir in der Küche und auf dem Teller.

„Die Gemeinschaft“, die das Symposium organisierte, wurde 2017 im Wesentlichen von zwei Berliner Sterne-Restaurants ins Leben gerufen: dem „Nobelhart und Schmutzig“ und dem „Horváth“, vertreten durch Billy Wagner und Micha Schäfer sowie Sebastian Frank und Jeannine Kessler. Mittlerweile sind weitere Mitglieder dazugekommen – und geleitet wird „Die Gemeinschaft“ nun von Friederike Gaedke. Die Organisatoren empfingen die Teilnehmer des Symposiums in einem großen Zelt, anschließend verteilten sich die Leute auf verschiedene Workshops in den unterschiedlichen Gebäuden von Gut Kerkow. Billy Wagner führte im Plenum des Zeltes noch einmal die Gründe an, die „Die Gemeinschaft“ hervorbrachten: die Unzufriedenheit mit der Qualität der heimischen Lebensmittel, einer Qualität, die vom Preisdumping der Discounter bestimmt wird, nicht von den Wünschen des nachhaltigen Feinschmeckers. Das Symposium wolle Wege aufzeigen, wie sich das Preisdiktat sowie das industrielle Qualitätsverständnis der Discounter und Großhändler umgehen lasse und stattdessen eine engere Zusammenarbeit zwischen Bauer und Koch entstehen kann.

Man gewann für das Symposium Dozenten aus dem In- und Ausland. Jack Algiere stellte einen amerikanischen Musterbetrieb nachhaltiger Landwirtschaft vor, einen Lehrbauernhof, der die direkte Verbindung zum Restaurant kultiviert: das „Stone Barns Center for Food an Agriculture“ in den Pocastico Hills nahe dem Städtchen Tarrytown, etwas fünfzig Kilometer nördlich von New York, mit dem eigenen Restaurant „Blue Hill“. Aus London kam Douglas McMaster, der dort das Zero-Waste-Restaurant „Silo“ betreibt (vormals in Brighton) und erzählte, wie ein Restaurant ohne Müll die Beziehung zwischen dem Koch und seiner Gemeinschaft, Mitarbeitern und Landwirten, neu prägt.

Vertreter der Markthalle Neun in Berlin berichteten, wie lokale Plattformökonomien die Direktvermarktung und ländliche Entwicklung revolutionieren. Unter anderem stellte man die eigene „Plattform der Markthalle Neun“ vor, eine Art von digitalem Marktplatz neben der echten Markthalle. Bauern und andere Lebensmittelerzeuger können auf der digitalen Liste dieses Marktplatzes ihre Waren anbieten und den Preis selbst bestimmen. Mitarbeiter der Markthalle holen die Produkte beim Bauern ab und beliefern damit die Lokale, die die Lebensmittel über die Liste bestellt hatten. Das Discounter-Preisdumping wird damit umgangen. Kleinere bäuerliche Betriebe, die besondere Waren anbieten, alte Pflanzensorten, seltene Zuchttiere, kommen so mit Köchen in Kontakt, umgekehrt finden die Köche über die Liste solche Betriebe. Gleichzeitig nimmt die Plattform der Markthalle sowohl dem Bauern als auch dem Koch organisatorische Arbeit ab.

In einem anderen Workshop berichteten der Sternekoch Felix Schneider vom Restaurant „Sosein“ und der Gärtner Olaf Schnelle vom „Schnellen Grünzug“, was passiert, wenn Gärtner und Meisterkoch zusammentreffen, fachsimpeln und sich gegenseitig anregen. Der Gärtner erfährt, was der Koch wirklich wünscht – und der Koch lässt sich umgekehrt zu neunen Rezepten inspirieren, weil er das Gemüse nun besser versteht, zum Beispiel Verwandtschaftsverhältnisse der Gemüse untereinander.

Unterstützt wurde das Symposium von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz. Senator Dirk Behrendt kam persönlich vorbei und sprach ein Gruß- und Schlusswort. Er stellte die Ernährungsstrategie des Landes Berlin vor, die die Umstellung auf biologische Lebensmittel zum Ziel hat, zumal in Gemeinschaftsverpflegungen wie Schulen, Universitäten, etwa mit dem Musterbetrieb der veganen Mensa der Technischen Universität.

Für die meisten Teilnehmer des Symposiums war es erstaunlich, dass sich so viele Menschen für dieselbe Sache interessieren: für eine verbesserte Lebensmittel- und Esskultur in unserem Land. Die Leute redeten miteinander, knüpften Kontakte, erfuhren Neues. Es herrschte gute Laune unter den Teilnehmern – ein Anflug von Aufbruchsstimmung und neuer Zeit.

Erwin Seitz

www.die-gemeinschaft.net