Die Zukunft der Wurst

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März 2017

Die Zukunft der Wurst

Die heimische Brüh- und Bratwursttradition sollte in ihrem Auftreten up to date sein: echt und naturnah

So wie die amerikanische Beef- und Burger-Kultur, so könnte auch die deutsche Wursttradition ein bedeutender Input der entstehenden Weltküche sein. Nur müssten die heimischen Metzger und Gastronomen erst einmal daran glauben. Während derzeit Restaurants für Beef und Burger in Deutschland wie Pilze aus dem Boden schießen, hat die hiesige Wurst das Nachsehen.

Der Trend zur pflanzlichen Küche stünde einer zeitgemäßen Art der fleischlichen Küche nicht unbedingt im Wege. Doch darauf käme es an, auf das Zeitgemäße: Die Brüh- und Bratwurst-Tradition müsste in ihrem Auftreten up to date sein: in einer Gastronomie mit entrümpelten Räumen und schnörkellosen natürlichen Materialien, Holz, Leder, Naturstein, einer Feuerstelle in der Mitte in Form eines Grills für die Bratwürste, daneben ein Kupferkessel für die Brühwürste – mit einem Hauch von „long ago“, Brauchtum, Echtheit, Unverfälschtheit, dem Gegenteil von industrieller Produktion.

Lust auf Wurst: Typischer Nürnberger Bratwurstgrill, hinten die kleinen Nürnberger Bratwürste auf dem Rost.
© Gerbis, Quelle, Lizenz

Eine gläserne Wand gäbe im Lokal den Blick auf die handwerkliche Herstellung der Wurst frei. Der Gast sähe Fleischwolf, Kutter, Abfüllmaschine, kurzum, die Metzger bei der Arbeit. Zudem könnte er an einer Tafel lesen, woher jene Tiere stammen, deren Fleisch gerade verarbeitet wird. Die Vorgänge wären transparent: vom Bauernhof bis in die Metzgerküche. Der Kunde wüsste, dass die Tiere vorzugsweise einer alten Rasse mit ansprechender Marmorierung der Fleisches angehören und aus artgerechter Haltung stammen, so schonend wie möglich geschlachtet. Entweder werden Fleisch und Speck gleich nach dem Schlachten warm verarbeitet oder das Fleisch hängt gut ab.

Das Brät besteht immer nur aus Fleisch und Speck und wird lediglich durch den Wolf gedreht, und sofern es noch in den Kutter kommt, gibt man noch gestoßenes Eis dazu. Die Metzger verzichtet bei der Herstellung der Wurst auf künstliche Zusätze, Geschmacksverstärker und dergleichen, auch verwendet er für die Bindung des Bräts im Kutter nur das Nötigste. Man fügt im Wesentlichen noch Gewürze und Kräuter dazu, gegebenenfalls auch würzhafte Gemüse wie Zwiebel und Knoblauch.

Das Paradetier für die Wurst ist das Schwein, weil es neben dem mageren Fleisch auch über Speck verfügt, der für Aroma und Saftigkeit in der Wurst sorgt. Schon die keltischen Kultur, die sich vor rund dreitausend Jahren zuerst im nördlichen Voralpenland entfaltete und sich später über weite Teile Europas ausbreitete, verehrte das Schwein ebenso wie den Eichenbaum, dessen Früchte, die Eicheln, für den prächtigen Schweinespeck sorgten. Schweine und Eichenbäume gab es damals in Mitteleuropa in Hülle und Fülle. Das eine wie das andere wurde religiös verehrt.

Um 200 v. Chr. mauserte sich schließlich die keltische Stadt Manching, nahe Ingolstadt, regelrecht zu einer Metropole mit fünf- bis zehntausend Menschen und riesiger Stadtmauer. Die Archäologen fanden dort bereits Eisenroste, auf denen Bratwürste gegrillt werden konnten. In anderen keltischen Siedlungen, wie in Hochdorf, nahe Stuttgart, fanden die Archäologen eine kleine Brauerei mit Darre.

Bier und Bratwurst sind hierzulande jedenfalls uralt, weil es günstige natürliche Voraussetzungen dafür gab: Schweine, Eichenbäume und überhaupt viel Holz für das Brauen. Die Urform des heimischen Bieres, das malzgeprägte Rauchbier, passte mit seiner würzigen Süße vorzüglich zu den Röst- und Rauchnoten der saftigen Bratwurst vom glühenden Eisenrost. Die Franken setzten dann um 800 die keltisch-germanische Tradition des Bierbrauens und Bratwurstbratens fort. Der berühmte Klosterplan von St. Gallen, der um 830 im Kloster auf der Insel Reichenau entstand, zeigt Brauereien und Darren, und ein Kalenderbild, das etwa zur selben Zeit in Salzburg gemalt wurde, lässt für die Winterzeit den glühenden Eisenrost erkennen, während daneben das Schwein geschlachtet wird.

Fehlt noch das Sauerkraut, das erstmals im hohen Mittelalter hierzulande dokumentiert wurde. Ein Dichter namens Stricker erwähnte um 1250 „kumpost ode kabûz“, hochdeutsch: Sauerkraut und Kohl. Die Bratwurst hatte von nun an in der Winterzeit ihren idealen pflanzlichen Partner, der die Verdauung förderte. Anfangs des vierzehnten Jahrhunderts rühmte dann der Dichter Hadloub in einem Herbst- und Zechlied ein „guet geslechte“, die Schlachtplatte, zu der gewöhnlich Bratwurst, Blut- und Leberwurst, Kesselfleisch und Sauerkraut gehören. Die Elsässer machen daraus heute noch einen Kult und sprechen von „Choucroute garnie“.

Selbstverständlich konnte man die Bratwurst von jeher auch Sieden – heute noch im Fränkischen als „Blaue Zipfel“ oder „Saure Bratwürste“ im Zwiebelsud bekannt. Die eigentliche Brühwurst wurde aber erst im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert aus der Taufe gehoben, zumal seit es auch mechanische Kutter gab, mit denen man ein feines Brät herstellen konnte. Mag die kleine Nürnberger Bratwurst, deren Schweinebrät lediglich im Wolf zerkleinert wird und die roh auf den Rost kommen sollte, die Königsklasse der heimischen Wurst sein, so steht ihr die Münchner Weißwurst, die im Kutter hergestellt wird, an Delikatesse kaum nach: ganz anderes in ihrer Art, im Idealfall aus Kalbfleisch, Schweinespeck und gestoßenem Eis. Auch die Thüringer Rostbratwurst, die gleichfalls im Kutter gemacht wird, kann ausgezeichnet schmecken.

Statistiker zählen über tausend verschiedene deutsche Wurstsorten und preisen die hohe Zahl unterschiedlicher Arten. Aber darauf kommt es nicht an. Viel besser wäre es, sich auf die Klassiker unter den heimischen Würsten zu konzentrieren und diese wieder in handwerklicher Tradition zu fertigen: transparent für den Kunden und den Gast, als eine Ware, die sich unkompliziert in den Alltag fügt, ähnlich wie der hausgemachte Burger und das Beefsteak, unverfälscht und echt.

Zuerst erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung