Gal Ben Moshe im prism

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November 2021

Wunderdinge

Vom Abendland ins Morgenland

Europäische Hochküche mit Ausflügen in die Levante

Das Restaurant „prism“ nimmt in Berlin einen Spitzenplatz ein. Küchenchef und Patron Gal Ben Moshe setzt auf behutsame Weise ganz eigene kulinarische Akzente, die einen träumen lassen. Brillant: gegrillter libanesischer Hummer auf hauchzartem, feinwürzigem Eierstich Chawanmushi

 

Entspannte Atmosphäre – träumerisch, wie das Essen: das Restaurant „prism“

 

Historiker lassen die westliche Kultur im Nahen Osten beginnen: in Mesopotamien sowie im alten Ägypten. Von dort aus wanderten die Impulse früher Hochkultur nach Europa, bis sie schließlich auch Amerika erreichten. Die Biographie von Gal Ben Moshe ist regelrecht ein Spiegelbild dieser Entwicklung. Geboren im östlichen Teil des Mittelmmers, in der Levante, im israelischen Tel Aviv, erlernte er in seiner Heimatstadt das Kochhandwerk, während ihn seine Lehr- und Wanderjahre nach London und Chicago führten, bis er 2013 nach Berlin kam und hier sein eigenes Restaurant eröffnete: zunächst das „Glass“, dann 2018 das „Prism“.

Noch in jener Zeit, als Ben Moshe in Israel kochte, hatte er in Europa als Gast ein Schlüsselerlebnis: im „Le Moulin de Mougins“ an der französischen Rivera, wo Roger Vergé im Alter von achtzig Jahren immer noch Küchenchef und Patron zugleich war. Ben Moshe hatte damals die Gelegenheit, hinter die Kulissen zu blicken und Gespräche zu führen, tief beeindruckt davon, wie Vergé seine Küche für sich persönlich in „ein Stück Himmel auf Erden“ verwandelte. Der Maître ging darin auf, hatte alles im Blick, lebte für die Kochkunst, bis ins hohe Alter. So wollte Ben Moshe auch leben.

Gal Ben Moshe, als er nach Berlin kam

2008 ging er nach London und kochte bei Jason Atherton im „Maze“, das zur bekannten Restaurant-Gruppe von Gordon Ramsey gehörte. Hier lernte er ein freieres Kochen kennen. Zu guter Letzt verschlug es ihn in die Küche von Grant Achatz: in die Küche des „Alinea“ in Chicago. Das Entscheidende waren für ihn nicht die technischen Bravourstückchen, die das „Alinea“ weltberühmt machten, sondern die Basis: die klassische französische Küche, die dort perfekt eingespielt ist und alles möglich macht.

Um selbst Patron zu werden, wählte er Berlin, weil er den Eindruck gewann, dass man hier als junger, selbständiger Küchenchef nicht gleich vom Start weg vollkommen sein muss, sondern sich entwickeln kann, so wie die Stadt selbst in ihren Strukturen nicht abgeschlossen wirkt – ein Ort für Kreative. Es gehöre zum Zauber dieser Stadt, so Ben Moshe, dass sie es einem erlaube, so zu kochen, wie man will. Er fand hier in seinem ersten Restaurant „glass“ nach und nach zu seinem eigenen Stil: Rezepte, Gewürzmischungen und Zutaten der mittelalterlich-arabischen Hochküche und der heutigen Levante flossen ein in eine zeitgenössisch-europäische Haute Cuisine.

Vom „glass“ zum „prism“ verschoben sich jedoch die Akzente. Es veränderte sich zuerst der Stil der Einrichtung: Nicht mehr das coole Schwarz und Weiß wie im „Glass“, sondern ein sanftes und warmes Dunkelgrau beherrscht den Raum. Der Gast sitzt in einem intimen und behaglichen Restaurant mit 26 Plätzen, ganz dafür gemacht, sich der Gourmandise hinzugeben. Die Tische sind gut mit Spotlights beleuchtet, die das Farbspiel auf den Tellern zur Geltung bringen. Jacqueline Lorenz, die Frau und Geschäftspartnerin von Ben Moshe, leitet den angenehmen Service, vornehm zurückhaltend, aber immer zur Stelle, wenn man es wünscht. Mit Kennerschaft bietet sie zum Menü Weine an, die hauptsächlich aus der östlichen Mittelmeerregion stammen, aus Israel, dem Libanon, Griechenland.

Zur Begrüßung erhält der Gast ein hausgebackenes Sauerteigbrot mit Olivenölemulsion, es folgen einige levantische Mezze, köstliche Kleinigkeiten, die auf den Abend einstimmen. Es gibt danach ein Menü. Der Gast kann sich entscheiden, ob er 6 oder 8 Gänge nimmt. Die Weinbegleitung wird in unterschiedlicher Qualität angeboten, je nach Wunsch.

Als Reminiszenz an die Nomadenküche des Nahen Ostens, in der viel über offenem Feuer gegart wurde, kommt in der Küche des „prism“ häufig der Holzkohlengrill zum Zug, der den Zutaten rauchig-röstigen Geschmack verleiht, beispielsweise dem libanesischen Hummer. Köstlich das Spiel der leichten Süße, die dem Hummer eigen ist, mit der würzigen Grillnote, brillant, wie die rotweißen Hummerstücken auf hauchzartem, feinwürzigem Eierstich gebettet sind und von Sanftheit und Cremigkeit umspielt werden, variiert mit Lachskaviar, eingelegten Radieschenscheiben und frittierten, leicht knusprigen Algen. Ein glänzender Begleiter zum Hummer ist der Wein vom israelischen Chateau Musar, „Musar Jeune“, „White“, eine Cuvee aus Viognier, Vermentino und Chardonnay, trocken, aber doch mit subtiler Süße und feiner Säure, teils strohig spröd, in levantinischer Sonne gereift, teils mit Anflügen von Blumen, Zitrone, Aprikose, nicht fett, sondern beschwingt und charmant. Man bekommt Fernweh.

Man fragt sich als Gast: Was kann jetzt das kulinarische Glück noch toppen? Pulpo in Dashibrühe? Nicht unbedingt. Der japanische Einschlag wirkt in diesem Fall nicht zwingend. Wenngleich zuvor auch der Eierstich zum Hummer eine japanische Chawanmushi war. Wie auch immer. Manchmal passt´s, manchmal nicht unbedingt. Wenn das japanische Element dezent ins Levantinische einfließt, ist es zauberhaft. Der Nahe Osten verbindet sich dann quasi mit dem Fernen Osten, ohne sich selbst in den Schatten stellen zu lassen. So wie anfangs der Hummer auf Eierstich, so entzückt im übernächsten Gang das Herzstück vom Kalbsbries, bestreut mit Flocken von gerösteter Hühnerhaut, umtanzt von Sauerkirsche und Pinienkernen. Wunderbar das Ineinander von cremigem Bries und furchtiger Kirsche, dazwischen die röstigen Pinienkerne. Die Täumerei von Abendland und Morgenland setzt sich wieder fort.

Es kommt die Taube, ein Bruststückchen von der französischen Miéral-Taube, die es fast immer gibt, wenn man als Gast im „Prism“ ist. Ein Lieblingsgericht des Chefs. Man meint: in so ein zartes Taubenstück habe man noch nie gebissen – nein, nicht einfach nur zart und saftig, sondern mit subtilem elastischen Widerpart, für einen Moment widerständig, dann nachgebend – hinreißend. Man merkt die leisen, typischen Anklänge des Taubenfleisches von Wild und Leber, begleitet vom Bratenjus, vermischt mit süß-herbem Saft von Rote Beete. Das Fleisch obenauf mit orientalischer Würze bestreut, Baharat, das sich fast kristallin anfüllt. Sachte gleitet man von dem einen Eindruck zum anderen, bis man wieder träumt. So geht es den ganzen Abend fort. Irgendwann schwirrt einem das Märchen Tausendundeine Nacht durch den Kopf.

Erwin Seitz

Prism, Fritschestraße 48, Berlin-Charlottenburg

www.prismberlin.de