Gastronomie- und Gourmettrends: Chef-Sache 2019

Seite

Make it nice

Gastronomie- und Gourmettrends bei der Chef-Sache 2019 in Düsseldorf

Auch in diesem Herbst traten beim „Avantgarde Cuisine Festival Chef-Sache“ in Düsseldorf wieder weltberühmte Köche auf die Bühne, um ihre neuesten Ideen vorzustellen. Man merkte nichts davon, dass sich hinter den Kulissen ein paar Veränderungen vollzogen hatten. Veranstalter ist nun nicht mehr Port Culinaire, sondern die Intergastra, die Fachmesse für Gastronomie und Hotellerie, hinter der die Landesmesse Stuttgart steckt. Die Intergastra sucht Anschluss an das High End der Branche, das sich jährlich in Düsseldorf versammelt. Spiritus Rector und Kurator der Chef-Sache ist aber nach wie vor Thomas Ruhl von Port Culinaire. Er ist weiterhin hauptverantwortlich für das Programm.

Schon in den letzten Jahren war es erweitert worden: mit der „Master Class“ und der „School of Wine“ – in diesem Herbst kam das „Coffee College“ hinzu. Die Fixierung auf den Starkoch schwächt sich etwas ab, Gastronomie gewinnt auch im High-End-Bereich ein breiteres Bild. So kam es schon im letzten Jahr bei den Besuchern gut an, dass manche Köche ihre Lieferanten mit auf die Bühnen brachten. Das setzte sich in diesem Jahr fort und wurde ausgebaut.

Immer wichtiger wird eine verbesserte Produktkultur lokaler oder regionaler Provenienz, sprich die Kommunikation zwischen Koch, Bauer, Gärtner, Lebensmittelhandwerker, Metzger, Bäcker. Nur so lässt sich, wie es scheint, der Ortsgeist der Gastronomie, das Unverwechselbare, Einmalige eines Lokals, stärken. Es bildet sich eine neue Form von Kreislaufwirtschaft heraus.

Sternekoch Sascha Stemberg vom „Haus Stemberg“ in Velbert trat gemeinsam mit seinem Metzger Marc Sonnenschein und dem Landwirt und Tierarzt Quentin Rehra auf. Letzterem ist es gelungen, im Bergischen Land eine Herde von Wagyu-Rindern aufzubauen, nicht zuletzt ermöglicht durch das enge Zusammenspiel mit Metzger und Koch. Man beriet sich gegenseitig. Jeder sagte dem anderen, was er von ihm wünsche.  Stemberg kann so in seinem Restaurant Gerichte anbieten, die ohne diese Kollegialität nicht möglich wären, beispielsweise „Wagyu Pastrami“ auf Sauerteigstulle mit Eifel-Tomaten, Düsseldorfer Senfcreme, Honig und Wiesenkräutern – oder „Wagyu Zungenstück“, eingesalzen und geflämmt, mit Knollenselleriecreme, gepickelten Zwiebeln sowie Aalsud mit Schwarzwaldmiso. Das exzellente Fleisch verbindet sich, ohne viel Tamtam, mit heimischer Tradition, pflanzlicher Delikatesse: schlicht, aber durchaus überraschend kombiniert.

Sascha Stemberg
© CHEF-SACHE

Daniel Humm vom „Eleven Madison Park“ in New York saß in Düsseldorf in kleiner Gesprächsrunde mit Thomas Ruhl und Jürgen Dollase auf der Bühne. Er gehört bekanntermaßen zu den höchstdekorierten Köchen unserer Zeit. 2017 stand er mit seinem Lokal auf der Liste der „World´s 50 Best Restaurants“ an erste Stelle. Er bedauerte es im Gespräch, dass er nicht schon früher damit begonnen habe, auf Produzenten im Hinterland von New York zurückzugreifen, auf Produkte, die sein Restaurant unverwechselbar machen und eindeutig in New York mit seiner Umgebung verorten.

Der geborene Schweizer war mit der französischen Haute Cuisine groß geworden und schätzte lange Zeit die klassischen Produkte dieser Küche: Stopfleber, Steinbutt, Challans-Ente und so fort. Auf viele Gäste wirken diese Zutaten heute ermüdend, weil sie zu lange in zu vielen Gourmetrestaurants omnipräsent gewesen sind. Ohnehin sei Fine Dining oder das Drei-Sterne-Restaurant nicht mehr für jeden Feinschmecker das Ziel aller Träume, es gehe in Richtung Casual Restaurant oder Nice Dining, um Lokale, die das Können der Sterneküche nutzen, aber in alltäglich nutzbaren, unkomplizierten Formen: nicht mehr so teuer, entspannter, mit guten regionalen Produkten.

Das sei jetzt das Neue, womit man ein breiteres Publikum gewinne. So hat Humm neben seinem Hauptrestaurant „Eleven Madison Park“ unter anderem das Restaurant „Made Nice“ gegründet.  Sein gesamtes Unternehmen, zu dem seit geraumer Zeit auch die „No Mad“-Hotels gehören, nennt sich jetzt „Make it nice“ – mache es angenehm und nett, sei fröhlich.

Er arbeite daran, so Humm, für ein Gericht so wenig Zutaten wir möglich zu verwenden. Doch es gehöre Erfahrung dazu, wenn man minimalistisch kochen möchte. Die einfache Geste muss sehr stark sein. Seine Kochkunst beruhe auf vier Fundamenten: erstens es muss gut schmecken; zweitens das Gericht soll natürlich und unangestrengt erscheinen; drittens es soll Kreativität zeigen, neue Techniken und Kombinationen; viertens es soll Sinn vermitteln, die Bezüge zwischen den Zutaten sollen nicht beliebig sein, sondern beispielsweise ein Ökosystem widerspiegeln.

Beeindruckend auch, was anschließend der Berliner Zwei-Stern-Koch Marco Müller vom Restaurant „Rutz“ den Gästen und Zuschauern des Festivals vermittelte. Er führte zunächst in einem Film die enge Zusammenarbeit mit regionalen Produzenten vor Augen – und zeigte dann am Herd auf der Bühne, wie er mit den Produkten umgeht, wie er komponiert, welche Techniken er einsetzt und wie er die Speisen anrichtet. Auch bei ihm vollzog sich in den letzten Jahren die Absatzbewegung von der Stopfleber, als dem Symbol einer veralteten Produktkultur.

Marco Müller
© CHEF-SACHE

Wo früher bei ihm der Steinbutt aus dem Atlantik zum Zug kam, dort ist es jetzt die Bachforelle aus der Umgebung von Berlin, nicht irgendeine, sondern von einem Züchter mit eigener, kühler Quelle und bester Wasserqualität. Koch und Fischzüchter haben gemeinsam neue, bessere Zuchtformen ausgetüftelt, bis die Fische eine erstklassige, reintönige Qualität boten, jeden Tag frisch geliefert.

Dementsprechend setzt Müller behutsame Garmethoden ein. Das enthäutete Filet wird sanft unter der Wärmelampe gegart, glasig, bis es eine Kerntemperatur von 38° erreicht, bestrichen mit geschmolzenem Lardo-Fett vom Duroc-Schwein, zusätzlich gewürzt mit Kiefernnadeln, während die entfernte Fischhaut aufgepoppt und beigelegt wird. Dazu gibt es aufgeschäumte Schafsmolke, die mit Tomatensaft angereicht wurde. Es entfaltet sich ein komplexes aromatisches Spiel, mit viel Frische, Leichtigkeit, regionaler Aromatik und Tradition – und doch auch wieder ganz neu.

Erwin Seitz

www.chef-sache.eu