Grillsaison 2015

Seite

Esskultur, Mai 2015

Heiß, saftig und würzig

Die Nähe zum Grünen, gute Produkte und Sorgfalt sind beim Grillen wichtig

Tokio gilt, mitsamt der Metropolregion ringsum, als die größte Stadt der Welt, mit über dreißig Millionen Einwohnern und zahllosen Büro- und Wohntürmen. Im noblen Zentrum liegt das Hotel New Otani mit drei Türmen, die bis zu vierzig Stockwerke erreichen und einen fantastischen Blick über die Stadt bieten. Angeschlossen ist ein vierhundert Jahre alter Garten, in dessen Mitte ein stark verglaster runder Holzpavillon erscheint: das Grillrestaurant Sekishin-tei.

Innen läuft der Gast um einen mehreckigen Tresen herum, nimmt davor irgendwann auf einem Hocker Platz, sitzt dann an einem sogenannten Counter Style Table, hinter dem wiederum, auf gleicher Höhe, eine silberfarbene Grillplatte erscheint, der andere Grillplatten rings um den Tresen folgen. Hinter jeder dieser Platten steht ein Koch, um die bestellten Gerichte so aufmerksam wie möglich vor den Augen des Gastes zu garen und zuzubereiten.

Es herrscht keine Hektik; es geht leise zu, mit dem leichten Zischen auf den Platten und dem Geplauder der Gäste. Ein verführerischer Duft steigt in die Nase; man schaut dem Koch zu oder blickt durch die großen Glasscheiben hindurch auf den Garten mit altem Baumbestand. Längst hat man vergessen, dass man gerade im Zentrum der größten Stadt der Welt sitzt. Es geht entspannt zu; die Atmosphäre wirkt natürlich und kultiviert; auf dem Grill liegen die besten Waren, die man auf Erden finden kann: Hummerschwänze, große Garnelen, Jakobsmuscheln (Sachen, die nach dem Garen noch mit schwarzem Kaviar geschmückt werden), ferner Filet oder Rumpsteak vom Kobe-Rind, feines Frühlings- und Sommergemüse. Die Szene informell, das Essen exquisit!

Wenngleich es sich um ein seltenes Luxusrestaurant handelt, führt es beispielhaft Stilmerkmale der Grillszenerie vor Augen, die man je nach Möglichkeit etwas weniger exklusiv handhaben kann: Zunächst die Verbindung zum Grünen, sei es ein Garten, sei es eine Terrasse vor dem Haus oder im Hof mit exotischen Kübelpflanzen, die der Gärtner im Frühling bringt und im Herbst wieder in sein Gewächshaus stellt. Das Grillen, das im Kopf der Gäste mit urtümlichen Situationen am Lagerfeuer verbunden ist, soll das Gegenteil von urbanem Stress vermitteln: eben Natürliches, Unkompliziertes. Bloß kein Kommerz, keine Werbung auf der Terrasse! Möglichst helle, freundliche Sonnenschirme ohne Schriftzüge – Schirme, die der Phantasie freien Lauf lassen!

Speziell in Europa sind Grilladen, Salate und gutes Brot, vom besten Bäcker am Ort, die genialen Gerichte auf der Terrasse oder im luftigen Pavillon. Bloß nichts zu Künstliches! Speziell in Deutschland sollten auch die Bratwürste nicht fehlen, um ein Stück heimisches Selbstverständnis herzustellen, das ebenfalls entspannend wirkt. Am feinsten sind Bratwürste aus purem durchwachsenem Schweinefleisch, lediglich durch den Wolf gedreht, gewürzt und in den Naturdarm gefüllt, roh auf den Grill gelegt. Ein archaisch-kultiviertes Vergnügen, voller Saftigkeit und Würze!

Umfragen, die vom Marktforschungsinstitut Innofact durchführt wurden, bestätigen, dass die Deutschen beim privaten Grillen am liebsten die Bratwurst auf den Rost legen, gefolgt vom  marinierten Schweinenacken, Sachen, die von sich aus viel Aroma haben und durch das Grillen noch an Würze gewinnen. Man braucht nicht recht viel mehr, um gut zu essen.

Es muss natürlich auch kein x-beliebiges Schweinesteak sein. Es darf auch ein Stück Fleisch von bestimmter Herkunft und Güte sein, von einem Tier aus artgerechter Haltung; man vergleiche und bemerke den Unterschied. Empfehlenswert sind beispielsweise die Waren von der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (www.besh.de): so das Fleisch vom Schwäbisch Hällischen Landschwein. Es handelt sich um eine ältere heimische Rasse, deren Fleisch noch mit aromatischen Fettsträhnen marmoriert ist. Der Kunde kann sich entscheiden, ob er das Fleisch vom reinrassigen Tier oder, etwas magerer, das Fleisch von der Kreuzung aus Schwäbisch Hällischem Schwein und Pietrain-Schwein lieber mag (die erste Variante schmeckt natürlich bessere). Exzellent sind die saftigen Koteletts mit Speckschicht vom Bio-Freilandschwein des LandWert-Hofs in Stahlbrode in Vorpommern (www.landwert.de). Man weiß plötzlich wieder, wie gut Schwein schmecken kann.

In Japan ist das stark marmorierte Steak vom Wagyu-Rind, ob es nun aus Kobe stammt oder aus anderen Regionen, die Königsklasse der Grillgerichte. Ein Rindersteak ist dort so gut wie immer stark marmoriert, damit es nach dem Garen zart, saftig und hocharomatische den Gaumen verzaubert. Man wünscht sich für Deutschland eine ähnliche Rindfleischkultur von feinster Güte, mit der Gewähr, dass das Fleisch von der Färse (dem ausgewachsenem weibliche Rind, das noch nicht gekalbt hat) oder vom Ochsen (dem kastriertem Stier) stammt und ein paar Wochen gereift ist: gut abgehangen, am besten trocken am Knochen (nicht im Vakuumbeutel): dry-aged. Das traditionelle Pfälzer Glanrind oder der Limpurger Ochse haben Potential, aber Bauern, Händler und Köche müssten noch viel enger zusammenrücken, um die heimischen Möglichkeiten zu nutzen, bis deutsche Rindersteaks so zuverlässig gut sind wie jene vom japanischen Wagyu-Rind oder wie US-Beef, das in der Regel von Angus- oder Hereford-Rind stammt. Varianz unter den Rindersteaks täte gut.

Niemand denke jedoch: Das Grillen, das kann jeder! Der Doyen der deutschen Kochkunst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Alfred Walterspiel, schlug in seinem Buch „Meine Kunst in Küche und Restaurant“ nicht nur eine Bresche für den Holzkohlengrill, sondern auch für den gut ausgebildeten Rôtisseur: „Gerade weil wir von allen überkünstelten und überspitzten, der Gesundheit meist unzuträglichen Gerichten abkommen wollen, hängt von ihm (dem Rôtisseur) ein großer Teil des Erfolgs der Küche ab. Von einem Meister angelernt und überwacht, wird ein tüchtiger Rôtisseur in kurzer Zeit minutiös genau, fast instinktiv, die Bratdauer irgendeines Geflügels oder eines Fleischstückes herausfinden.“ Weil die Stärke der Glut nie ganz kontrollierbar ist, ist es gut, wenn die Höhe des Rosts jederzeit leicht verstellbar bleibt. Nichts ist unangenehmer, als wenn durch eine zeitweilige starke Hitzentwicklung ein verkohlter Geschmack entsteht.

Auch ist es nicht schlecht, wenn man über zwei verschiedene Roste verfügt: einen für Bratwurst und Fleisch, einen anderen für Fisch und Gemüse. Weil der Fisch ein weniger festes Fleisch hat, sollte der Rost dafür feingliedriger und dichter sein. Gegebenenfalls kann man den einzelnen Fisch im Ganzen auch in ein Gitter oder in eine Zange spannen, um das Wenden auf dem Rost zu erleichtern. Auch gewisse Gemüsesorten wie Paprika oder grüner Spargel (leicht vorgekocht) lassen sich gut grillen, ebenso größere Champignons, Zucchinischeiben oder halbierte Tomaten.

Die Grilladen sollten normalerweise einen gewissen natürlichen Fettanteil haben, der die Saftigkeit fördert, ideal die marmorierten Steaks vom Rind und vom Schwein. Auch ein Kotelett oder ein Paillard vom Kalb wie vom Spanferkel sind recht, ebenso eine Brust von der Poularde, die in der Regel schon etwas mehr Fett hat als ein Hähnchen. Dazu gesellen sich die gehaltvolleren Fische, natürlich der Lachs, auch der Saibling im Ganzen, der etwas mehr Fett hat als eine Forelle. Nicht minder gut machen sich Fische mit festerem Fleisch wie Seezunge, Wolfsbarsch, Dorade royal oder Renke. Nur die festere Struktur von sehr frischem Fisch kommt in Frage. Der Koch den Fisch von der Gräte lösen und in groben Stücken, locker ineinander geschichtet, servieren.

Eigentlich reicht schon ein sehr gutes Brot als Begleitung, wenn die Grillade selbst auf den Punkt gegart ist, zart und saftig, mit den angenehmen Röst- und Rauchnoten ringsherum. Doch selbstverständlich kann noch anderes dazu gegeben werden: wie frische Butter, variiert als Kräuter- oder Chilibutter, bestes Olivenöl, Limonen-Olivenöl, Apfel-Balsamessig, frischer Ziegenkäse, gereifter Hochalmkäse, Walnüsse und Pinienkerne. Wie gesagt: Nur nichts Kompliziertes! Und wer möchte dann noch entscheiden, ob ein Steak vom Wagyu-Rind, ein Kotelett vom reinrassigen Schwäbisch Hällischen Schwein, ein Saibling oder ein buntes Grillgemüse besser schmeckt?

ERWIN SEITZ

 

Siehe auch:

Esskultur, Juli 2016

Hinein ins pralle Grillerlebnis

Empfehlung für die Gastronomie oder für zu Hause