Guide Michelin 2017

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Casual Fine Dining ist in aller Munde

Der Guide entdeckt die Mitte, führt eine neue Kategorie ein und findet die gastronomische Entspanntheit gut

Im Drei-Sterne-Bereich nichts Neues. Jedenfalls wurden jetzt im Guide Michelin 2017 für Deutschland dieselben Restaurants mit drei Sternen ausgezeichnet wie im letzten Jahr. Ein Beleg für die Kontinuität der besten Restaurants. Auch in der Zwei-Sterne-Kategorie gab es keine allzu großen Verschiebungen. Drei neue Adressen kamen hier hinzu und fünfzehn Lokale rückten in das Ein-Sterne-Segment auf. Zieht man jene ab, die ihren Stern verloren, so nahm die Zahl der Sterne-Restaurants insgesamt gerade einmal um zwei zu und stieg auf 292 Adressen an.

Das erscheint auf den ersten Blick nicht gerade aufregend. Und dennoch bedeutet der neue Michelin eine regelrechte Umwälzung.  Der Guide entdeckt neben der Spitze mehr denn je die Mitte. Bekanntermaßen werden ja demokratische Wahlen in der Mitte entschieden. Offensichtlich machen die sozialen Medien dem traditionell elitären Organ Beine. Es gibt in der neuen Ausgabe keine gewöhnlichen Lokale mehr. Alle, die erwähnt werden, erhalten eine rot gedruckte Auszeichnung, sei es ein Stern, sei es ein Bib Gourmand, sei es ein Michelin Teller, der, wie es heißt, „eine Küche von guter Qualität“ benennt oder „einfach für ein gutes Essen“ bürgt. Kein Restaurant, das es in den Michelin schafft, rangiert mehr unter ferner liefen. Die Mitte wird aufgewertet.

Aber was heißt eigentlich Mitte in der Gastronomie? Angekommen in der Mitte der Lebens? Die Zauberworte der Stunde heißen „Casual Fine Dining“ oder schlicht „Casual Dining“ – Feinschmeckerei, eingebunden in den Alltag, leicht und variabel nutzbar, sei es im Restaurant mit Stern oder mit Bib Gourmand oder mit Michelin Teller.

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Die drei neuen 2-Sterne-Köche (von links nach rechts): Marco Müller vom Restaurant Rutz in Berlin, Tristan Brandt vom Restaurant Opus V in Mannheim und Tohru Nakamura vom Restaurant Geisels Werneckhof in München

Selbst die drei neuen Zwei-Sterne-Restaurants schreiben sich solche Begriffe auf die Fahnen. So redet das Opus V in Mannheim den Gast freimütig auf der Homepage an: „Wir legen großen Wert auf Casual Fine Dining. Das bedeutet für uns: die Stimmung ist locker und persönlich und unsere Gäste genießen angenehme Stunden in einer entspannten sowie stilvollen Atmosphäre.“ Der Fokus liegt auf dem gastronomischen Gesamterlebnis, das ein Wohlgefühl hervorrufen soll.

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Musterbeispiel für die neue beliebte Form des Casual Fine Dining: Restaurant Opus V in Mannheim.

Man könnte auch sagen: Die Gastronomie wird wieder gastronomischer, nicht mehr so einseitig auf den Kochkünstler fixiert. Nichts ist auf der Website von Opus V von einer betont avantgardistischen Küche zu lesen. So etwas zieht nicht mehr. Ausführlich werden Einrichtung, Atmosphäre, Service beschrieben, dann folgen Bemerkungen zur Küche: „Im Opus V inszenieren Tristan Brandt und sein Team eine anspruchsvolle Gourmetküche – zeitgemäß, ohne modischen Schnickschnack.“  Reihenweise purzeln auf dieser Homepage die Begriffe einer neuen kulinarischen Epoche: „regionale und saisonale Produkte bilden die Basis“, „Experimentierfreude ja, aber die Identität und der Geschmack unserer Produkte sollen dabei erhalten bleiben“, „vertrauensvolles Verhältnis zu unseren Partner“, „Bauern, Winzer, Züchter, Pâtissiers, Bäcker und Käseerzeuger“.

Bezeichnend für eine neue Periode der Gastronomie ist auch der Standort des Opus V. War es bislang normal, dass ein feines Restaurant entweder zu einem Hotel gehörte oder selbstständig arbeitete, so ist das neue Zwei-Sterne-Restaurant nun Teil eines Modehauses, ganz oben platziert, mit Terrasse und Blick über die Stadt. Der urbane Besucher schätzt heute neben der klassischen Hochkultur, Kirchen und Museen, ebenso das Erlebnis von „Fashion and Food“ – eine entzückende Liaison. Im Opus V kann der Gast flexibel in das Menü einsteigen, schon mit drei Gängen für 72 Euro.

Beiläufig ist für ein Zwei-Sterne-Restaurant immer noch eine exzellente Ausbildung vonnöten. Tristan Brandt, der Küchenchef des Opus V, hat während seiner Lehr- und Wanderjahre bei vier Drei-Sterne-Köchen Erfahrung gesammelt: bei Harald Wohlfahrt, Jean-Georges Klein, Christian Bau und Dieter Müller.  Ähnliches gilt für Tohru Nakamura, Küchenchef im neuen Zwei-Sterne-Restaurant Geisels Werneckhof in München. Er arbeitete vorher unter anderem bei den Drei-Sterne-Köchen Joachim Wissler und Sergio Herman. Wie Brandt ist auch Nakamura der Ausdruck „Casual Fine Dining“ sympathisch, doch er betont, dass es dabei weniger auf Äußerlichkeiten ankommt, ob nun der Tisch mit weißem Tuch gedeckt ist oder nicht. Für ihn ist die innere Haltung wichtig, sei es des Kellners, sei es des Kochs oder des gesamte Teams. Entscheidend ist für ihn nicht, ob der Kellner nun Anzug trägt oder Jeans, sondern ob er Freude an seiner Arbeit hat und sich mit den Kollegen gut versteht.

Der moderne Küchenchef richtet seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf Nebensächlichkeit auf dem Teller und verringert die Komponenten der Komposition, er rückt ein paar wenige Produkte von allerbester Qualität in den Vordergrund, häufig aus der eigenen Region oder aus dem eigenem Anbau, er kümmert sich überhaupt mehr um heimische Produktkultur oder um die Teambildung im eigenen Haus. Innerliche Trennwände zwischen Küche und Service oder anonyme Wege von „Farm to Table“ gibt es für ihn nicht mehr.  Die Abläufe werden transparent, es wird mehr kommuniziert, mit den Bauern, mit dem Personal, mit den Gästen. Es geht um den schonenden Umgang mit der Natur, Nachhaltigkeit, respektvollen Umgang mit den Menschen, Freundlichkeit. Die führenden Leute in der Gastronomie werden zu prägenden Figuren eine neuen Zeit.

Der dritte im Bunde, der sich ab jetzt als Zwei-Sterne-Koch bezeichnen darf, ist Marco Müller vom Restaurant Rutz in Berlin. Er erklärt gar: „Wir haben das Prinzip von Casual Fine Dining erfunden.“  Jedenfalls lässt er sich schon seit mehreren Jahren davon leiten. Er fährt fort: „Wir haben gesagt, dass wir die Gastronomie, wie sie war, nicht mehr betreiben möchten. Man muss heute anders auf den Gast zugehen, anders mit seinem Personal umgehen, eine andere Restaurantqualität bieten. Wir waren die ersten, die in Deutschland das Geld in das Produkt reingepackt haben und nicht in das Silberbesteck. Wir wollten einfach eine ungezwungenere Atmosphäre.“

Erwin Seitz

Zuerst erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomiezeitung (AHGZ)

www.restaurant-opus-v.de, www.geisels-werneckhof.de, www.rutz-restaurant.de