Guide Michelin Deutschland 2018

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Guide Michelin Deutschland 2018

„Konstanz ist das Zünglein an der Waage“

So viele Sterne gab es noch nie: Im Guide Michelin Deutschland 2018 sind 300 besternte Lokale aufgeführt. Der Trend zum Casual Fine Dining hält an, doch auch die klassische Hochküche wird wieder geschätzt.

Die Tendenz zur guten, feine Küchen hält an – auch wenn, international gesprochen, aus dem Fine Dining ein Casual Fine Dining wird. Der formelle Rahmen des Restaurants gibt sich weniger steif und aufwendig, aber die Hauptsache, die feine Speise, bleibt unangetastet. So bestätigt es der neue Guide Michelin Deutschland 2018. Es gibt hierzulande mehr Sterne als je zuvor. Alle Kategorien konnten zulegen: die Ein-, Zwei- und Drei-Sterne-Restaurants ebenso wie die „Bib“-Lokale.

Die zehn Drei-Sterne-Restaurants, die es im Vorjahr gab, behielten ihre drei Sterne, darunter auch jene, bei denen zwischenzeitlich ein Wechsel des Küchenchefs erfolgt war. So erhält die „Schwarzwaldstube“ in Baiersbronn unter dem neuen Küchenchef Torsten Michel  wieder drei Sterne, desgleichen das „Waldhotel Sonnora“ unter dem neuen Küchenchef Clemens Rambichler.

Zu den bisherigen zehn Drei-Sterne-Restaurants kommt aber noch ein neues hinzu: das „Atelier“ im Bayerischen Hof in München unter Küchenchef Jan Hartwig. Womöglich gibt das  – neben dem Wandel vom Fine Dining zum Casual Fine Dining – eine weitere Tendenz wieder. Hartwig pflegt im „Atelier“, ähnlich wie Michel in der „Schwarzwaldstube“ und Rambichler im „Sonnora“, eine eher klassisch geprägte Hochküche, nicht so sehr avantgardistisch-experimentell ausgerichtet. Kontinuität, Klassizität, Konstanz scheinen die Stichworte der Stunde zu sein.

Meisterlich: Jan Hartwig im „Atelier“
© Thomas von Aagh

Hartwig selbst meint im Gespräch: „Konstanz ist das Zünglein an der Waage“. Nicht mehr Revolution und Umsturz, sondern das evolutionäre, sachte Fortentwickeln, die Verbesserung der Kochkunst aus der tagtäglichen, aufmerksamen und überlegten Arbeit heraus stehen hoch im Kurs. „Kochen ist, wie vieles im Leben“, fährt Hartwig fort, „auch eine Sache der Übung und des Trainings.“ Ein guter Musiker übe so lange auf seinem Instrument, bis er die schwierigen Passagen eines Stücks meisterlich beherrsche. Er selbst, so Hartwig, filetiere heute einen Fisch anders und geschickter als vor zehn oder fünfzehn Jahren. Das Team müsse insgesamt gut zusammenspielen. Wenn der Fisch fertig sei, müsse gleichzeitig auf dem anderen Posten die Beilage bereit stehen.

Kurzum: Hartig betont den handwerklichen Gedanken, bevor er dazu übergeht, von der eigenen Handschrift zu sprechen. Er bevorzugt beispielsweise wieder das Braten und Anrösten: „Bei mir wird nichts ins Wasserbad geschmissen“. Die Brüste einer Taube bleiben – in klassischer Tradition – mit Haut an der Karkasse. Sie werden zuerst mit Butter und Aromaten in der Pfanne angebraten und dann im Ofen auf der Karkasse bei 200 Grad Celsius gegart, dann ausgelöst, noch einmal in der Pfanne und unter dem Salamander sachte geröstet und schließlich von Jus, Birne (aktuell zur Herbstsaison), Knoblauch, Zwiebeln  und einem Ragout von der Keule begleitet.

Taube im „Atelier“
© Lukas Kirchgasser Fotografie

Unter den neuen Sterneköchen sind verhältnismäßig viele junge Küchenchefs dabei, die einfach Lust am guten Kochen haben und sich etwas zutrauen – darunter Peter Wiedmer im „Restaurant Eckert“ in Grenzach-Wyhlen, gerade einmal fünfundzwanzig Jahre alt.  Auch Maximilian Strohe im Restaurant „Tulus Lotrek“ in Berlin zählt zur junge Riege der neuen Sternköche. Er selbst hatte während seiner Lehr- und Wanderjahre nie in einem Sternerestaurant gekocht, aber sich doch an die feine Küche herangearbeitet.

Berliner Nonchalance: Maximilian Strohe mit seiner Partnerin Ilona Scholl im „Tulus Lotrek“
© André Wunstorf

Strohe mag zwischendurch auch Gerichte, die handwerklich weniger aufwendig sind und mit frischen Noten überzeugen, leicht und bekömmlich, etwa Kombinationen von Fisch oder Fleisch mit Obst und Säuren. Das Filet von der Fjordforelle beispielsweise wird mit Nussbutter bepinselt, unter der Wärmelampe leicht gegart, dann in gehackten und gerösteten Mandeln gewälzt und mit Forellenkaviar in einen tiefen Teller gelegt, umkreist von einer aufgeschlagenen Molke-Apfelessig-Beurre-blanc.

Der Guide Michelin ist nach allen Richtungen hin offen. So gibt es jetzt auch zwei Ein-Sternerestaurants mit rein vegetarischer Küche. Einmal das „Seven Swans“ unter Küchenchef Jan Hoffmann in Frankfurt am Main, das allerdings schon im letzten Jahr einen Stern hatte, nur zwischenzeitlich von einer hergebrachten Küche mit Fleisch und Fisch auf eine vegetarische Küche umstellte, ohne für 2018 den Stern zu verlieren – und hinzukommt neu das „Cookies Cream“ in Berlin unter Küchenchef Stefan Hetschel. Auch eine beruhigtere Kochkunst bewegt sich eben doch – und von Sterne-Müdigkeit der Köche oder von Sterne-Überdruss der Gäste kann keine Rede.

Erwin Seitz

Erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ)