Interview 2015

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Interview mit Andree Köthe

Herr Köthe, viele Jahre ging ihrem Restaurant „Essigbrätlein“ in Nürnberg der Ruf einer avantgardistischen Gewürzküche voraus. Nun erlebt der Gast regelrecht das Gegenteil: den wegweisenden Verzicht auf die Gewürze. Wie kam es zu diesem erstaunlichen Wandel?

Wir, mein stellvertretender Küchenchef Yves Ollech und ich, hatten seit Mitte der Neunziger damit begonnen, mit Gewürzen zu experimentieren. Wir gaben zuerst da und dort einen Hauch von Sternanis dazu, was die Gäste verblüffte; manche blieben skeptisch, andere gingen mit. So wurden wir immer mutiger, stellten eigene Gewürzmischungen zusammen, loteten Grenzen aus, wie viel Gewürze man den Zutaten zumuten kann und den Esser damit doch bestens unterhält.

Irgendwann kam ich mir selbst wie ein Gewürzgetriebener vor, wie ein Koch, der eine Richtung einschlägt, welche wenig Substanzielles an sich hat. Wir bauten viele Elemente, viele Nuancen in ein Gericht ein, gaben aber dem Gast kaum noch die Möglichkeit, eine Verbindung zwischen den Sachen herzustellen und die Speise zu erschließen. Wir bewegten uns im Grenzbereich zwischen Mut und Übermut, fast wie in einem Drama. Wir sind ja Fanatiker, die immer Einzigartiges, Außergewöhnliches kochen wollen, und das ist auch eine große Gefahr. Die Schmerzgrenze für Gewürze war bei uns immer höher geworden, bis wir selbst keine Grenzen mehr kannten.

Aber warum rückten Sie dann so stark von den Gewürzen ab?

Wir sind mit den Gewürzen nicht mehr weitergekommen. Es gab den Punkt, an dem wir die natürlichen Zutaten mit den Gewürzen nicht mehr unterstützten. Unsere Kochkunst wurde plakativ, betont auffällig. Man nahm einen ersten Bissen und sagte sich: Wow, der Wahnsinn! Ein Strauß von Gewürzen schuf Opulenz und nahm alles andere in Beschlag; aber dann ließ beim dritten oder vierten Bissen die Aufmerksamkeit rasch nach. Ein Gewürz ist ein Gewürz, ohne wirkliche Substanz. Es kann nicht die wesentliche Grundlage einer Küche sein. Allmählich nahmen wir die Gewürze zurück und merkten, dass unsere Küche klarer, präziser, natürlicher wurde.

Manche Gäste waren verschnupft, weil sie einen solchen puristischen Stil von uns zwischenzeitlich nicht mehr gewohnt waren; andere machten diesen erneuten Wechsel mit und bestärkten uns. Man muss als Koch aufpassen, dass man sich nicht verliert, sondern bei sich selbst bleibt, und das tut, was von innen drängt. Man muss seine eigene Küche machen. Wir bereuen unsere frühere Gewürzküche nicht, das hat Spaß gemacht, aber jetzt ist anderes wichtiger geworden.

Sie haben als neues Thema das Gemüse entdeckt und befördern nun einen jüngeren Trend.

Andere sind damit eher dran gewesen als wir. Es war keinesfalls so, dass ich eines Morgens mit dem genialen Einfall aufgewacht wäre, den Schwerpunkt von den Gewürzen zu den Gemüsen zu verlagern. Der Wechsel hat auch etwas mit Zufällen und örtlichen Bedingungen zu tun. Traditionell wird ja um Nürnberg herum viel Gemüse angebaut, unter anderem im so genannten Nürnberger Knoblauchland. Im Laufe der Zeit kamen Gemüsebauern zu uns und boten wunderbare Sachen an.

Insbesondere der Biologe und Gärtner Peter Kunze inspirierte uns mit seltenen oder wiederentdeckten Tomatensorten, Kräutern und dergleichen (erreichbar unter: peterkunze@yahoo.com). Der Wow-Effekt ist nun umgekehrt: Während Gewürzmischungen sofort beeindrucken, dann aber das kulinarische Erlebnis verflacht, empfindet man die milde Würze der Gemüse und Kräuter zunächst nicht als so spektakulär, aber die Erfahrung in Nase und Mund wird jetzt von Happen zu Happen subtiler, gewinnt an Tiefe und Nachhaltigkeit. Man isst sensibler.

Wir versuchen, unser fanatisches Element zu zähmen, die Starallüren, den ganzen Kokolores. Wir suchen nicht mehr so sehr nach dem Knalleffekt, sondern setzten mehr auf Stimmigkeit, Harmonie, achten darauf, uns nicht im Tausenderlei zu verlieren und lassen den Crash lieber weg. Wir möchten dem Gast die Möglichkeit einräumen, die Komposition zu verstehen und zu genießen.

Funktioniert eine solche eher leise, klare, elegante Küche im Wesentlich nur mit pflanzlichen Zutaten?

Wir sind keine strikten Vegetarier geworden, sondern bevorzugen eine vorwiegend pflanzliche Küche. Es gibt im Menü neben reinen Gemüsegerichten auch Speisen mit Fisch und Fleisch. Es liegt uns auch daran, bei puren Gemüsespeisen den Umami-Geschmack nicht zu vergessen, den man besonders vom Fleisch her kennt. Wir garen das Gemüse nicht nur sanft sous-vide, sondern braten es auch mal scharf an. Oder wir stellen pflanzliche Saucen mit Umami-Aroma her, entsaften dafür Gemüse, geben in diesen Saft gebratene Gemüsestücke und lassen unter Vakuumverschluss diese Teile über Nacht in der Brühe ziehen, damit sich die Röstaromen darin auflösen. Schließlich wird die Brühe nach Gusto eingekocht. Auch pflanzliche Saucen brauchen Power.

Die Fragen stellte Erwin Seitz