Interview: Joan Roca, Drei-Sterne-Koch aus Girona in Spanien
„Nicht jedes Kochen ist wirklich eine Kunst“
Gibt es neben der spanischen Hochküche, welche sie selbst in prominenter Weise vertreten, nicht längst auch eine übergreifende europäische Hochküche oder gar eine Weltküche?
Es gibt immer eine gute Küche und eine schlechte Küche – das ist das Erste. Natürlich haben wir heute eine Hochküche, die immer globaler wird. Die spanische Kreativküche ist nach außen gegangen, nach Europa, doch die Kochkunst hat in Europa keinen Mittelpunkt mehr.
Was ist die wesentliche Botschaft der modernen spanischen Kochszene?
Es ist der Gedanke, sich nicht mit einer Sache zufrieden zu geben. Wir sagen nicht: Wir haben es immer schon so gemacht – warum sollen wir es ändern. Es kommt vielmehr darauf an, die Sachen zu hinterfragen, andere Möglichkeiten zu schaffen, Strukturen aufzubrechen.
Welche Rolle spielen dabei die technischen Möglichkeiten? In Deutschland rücken im Augenblick die Produkte wieder mehr in den Vordergrund.
Für mich gibt es ein Dreieck: das Produkt – die Tradition – die Technik. Man muss diese drei Dinge in Einklang bringen, mit beiden Füßen auf dem Boden stehen. Das Produkt ist in diesem Dreiklang immer das Wichtigste. Die Technik sollte immer nur unterstützen.
Nimmt der Stellenwert der pflanzlich-vegetarischen Waren zu?
Wie auch anderswo, so denken wir in Spanien in eine grüne Richtung, doch vielleicht nicht so radikal. Es muss passen; es muss sich auch hier ein Dreiklang ergeben: pflanzliches Produkt – Fleisch – Soße. Die schweren Soßen werden selbstverständlich entschlackt, oder durch leichtere Flüssigkeiten ersetzt. Das Ziel ist eine gesunde, bekömmliche Küche. Die vermehrte Verwendung von Gemüse hebt natürlich ebenfalls das Schwere auf. Es geht um eine gute Küche – und nicht um das eine oder um das andere Extrem.
Können die Gerichte noch leichter werden als bisher?
Mit Sicherheit werden sie noch leichter werden. Wir müssen aber trotzdem darauf achten, die Produktpalette in der Küche vielfältig zu halten.
Zielt Vielfalt auf eine Vielfalt, die auf jedem einzelnen Teller zu sehen ist, oder auf die Abwechslung von Gericht zu Gericht?
Es geht nicht schlicht um die Vielfalt auf dem Teller. Es geht darum, welche Geschichte ich auf dem Teller erzählen will. Dafür braucht man manchmal wenige, manchmal eine ganze Reihe von Zutaten. Ich entwickle zuerst für das einzelne Gericht eine Idee – und diese Idee muss ich dem Gast verständlich machen. Das eine Mal benötige ich für etwas viele Worte, das andere Mal nur wenige. Das Schwierige ist, klar zu wissen, was man sagen will.
Hat der Asia-Hype, welcher im Moment die Produktvielfalt in der Küche sprungartig erhöht, auch die moderne spanische Kochszene erreicht?
Meine Küche ist eine Fusionsküche. Ich nutze natürlich asiatische Produkte und Techniken, gerade etwa den aus der koreanischen Küche konfierten schwarzen Knoblauch. Ich bin immer offen für Neues und halte Ausschau danach. Umgekehrt übt die spanische Avantgardeküche ja auch in Asien einigen Einfluss aus. Es ist ein Geben und Nehmen.
Ist die deutsche Hochküche in der Lage, die spanische zu beeinflussen?
Auch in diesem Fall gilt: Es ist ein Geben und Nehmen. Ich habe eben im Restaurant „Vendôme“ in Bergisch Gladbach gegessen, wo Joachim Wissler Küchenchef ist. Ich war begeistert von der Frische, ebenso von den Geschichten, welche Wissler auf dem Teller erzählt. Ich bin davon angetan, wie offen man beispielsweise bei der Chef-Sache in Köln mit deutschen Kollegen reden und sich austauschen kann.
Der Begriff der Molekularküche, welcher maßgeblich von der spanischen Kochszene geprägt wurde, ist in Deutschland seit geraumer Zeit aus der Mode gekommen. Man redet jetzt lieber von der transparenten Küche oder ähnlichem. Wie verhält es sich in Spanien selbst?
Der Begriff der Molekularküche gefällt uns Spaniern überhaupt nicht. Sie war eine Reaktion auf die Stagnation in der Kochkunst. Man fing an, sich mit Forschern und Naturwissenschaftlern zu unterhalten und beschäftigte sich mit chemischen Prozessen und der Umwandlung von Stoffen. Aber die spanische Hochküche ist bei den Einsichten in die Chemie der Lebensmittel nicht stehen geblieben. Es hat schon immer eine Entwicklung in der Küche gegeben, etwa bereits mit der Entdeckung Amerikas und neuen Produkten aus Übersee. Ich selbst mag den Begriff der evolutionären Küche.
Kann das Kochen noch kunstvoller werden, im Sinne der reinen, freien Kunst?
Ich weiß nicht, ob das Kochen eine Kunst ist oder keine Kunst. Es ist eine sehr schwierige Frage. Wir Köche sind im Grunde Handwerker, welche dem Kreativen und der Kunst sehr verbunden sind. Man muss sehen, was die Zukunft bringt. Die anderen, die bildenden Künstler und die Kritiker, müssen das Kochen als Kunst anerkennen. Nicht jeder Künstler honoriert, dass das Kochen eine Kunst ist – und nicht jedes Kochen ist tatsächlich eine Kunst.
Die Fragen stellte Erwin Seitz
Zur Person
Joan Roca, geboren 1964, aufgewachsen in der katalanischen Stadt Girona. Dort führt er heute als Küchenchef gemeinsam mit seinen Brüdern, Josep, dem Sommelier, und Jordi, dem Patisier, das Restaurant El Cellar de Can Roca. Das Lokal hält drei Michelin-Sterne und rangiert in jüngerer Zeit auf der Liste der „San Pellegrino World´s 50 Best Restaurants“ auf den vorderen Plätzen, abwechselnd auf dem 1. oder 2. Platz