Modena

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Oktober 2013

So schmeckt die Emilia Romagna

Schinken, Parmesan, Balsamessig und Lambrusco in Modena und Umgebung

 

Traditionelle Verkostung von Parmesan und Balsamessig
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Nach italienischem Verständnis gibt es zwei kulinarische Regionen im eigenen Land, die über andere hinausragen: erstens die Emilia im Norden, mit Zentren wie Bologna, Modena und Parma; zweitens Kampanien im Süden mit der Metropole Neapel.  Emilia und Kampanien polarisieren quasi die Esskultur in Italien: denn im Norden, so will es das Klischee, herrsche Üppigkeit, mit viel Schwein, Wurst und Schinken; im Süden pflege man die leichtere Kost, mit viel Salat und Gemüse.

Die Emilia grenzt an die Lombardei an; teils noch mit den fetten Böden der Poebene verbunden, teils geprägt vom bergigen Hinterland. Ein Schriftsteller und Kenner der Gegend wie Guido Piovene meint, das überschäumende Modena lebe regelrecht „aus dem Bauch“ und erhebe das Schwein zum öffentlichen Idol. Tatsächlich kann der luftgetrocknete Schinken aus Modena, der Prosciutto di Modena, herausragend schmecken.  Im Gegensatz zu seinem Nachbarn, dem Prosciutto di Parma, ist er in Deutschland kaum bekannt, weil seine Produktionsmenge erheblich geringer ist.  Die Qualitätsmaßstäbe liegen aber für den Modeneser Schinken noch höher. Während jener aus Parma oder aus San Daniele mindestens zwölf Monate reifen muss, verlässt der Schinken aus Modena die Metzgerei frühestens nach vierzehn Monaten.

Ein Vorzeigebetrieb für den Prosciutto di Modena ist die Metzgerei Salumificio Fratelli Guerzoni. Die Schinken stammen von Schweinen aus mehreren norditalienischen Regionen, wobei es sich um stattliche, ausgewachsene Tiere handelt, die 160 Kilogramm schwer werden und über ein marmoriertes Fleisch mit ordentlicher Fettschicht verfügen, da im Fett bekanntermaßen die begehrten Aromen liegen. Der Schinken wird lediglich mit Salz behandelt, um dann durch das Lufttrocknen allein die wunderbare, süßlich-nussartige Morbidezza des Schweins hervorzulocken.

Der Schinken von Guerzoni ist unglaublich zart und mild, zergeht auf der Zunge, wie eine Liebeserklärung. Am besten schmeckt er, wenn er fünfzehn bis achtzehn Monate reift. Man kann ihn einfach mit Schwarzbrot servieren, ebenso mit Feige und Melone. Oder man macht daraus Röllchen, gefüllt mit Parmesanstückchen und Balsamessig. Obligat ist auch ein Glas Lambrusco dazu.

Alles spielt zauberhaft zusammen; denn Schinken, Parmesan, Balsamessig und Lambrusco werden in der Region Modena seit Jahrhunderten gemeinsam kultiviert und wirken im Glücksfall wie eine Einheit. Schinken und Parmesan sorgen mit ihrem Fett für reiche Aromen; Balsamessig und Lambrusco gleichen mit ihrer Säure den Fettgehalt aus und geben dem Ganzen Frische und Spiel.

Der Bio-Hof Hombre vereint beispielsweise alles unter einem Dach, was für die Herstellung von Parmesan, sprich Parmigiano Reggiano, nötig ist. Das Futter für die 500 Kühe im Stall stammt aus eigenen landwirtschaftlichen Flächen, vorwiegend Heu und Mais. Neben dem Stall ist die Käserei mit riesigem Reiferaum, wo 7000 Käselaibe ihrer Vollendung entgegenstreben, teils nach 24, teils nach 30 Monaten. Gerade die letztere Variante bietet einen herrlichen, eindringlichen Geschmack.

Auf diesem Bio-Hof gibt es auch ein kurioses Museum mit heimischen Renn- und Sportwagen von Maserati und Ferrari. Man mag den Schluss daraus ziehen, dass Erzeugnisse der Region Modena fast immer etwas Leidenschaftliches, Passioniertes an sich haben, nur in gegensätzlichen Tempi: hier die flotten Rennwagen, dort die langsam reifenden Delikatessen.

Was das Letztere anbelangt, ist wohl der Balsamessig das berühmteste Produkt der Gegend. Es gibt zwei Varianten, die traditionelle und die moderne: zum einem den Aceto Balsamico Traditionale di Modena; zum anderen den Aceto Balsamico di Modena. Der Erstere macht nur noch eine verschwindend geringe Menge der Produktion aus, weil die Herstellung sehr zeitaufwendig und teuer ist; er gewinnt seine Finesse schlicht durch natürliches Reifen, sei es nach 12, sei es nach 25 Jahren. Das moderne Herstellungsverfahren kürzt diesen Prozess durch das maschinelle Eindampfen des Essigs ab und kann unterschiedlich Ergebnisse erzielen: von banal bis ganz köstlich.

Ein Erzeuger wie Aceto Balsamico del Duca der Familie Adriano Grosoli bietet sowohl traditionellen als auch modernen Balsamessig der Region Modena an und stellt sich auf die unterschiedlichen Wünsche der Kunden ein. So oder so wird hier mit Akkuratesse und Stil gearbeitet. Verführerisch und samtig, mit dem typischen Süße-Säure-Spiel, ist beispielsweise die Flasche „dal 1891“, hergestellt nach einem Rezept aus dem gleichnamigen Jahr im modernen Verfahren, ein Jahr im Eichenfass gereift. Heimischer Lambrusco-Most bildet die wesentliche Grundlage dieses Essigs.

Die Erzeuger von Lambrusco geben ihrerseits nicht vor, hoch komplexe Weine herzustellen, im Gegenteil, man ist stolz darauf, einen günstigen Alltagswein mit besonderer Note zu produzieren: einen fruchtigen Schoppen mit spitziger Säure. Diese rührt heute vorwiegend vom Charmat-Verfahren her, einer Zweitgärung im Drucktank. Es gibt verschiedene Lambrusco-Reben. Die Variante Lambrusco di Grasparossa gibt sich charmant, mit einem reizvollen, aromatischen Spiel, mit Noten von Kirsche, roter und schwarzer Johannisbeere. Eine andere beliebte Sorte ist Lambrusco di Sorbara. Erzeuger wie Chiarli machen daraus achtbare Weine, seien sie trocken, halbtrocken oder lieblich.

Für alle Spezialitäten aus Modena wurden längst Konsortien gegründet, um die jeweiligen Qualitätsmaßstäbe festzulegen und zu kontrollieren. Jüngst hat man nun auch ein übergreifendes Konsortium ins Leben gerufen, in dem alle anderen vereint sind: Piacere Modena.

Exkurs

Essig mit besonderem Wohlgeruch

Aceto Balsamico di Modena

An sich ist Essig sauer und nicht von vornherein eine Delikatesse. Doch schon in der Antike berichtete Columella, dass im nördlichen Italien, in der Region um Modena, Traubenmost eingekocht werde, um diesen süßer zu machen. Daraus entstehe dort Wein wie Essig. Es handelte sich wahrscheinlich bereits um ein Elixier, welches säuerlich und süß zugleich war und ein Spiel entwickelte.

Seit dem 16. und 17. Jahrhundert mehrten sich die Quellen, die über exzellenten Essig aus Modena berichteten, zumal die Stadt damals zur Residenz der Herzöge von Este ausgebaut wurde. Bei einem Staatsbankett zu Ehren der schwedischen Königin Christina im Jahr 1655 reichte man zum Damhirsch „Malvasia-Essig“, Essig aus Süßwein, ebenso zum Hasen eine „königliche Essigsauce“.

Seit dem 19. Jahrhundert ist für den Essig aus Modena der Begriff Balsamessig bezeugt, was so viel bedeutete wie: Essig mit besonderem Wohlgeruch, komplex, süß-säuerlich. Fausto Sentini schrieb 1863 in einem Aufsatz über die „Aceti Balsamici del Modenese: „In den Provinzen Modena und Reggio Emilia wird seit antiken Zeiten eine spezielle Essigsorte erzeugt, deren physische Erscheinungen und vorzügliches Aroma ihr den Namen Balsamessig einbrachten.“

Traditionell wird für den Balsamessig aus Modena der Most aus heimischen Reben verwendet, hauptsächlich aus Trebbiano und Lambrusco. Man lässt diesen Most unter freiem Himmel einkochen, auf 80 bis 50 Prozent seines ursprünglichen Volumens, anschließend vergärt der Most zuerst zu Wein und verwandelt sich dann zu Essig. Er kommt in eine Batterie, wie man sagt, welche in der Regel aus sieben Fässern mit abnehmender Größe besteht, von 100 bis 10 Liter; häufig sind vier Fässer davon aus Eiche (für süßes Vanillearoma), die anderen drei aus Maulbeerbaum (für dunkle Farbe), Edelkastanie (für guten Gerbstoff) und Kirschbaum (für ausgleichende Zartheit). Von Jahr zu Jahr wird der Essig von einem zum anderen Fass umgefüllt, um an Harmonie zu gewinnen. Die Fassöffnung bleibt jeweils ohne Stöpsel, wird nur von einem Tuch geschützt, damit ein großes Teil der Flüssigkeit über die Jahre hinweg verdunstet und der Essig an Dichte und Raffinesse zunimmt.

Diese herkömmliche Art der Herstellung wird mittlerweile staatlich geschützt und kontrolliert und darf „Aceto Balsamico Tradizionale Di Modena D. O. P“ genannt werden. Dieser wird stets in kugelrunde 0,1-Liter Fläschchen mit rechteckigem Fuß gefüllt und in zwei Varianten angeboten: einmal mit rötlicher Kapsel und einem Alter von mindestens 12 Jahren, das andere Mal mit goldener Kapsel und einem alter von mindestens 25 Jahren und der Aufschrift „Extravecchio“ – uralt. Die erste Variante kostet normalerweise über 50 Euro, die zweite über 100.

Daneben gibt es die moderne Art der Herstellung, die preislich um Einiges günstiger sein kann, weil dafür der Most oft weniger eingekocht und noch mit Weinessig angereichert wird; das können 20 bis 80 Prozent der gesamten Menge sein. Die Qualitätsschwankung ist viel größer, reicht von gewöhnlich bis ganz köstlich. Manche Erzeuger geben den Stoff aus Most und Weinessig auch noch in eine Verdunstungsmaschine, die in ein bis zwei Tagen eine Dichte schafft, die im traditionellen Verfahren nur über viele Jahre entsteht, wenngleich von anderer Raffinesse. Reift ein moderner Essig mindestens zwei Monate im Holzfass, darf er „Aceto Balsamico di Modena I.G.P.“ genannt werden. Wenn er mindestens drei Jahre im Fass lag, erscheint zusätzlich der Begriff „Invecchiato“ – gereift. Dagegen sollte man Balsamessige aus Modena ohne die Echtheitszeichen I.G.P. oder D.O.P. mit Vorsicht betrachten; sie enthalten gegebenenfalls nur Weinessig und Karamell für Farbe und Süße. Doch der moderne „Aceto Balsamico die Modena I. G. P.“ mit dem Zusatz „Invecchiato“ kann eine seriöse, etwas günstigere Alternative zum „Aceto Balsamico Tradizionale Di Modena D. O. P“ sein.

Die entscheidenden Qualitätsmerkmale für feinen Balsamessig aus Modena sind nicht unbedingt, wie man es immer wieder liest, die dunkle Farbe, die dickflüssige Konsistenz und das süß-säuerliche Aroma, was sowohl durch traditionelles als auch durch modernes Verfahren erreicht werden kann –  sondern die ungemein zarte Konsistenz und aromatische Vielschichtigkeit, mit Anklängen von Dörrobst und Schokolade, was vornehmlich durch jahrelanges Lagern in verschiedenen Fässern erreicht wird.  Moderne Balsamessige können dem nahekommen, wenn der Anteil an Weinessig gering ist, die Verdampfungsmaschine eingesetzt wurde und die Lagerzeit eine Weile andauerte.

Selbstverständlich lässt sich allerfeinster Balsamessig auch für sich genießen, als Digestif. Aber die wahre Zauberei entfaltet sich erst dann, wenn dieser Stoff mit seiner unvergleichlichen Art anderer Dinge hebt und veredelt: mit der tiefen schwarzbraunen Farbe und dem Samt der Konsistenz, mit der säuerlichen Frische wie der aromatischen Fülle. Dazu macht bester Balsamico die Speisen leicht und bekömmlich und fördert die Verdauung. Klassisch ist die Verbindung mit Parmesan und Modena- oder Parma-Schinken. Man gießt den Essig in ein Schälchen, tunkt das Käsestück oder die Schinkenscheibe darin ein und trinkt ein Glas Lambrusco dazu. Was für ein fürstlicher Beginn des Menüs! Berühmt ist auch die Begleitung zu Erdbeere und Feige am Schluss. Oder man verrühre naturreines Joghurt mit Sauerrahm, im Verhältnis 1:1, vermische damit auch etwas Zitronensaft und Weißtannenhonig, gebe das Ganze in ein Schälchen und begieße die Creme mit etwas Balsamessig.

Nicht minder gut schmeckt natürlich grüner Salat mit Olivenöl und Balsamessig – oder ein Risotto, in den man am Ende Balsamessig einrührt und ein paar Tropfen darüber träufelt. Im Sommer können Olivenöl beziehungsweise Würz-Öle und Balsamico die Soße ersetzen: über Gemüse, Kurstentier, Fisch, Hühnerbrust, Rindersteak. Man probiere einmal Heu-Öl und Balsamessig zu Rindersteak.

ERWIN SEITZ

Konsortium Piacere Modena, www.piaceremodena.it; Metzgerei Fratelli Guerzoni, www.salumificioguerzoni.it, deutscher Importeur: GI.VA, Rheinfelden, www.givaimport.de; Aceto Balsamico del Duca di Adriano Grosoli, www.acetobalsamicodelduca.it; Käserei Hombre, www.hombre.it; Weingut Chiarli, www.chiarli.com