Mai 2022
Vegetarische Feinschmeckerei
Restaurant Cookies Cream in Berlin-Mitte
Beim Bummeln Unter den Linden ahnt man es kaum, dass sich nur hundert Meter von den Linden entfernt, in einem Hinterhof, ein gastronomisches Wunderland auftut, nahe der Kreuzung Linden / Friedrichstraße, zugänglich von Süden her, über die Behrenstaße, über einen schmalen Weg zwischen der Komischen Oper und dem Hotel „The Westin Grand“, Nach einigem Suchen stehen Flaneur und Flaneuse im Restaurant „Cookies Cream“.
Der Zugang wie das Restaurant selbst muten ein wenig trashig, punkig an, denn das Lokal war 2007 aus einem ehemaligen großen Heizraum hervorgegangen, der aber längst mit komfortablen, umlaufenden roten Polsterbänken ausgestattet wurde, die Wände in Weiß gehalten, geschmückt mit ein paar Kunstwerken. Ort und Name des Lokals haben etwas damit zu tun, dass sein Betreiber, Heinz Gindullis, seine Karriere in Berlin als Musikclubgastronom begann und von seinen Freunden den Spitznamen „Cookie“ erhielt, Keks oder Scherzkeks. Die gewisse Undergroundatmosphäre des Restaurants gehört ästhetisch noch der Musikclubszene in Berlin an. Das benachbarte Restaurant „Crackers“, ebenfalls von Gindullis betrieben, war anfänglich tatsächlich ein Musikclub gewesen.
Das „Cookies Cream“ und das „Crackers“ markiren einen Zeitwandel: Aus den Berliner Partygängern der Nuller Jahre wurden in den Zehnern die Foodies. Der Zeitmensch ist nicht länger der vollgedröhnte Tänzer oder der Hipster, das Millenniums-Kind, das panische Angst hatte, die Potentiale des Lebens nicht voll auszuschöpfen, sondern der umweltfreundliche Connaisseur und Kenner der Genüsse, der Naturliebhaber, der Kunstverständige, der Feinschmecker. Ziel ist nicht die schwere, sondern die sanfte Berauschung des Lebens.
Da Gindullis Vegetarier ist, bat er seinen Küchenchef Stefan Hentschel, im „Cookies Cream“ vegetarisch zu kochen. Der Clou war, dass man der konventionellen vegetarischen Küche ein Schnippchen schlug und auf Tofu, Pasta und Risotto verzichtete. Stattdessen rückte man jenes Lebensmittel in den Vordergrund, das feine, entzückende Aromen entfalten kann, wenn man achtsam damit umgeht: das Gemüse, beiläufig das gesündeste Lebensmittel überhaupt, angereicht mit Pilzen, Nüssen, Ölen, Milcherzeugnissen, Butter, Käse, Eiern. Die Speisen sorgen für ein gutes Gefühl, körperlich wie moralisch. Man fühlt sich leicht und beschwingt.
Das „Cookies Cream“ wurde zum ersten vegetarischen Lokal in Deutschland, dem der „Michelin“, in der Ausgabe 2018, einen Stern verlieh, der bis heute über dem Restaurant leuchtet. Eine schillernde Location, die im Verbund mit dem „Crackers“ einiges über die jüngere Geschichte Berlins erzählt, nur einen Katzensprung vom Lindenboulevard entfernt. Auch hier, in Lindennähe, spielen sich gastronomisch wegweisende Dinge ab, wenngleich vorläufig noch im Hinter- oder Untergrund. Das erinnert fast ein wenig an E. T. A. Hoffmann, der einst, um 1820, die Linden auf und ab ging und an manchen Stellen, wie im „Öden Haus“, Geheimnisse entdeckte.
In Stefan Hentschels Küche machen sich die Prinzipien „edel vereinfacht – weltoffen märkisch“ bemerkbar. Seine Bezugsquellen sind gestaffelt: märkisch, deutsch, europäisch, global. Er arbeitet eng mit dem Gärtner Peter Janoth zusammen, der westlich von Potsdam seine Felder hat. Für den Anbau werden bevorzugt alte Samen verwendet, für Kopfsalat, Tomaten, Rüben oder Rote und Gelbe Beete. Viel bezieht Hentschel auch vom Biohof Marko Seibold, der südlich von Bremen alte Gemüsesorten pflegt, wie wilden Meerrettich, Haferwurzel, Klettenwurzel oder Knollenziest.
Hentschel bietet am Abend lediglich ein einziges Menü an, um konzentriert arbeiten zu können und Abfall zu vermeiden, dazu eine oder andere Gerichte, das sich im Laufe der Zeit als besonders beliebt erwiesen hat und immer wieder nachgefragt wird, wie das Quark-Semmel-Klößchen in Parmesansoße, mit saisonal wechselndem Gemüse wie der Artischocke. Das Klößchen liegt in einem tiefen weißen Teller, überzogen von der Soße. Welch ein Solo! Welch ein schlichtes farbliches Spektrum: Nuancen von Weiß und Gelb. Wie anmutig! Oder wie mutig vom Koch, diese Art der Einfachheit zu wagen – darauf zu bauen, dass dieses Klößchen mit Soße köstlich schmeckt und nichts zu wünschen übriglässt.
Für die Soße wurde eine kraftvolle Gemüsebrühe angesetzt, sämig gebunden mit geriebenem Parmesan, der die aromatische Fülle des Fonds potenziert und einen Touch von Reife und Morbidezza ins Gericht bringt, etwas vom Randbereich des Lebens, Tiefe und Geheimnis. Die Artischocke, die à la minute gegart wird, ist von ungewöhnlicher Feinheit und Frische – ein Anflug von Erde und Boden, aber alles andere als dumpf, sondern zart, cremig, nussig.
Zum Menü gehören „Bunte Beete mit Krapfen“. Auf dem Teller sieht man Gelbe und Rote Beete sowie den Krapfen, unterlegt mit einer rötlichen Soße. Der Krapfen ist gefüllt mit Erbsen und Meerrettichschaum, die Soße eine Reduktion von Beete-Saft, abgeschmeckt mit Sojasoße und Shisoblättern, aufgeschlagen mit märkischer Fassbutter. Die Shisoblätter bringen den leicht irritierenden, besonderen, frischen Ton in die Soße, herrlich gehoben von der Butter. Soßen gibt Hentschel nicht nur in Form von Tupfern, sprich nicht bloß für das Auge auf den Teller, sondern auch für den Gaumen, der sich freut, wenn er etwas mehr davon erhält, weil sie, die Gemüsesoße, so gut ist. Der Meisterkoch hat ein feines Gespür für die elementaren kulinarischen Sehnsüchte der Gäste.
Erwin Seitz
Das Restaurant Cookies Cream in Berlin Mitte, Behrenstraße 55, https://cookiescream.com
Mittlerweile ist Nicholas Hahn der Küchenchef im Cookies Cream.