Restaurant slate berlin

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Mai 2019

Vier Freunde für die Gastfreundschaft

Das Restaurant „Slate“ im Norden von Berlin-Mitte praktiziert mustergültig die neue Art der ungezwungen-eleganten Gastronomie mit feiner Küche.

Die Lage ist nahezu idyllisch; ein wenig anders als sonst in Berlin-Mitte. Die Elisabethkirche springt ein Stück von der Invalidenstraße zurück und schafft Platz für eine kleine parkartige Anlage mit Rasenfläche und großen Bäumen. Die Kirche selbst führt ins frühe neunzehnte Jahrhundert zurück, was auch nicht häufig vorkommt in Berlin; erbaut von einem großen Meister, von Karl Friedrich Schinkel in den Jahren 1832-34, damals noch im nördlichen Vorstadtgebiet. Eine noble Pfeilervorhalle lässt den Bau wie einen antiken griechischen Tempel erscheinen. Und der schmiedeeiserne Gitterzaun, der den Elisabethkirchplatz umzieht, stammt aus dem Jahr 1851. Ein Air von Kontinuität und gediegenen Verhältnissen.

An der Ostseite des Platzes liegt das Restaurant „Slate“. In der warmen Jahreszeit kann der Gast draußen auf der gepflegten Terrasse sitzen, doch auch innen ermöglichen große Fenster den Blick auf den Elisabethkirchplatz – und selbst nach hinten kann man durch ein großes Fenster schauen und entdeckt einen beschaulichen Berliner Hinterhof mit Sandkasten und Schaukel. Man fühlt sich als Gast eigentümlich in das Quartier eingebunden, ohne dass man sich beengt vorkäme. Ein paar transparent-skulpturale Raumteiler aus Eiche fördern den Eindruck des fließenden Raumes und schaffen doch gewisse Abschnitte und Rhythmen, samt Barbereich mit Hockern und Sesseln.

Das „Slate“ mit Blick vom Barbereich ins Restaurant

Als Nicolas Schmidt im Sommer 2017 das Angebot erhielt, die Lokalität zu pachten, erinnerte er sich an alte Freunde, mit denen er ein paar Jahre zuvor im Gourmetrestaurant „Lorenz Adlon Esszimmer“ im „Hotel Adlon“ gearbeitet hatte: er selbst als Kellner, Steffen Kellner ebenfalls als Kellner sowie Lukas Bachl als Koch. Man traf sich und wagte gemeinsam den Schritt, aus der Konzernhotellerie auszusteigen und ein individuelles, persönliches Restaurant zu schaffen, das im November 2017 eröffnet wurde, mit flacher Hierarchie: Schmidt als Patron, Bachl als Küchenchef, Kellner als Gastgeber und Restaurantleiter, dazu der eloquent-charmante Tobias Gennis als Sommelier.

Man spürt es als Gast, dass hier Freunde zusammenwirken und für eine ungezwungen-elegante Gastfreundschaft sorgen. Ohnehin bringen sie von ihrer Ausbildung her ein enormes Potential mit. Schmidt, der als geborener Hamburger regelrecht etwas von einem diskreten ehrbaren Kaufmann an sich hat, absolvierte seine Lehre als Kellner und Restaurantfachmann im renommierten „Hotel Vier Jahreszeiten“ in Hamburg – und er war dann in jungen Jahren auch schon gastronomischer Leiter im Kanzleramt, sah viele Staatsoberhäupter kommen und gehen und trug seinen Teil dazu bei, dass dort die Gespräche so angenehm wie möglich verliefen; Bachl arbeitete im nicht minder legendären „Hotel Traube Tonbach“ in Baiersbronn, und zwar in der „Schwarzwaldstube“ unter den Fittichen von Harald Wohlfahrt, berühmt für seine präzise Kochtechnik sowie für die sorgfältig durchdachten Kompositionen.

Patron Nicolas Schmidt

Küchenchef Lukas Bachl

Wie für seinen Lehrer Wohlfahrt, so ist auch für Bachl die klassisch-französische Haute Cuisine die Grundlage. Doch prägend war für Bachl ebenso die Zeit im „Lorenz Adlon Esszimmer“ unter Küchenchef Hendrik Otto, der die klassisch-französische Küche stärker entschlackt und offener für andere Einflüsse ist. Bachl selbst findet im „Slate“ zu seinem eigenen Stil: zu einer weltoffenen europäischen Küche, in der Frische und Leichtigkeit, Kräuter und Gemüse eine wichtige Rolle spielen, vornehmlich ergänzt von Krustentieren, Fischen und Geflügel, feinen, leicht verdaulichen Dingen.

Der Gast wird in nichts gepresst. Er kann das Lokal nach Gusto nutzen; er kann sich an die Bar setzen, dort einen Drink bestellen und ein paar Snacks auswählen; er kann sich an den Tisch setzen und à la carte essen, zwei oder drei Gänge, oder er kann sich für das Überraschungsmenü entscheiden, fünf bis acht Gänge, und dazu die entsprechende Weinbegleitung ordern.

Das Landei

In guten Restaurants erlebt das Landei ein Comeback – nämlich seit es wieder möglich ist, erstklassige Bioeier zu beschaffen. Einst, als es noch keine industrielle Landwirtschaft gab, galt das Ei vom Freillaufhuhn ohnehin als eine Delikatesse, zart und feinaromatisch, und vielleicht schmeckt ein solches Ei heute sogar besser denn je, weil gut ausgebildete Köche mittlerweile über ganz andere Gartechniken verfügen als anno dazumal. Im „Slate“ ist das Landei als Vorspeise oder Zwischengang zu einem Lieblingsgericht geworden, jetzt schon in einer dritten Variante auf der Karte: als „Landei 3.0“.

Tatsächlich kommt überlegene Kochkunst zum Zug. Das Ei wird im Wasserbad sanft bei 65 Grad Celius 65 Minuten gegart; dann trennt der Koch das Eigelb vom Eiweiß, verrührt Letzteres mit Creme fraîche und bedeckt damit den Tellerboden, darauf setzt er das warme Eigelb, das vor dem weißen Hintergrund wie eine Sonne leuchtet. Die ältere Hochküche hätte nun auch noch Alba-Trüffel darüber gehobelt sowie schwarzen Kaviar vom Stör und gebratene Stopfleber dazuzugeben, sündhaft teure Dinge, weil man das Ei selbst doch nicht für so wertvoll hielt. Anders Bachl; er weiß, was er an seinem Ei hat, und legt um das Eigeld herum grüne Kräuter, Kerbel, Dill, Frieseesalat sowie goldenen Saiblingskaviar und kleine Kartoffel-Croûtons. Das Eigelb schmeckt bezaubernd, so samtig und vollmundig; die Kräuter quietschen am Gaumen und steuern etwas Würzig-Erfrischendes bei, die Croûtons sorgen für den Crunch, untermalt von der Cremigkeit der Eiweiß-Schmand-Melange. Wundervoll ausgewogen.

Nicht von Ungefähr heißt das Lokal „Slate“, nach einem englischen Begriff, der im Deutschen Schiefer bedeutet, insbesondere Moselschiefer, der dem Riesling eine kräuterartig-mineralische Note verleiht, im Glücksfall begleitet von geschliffener Säure sowie Apfel- und Pfirsicharomen. Ein solcher Moselriesling passt bestens zum Landei als einem Lieblingsgericht der Gäste. Neben den frischen Kräutern auf dem Teller macht die würzige Säure des Weins das cremiger Gericht leichter; in diesem Fall schenkt der Sommelier einen 2017er Riesling „Mineralschiefer“ trocken vom Weingut Grans-Fassian in Leiwen ein. Allerdings kann man sich Moselrieslinge vorstellen, die das Kräuterartig-Mineralische und Zart-Fruchtige noch besser zur Geltung bringen. Das Spiel mit dem Schiefer dürfte im „Slate“ ruhige noch etwas prononcierter sein.

Das Kaninchen

Selten, dass man hierzulande ein gutes Kaninchen bekommt; oft schmeckt es trocken und belanglos. Doch Bachl hat ein feines Händchen dafür und offeriert „Läufchen vom Kaninchen“, behutsam geschmort, butterzart und schmelzig, der delikate Bratensaft aufgefrischt mit Bärlauch, begleitet von cremigem Blumenkohl und fruchtigen roten Johannisbeeren, die das frische und leichte Element in das Gericht bringen. Der Sommelier schenkt nun einen 2015er Silvaner ein, Casteller Schlossberg GG vom Fürstlich Castell´schen Domänenamt in Franken. Kein Wein vom klassischen Schieferboden, sondern vom Gipskeuper, durchzogen von Alabaster und ein bisschen Schieferton. Großartig.

Bachl rückt Zutaten in den Vordergrund, die weiland in der klassischen Hochküche eher eine Nebenrolle spielten, eben Kräuter, Gemüse, Früchte, Ei, Kaninchen. Er hält die kulinarische Hierarchie flach – und den kompositorischen Spannungsbogen hoch. Als Übergang vom Salzigen zum Süßen serviert er den Käse nicht blank, sondern als ein kleines komponiertes Gericht, balkenförmig angeordnet: Taleggio mit Rotem Rettich in Birnenessig und Senfmarmelade auf Sauerteigcracker. Man fühlt sich am Ende des Menüs vom Käse nicht erschlagen, sondern ist entzückt, bestens begleitet von einem Gläschen Madeira. So nimmt das „Slate“ in der feinen Berliner Gastronomie schon nach kurzer Zeit einen vorderen Rang ein.

Erwin Seitz

„Slate“, Elisabethkirchstraße 2, Berlin-Mitte

Das Restaurant hat dauerhaft geschlossen