Rheingau-Gourmet-Festival 2017

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April 2017

Jakobsmuschel, Schweinefuß, Einkorn, Brennnessel

Rheingau-Gourmet-&-Wein-Festival 2017: Von der euroasiatischen Linie bis zur „Heimatküche“ von Sebastian Frank

Was mag die neue kulinarische Saison bringen? Ein Festival wie das Rheingau-Gourmet-&-Wein-Festival, das seine Gäste zeitig im Jahr, von Ende Februar bis Mitte März, im „Kronenschlösschen“ in Hattenheim empfängt, sollte darüber Auskunft geben können. Auch dieses Mal präsentierten sich dort wieder namhafte Vertreter der Kochkunst: Drei- und Zwei-Sterne-Köche aus dem In- und Ausland, ergänzt von Spitzenwinzern rund um den Globus.

H. B. Ullrich: Grandseigneur und Patron des Rheingau-Gourmet-&-Wein-Festivals im „Kronenschlößchen“ in Hattenheim.

Schon der Blick auf die Speisekarten der einzelnen Meister verrät veränderte Produktvorlieben und Kompositionsideen. Der Hype um US-Beef, BBQ oder Kobe-Rind scheint sich abzuschwächen, der Trend zur pflanzlichen Kost entfaltet sich mehr und mehr. Neben Gemüsen kommen alte Getreidesorten wie Einkorn oder getreideähnliche Pflanzen wie Buchweizen zum Zug, auch die Palette der Milchprodukte wird breiter. Die Köche arbeiten nicht länger nur mit Butter und Rahm, sondern auch mit Molke oder Buttermilch, mit leichten frischen Sachen, die wegen ihrer gesundheitsförderlichen Bakterien auch von Medizinern empfohlen werden.

Nick Bril, der an der Seite von Sergio Heman in Antwerpen die Küche im Restaurant „The Jane“ leitet, offerierte im „Kronenschlösschen“ beispielsweise „Muscheln, Makrele, Anis, Molke“, während er die Jakobsmuscheln mit Buttermilch kombinierte. Den Hummer wiederum würzte er mit Dashi-Butter. Auch das ein Trend: Unter den japanischen Würzmitteln scheinen Sojasauce und Miso ihre Vorrangstellung in Europa einzubüßen, während Dashi, die eigentliche Seele der japanische Küche, jetzt den Vorzug erhält – eine Brühe, die bekanntermaßen aus Bonito-Flocken (vom geräucherten und luftgetrockneten Thunfisch) und Kombo-Algen hergestellt wird – eine wirklich köstliche Würze.

Bril reichte zum Hummer neben der Dashi-Butter schließlich Lachskaviar. Auch das war des Öfteren zu beobachten: Der seltene, kaum noch erschwingliche Kaviar vom Stör wird selbst in der Hochküche vom Lachs- oder Saiblingkaviar ersetzt. Gerade Letzterer ist seit einiger Zeit im Handel leichter erhältlich; er bezirzt durch sein helles Gold, seinen guten Knack und feinen Geschmack.

So schrieb der deutschjapanische Meisterkoch Tohru Nakamura, Küchenchef in „Geisels Werneckhof“ in München, beim Festival „Chawanmushi“ (eine Art von Eierstich) mit Saiblingkaviar und Nussbutter auf die Karte. Es gehört nun zum guten Ton, als Zwei- oder Drei-Sterne-Koch nicht einfach die Galerie der teuersten Produkte vorzuführen, sondern gewitzte Verbindungen zu schaffen, mit Dingen, die für sich genommen gewöhnlich anmuten, aber durch Zubereitung und Kombination verlockend werden. Ein Nachwuchskoch wie Ricky Saward, Sous-chef im Restaurant „Chairs“ in Frankfurt am Main, wagte die Kreation: „Jakobsmuschel, Schweinefuß, Einkorn, Brennnessel“.

Viele Köche schlugen beim Festival den Bogen zur asiatischen Küche. Das mutet weltläufig an; aber allzu schwer ist es dann doch nicht, mit Hilfe der euroasiatischen Linie eine gewisse Besonderheit zu erzeugen, sofern man nur geschickt ein paar asiatische Akzente in die europäische Küche einbaut. Doch man konnte in Hattenheim auch anderes erleben: die Besinnung auf die mitteleuropäische Tradition, ohne in ein Klein-Klein zu verfallen. Und diese Variante war bezaubernder als alles andere, dargeboten etwa von Sebastian Frank, Patron und Küchenchef im Restaurant „Horváth“ in Berlin.

Sebastian Frank, Patron und Küchenchef im Restaurant „Horváth“ in Berlin

Er selbst bezeichnet seine Küche als „Heimatküche“, bezogen auf die Küche seiner Mutter in Niederösterreich sowie auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse oder wilden Gewächse, die er heute als Berliner Koch aus der nahen Umgebung bekommt, aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Die lokale und regionale Orientierung, die sich nicht gänzlich gegenüber der kosmopolitischen Welt verschließt, scheint im Augenblick den Ton in der Hochküche anzugeben.

Frank kommt es nicht so sehr auf die geographische Breite und Exotik an, sondern eher auf zeitliche wie aromatische Tiefe, besser gesagt: auf Waren mit kürzeren und längeren Reifeprozessen nebeneinander auf einem Teller. Er hat die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen oder den kulinarischen Doppelpass im Blick, sei es, dass er traditionelle Rezepte aufnimmt und ins Zeitgenössische überträgt, sei es, dass er eben lange und kurze Garprozesse für ein und dieselbe Zutat auf dem Teller erlebbar macht und den Gast verblüfft.

Völlig ungewohnt und entzückend ist schon der Gruß aus der Küche: „Fleischaspik `Seleskowitz´ & Quellwasser“, serviert in einem kleinen zylindrischen Gläschen zum Nippen und Trinken, denn es handelt sich um eine heiße Fleischbrühe mit komplexen, regelrecht überbordenden Aromen, ein Elixier von samtiger Konsistenz und brillantem Geschmack. Man kann als Gast gar nicht recht deuten, aus welchen Nuancen sich das Ganze zusammensetzt.

So etwas wird heutzutage kaum anderswo serviert, hergestellt nach einem Rezept von Louise Seleskowitz, die Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein Wiener Kochbuch geschrieben hatte. Frank verrät, dass sich der Ansatz der Brühe über drei Tage hinzieht. Ausgekocht werden die unterschiedlichsten Stücke: Schinken, Suppenhuhn, Rehschulter, Ochsenschulter, Kalbsfüße, Wildhasenfleisch – dazu kommen Weißwein, Madeira, Zitrone, Estragon, Sternanis, Nelke. Der heutige Genießer erlebt Momente der Belle Époque, und neben der Fleischbrühe steht ein Glas mit reinem Gebirgswasser, das den Mund wieder frisch macht und in die Gegenwart katapultiert.

Sellerie `reif´ und `jung´ mit legierter Hühnerbouillon und gerösteter Selleriesaat

Das nächste Gericht gehört ganz der Gegenwart an, wirkt leicht und beschwingt, und die zeitliche Spanne innerhalb der Komposition umfasst etwa ein Jahr.  Es gibt „Sellerie `reif´ und `jung´ mit legierter Hühnerbouillon und gerösteter Selleriesaat“. In einem weißen Suppenteller ist der weiße Schaum der aufgeschlagenen legierten Hühnerbrühe zu sehen, darin Röllchen von gedämpften Selleriescheiben, obenauf die schwarzen Pünktchen der Selleriesaat, ein federleichtes farbliches Hin und Her von Schwarz und Weiß, ergänzt von einer geriebenen, hellbrauen Masse, die vom reifen Sellerie stammt, der ein Jahr lang im Keller von einem Salzteig ummantelt war und ein Aroma gewann, das an Liebstöckel und Kräuterwiese erinnert.

Weder dem Auge noch der Nase  oder dem Gaumen wird es bei den Gerichten von Sebastian Frank jemals langweilig. Ständig bieten sich Eindrücke dar, die man so noch nicht kennt. Vermeintlich Gewöhnliches, wie Sellerie, wird unter seiner Hand zu Außergewöhnlichem. Kein Mensch an diesem Abend vermisste Jakobsmuschel, Gelbflossenmakrele, Steinbutt – denn wunderbar war auch der nächste Gang: „Geflämmtes Forellenfilet mit weißem Schokoladen-Essigrahm, Dill, knusprigen Kalbskopf und geröstetem Senf“. Vermutlich hat diese neue Art der Hochküche auch etwas mit Berlin zu tun, genauer gesagt: mit Berlin-Kreuzberg, wo sich Franks Lokal, das „Horváth“, befindet. Dort kann man sich keine extrem teure Produktwahl erlauben. Man muss sich etwas einfallen lassen.

Zuerst erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ)