Sebastian Frank im Horváth

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Juni 2019

Exquisit

Mitteleuropäische Exotik

Sebastian Frank schlägt im Restaurant „Horváth“ in Berlin-Kreuzberg neue Wege in der Kochkunst ein und legt dazu nun auch ein Kochbuch vor.

Gemeinhin zählt Berlin derzeit neben Kopenhagen, London, Barcelona oder San Sebastián zu den stilprägenden europäischen Food-Metropolen. Die Kapitale an der Spree gilt für viele sogar als besonders experimentierfreudig, da sie in ihren sozialen Strukturen noch nicht so festgefahren ist und als erneuerte deutsche Hauptstadt noch jung wirkt.

So oder so: Zur lebendigen gastronomischen Szene in Berlin gehört das Paul-Lincke-Ufer am Landwehrkanal, just an der Grenze zwischen Kreuzberg und Neukölln. Am westlichen Beginn der Ufermeile reiht sich ein Lokal ans andere, und auf der gegenüberliegenden Seite findet zweimal in der Woche der Türkenmarkt statt. Hüben wie drüben wimmelt es von Menschen. Nicht unbedingt eine piekfeine Gegend, in der man Gourmettempel der herkömmlichen Art erwartet.

Äußerlich deutet kaum etwas darauf hin, dass man hier aktuell das wohl beste Restaurant Berlins findet, ausgezeichnet mit zwei Michelin-Sternen: das „Horváth“, in dem Sebastian Frank seit 2014 sowohl Patron als auch Küchenchef ist, unterstützt von seiner Frau Jeannine Kessler, die im Hintergrund das Unternehmen organisiert. Sie haben am Paul-Lincke-Ufer offenbar das richtige Biotop gefunden, das die Küche inspiriert: unorthodox, wagemutig, ungemein fein.

Von der Erscheinung her ist das „Horváth“ ein gepflegtes Gasthaus, das teilweise noch über die originale braune Holzvertäfelung aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert verfügt. In der warmen Jahreszeit kann der Gast auch im Vorgarten sitzen, umzogen von einem schmiedeeisernen Gitterzaun und beschattet von Bäumen sowie hellen Sonnenschirmen ohne Werbung.

Abendstimmung: Das „Horváth“ von außen
© Matthaes Verlag, Fotograf René Riis

Als geborener Österreicher nutzt Frank das Prinzip der Nordischen Küche, sich auf Heimatliches zu besinnen und es in zeitgemäß-verjüngter Form darzubieten. Das Ergebnis präsentiert er jetzt auch in einem Kochbuch mit dem Titel: „k u k [cook]“ – als Hinweis auf die Küche der ehemaligen k. u. k. Monarchie in Österreich-Ungarn. Der Meisterkoch wuchs seinerseits an der Grenze zwischen Österreich und Ungarn auf und lernte im Burgenland Koch, bevor ihn die Lehr- und Wanderjahre ebenso in die Hochküche nach Wien führten: ins „Steirereck“ unter Küchenchef Heinz Reitbauer.

Die freiwillige Begrenzung auf österreich-ungarische Bezüge zwingt den Koch, in die Tiefe zu gehen und sich eingehender mit der mitteleuropäischen Produkt- und Kochkultur auseinanderzusetzen. Das Buch ist Erinnerung und Neubearbeitung der Tradition zugleich. Der Aufbau des Werkes folgt den bevorzugten Waren Franks. Es sind nicht die herkömmlichen Luxusprodukte der Hochküche, nicht Hummer oder Steinbutt, sondern vermeintlich normale Sachen: Knollensellerie, tierische Fette ebenso wie pflanzliche Öle, Zwiebel und Knoblauch oder Wurzelgemüse und Pilze. Dieser Kochkunst haftet etwas Bodenständig-Zugängliches an, zugleich gibt sie sich ideen- und erlebnisreich.

Kurze Texte, die Frank eigenhändig, ohne Ghostwriter, verfasst hat, führen aufschlussreich in die einzelnen Themen ein. Es folgen jeweils einige Rezepte, begleitet von bestechend klaren und ruhigen Bildern, die der dänische Fotograf René Riis beigesteuert hat. Mit einem Male mutet alltägliches Gemüse ungewöhnlich delikat an, in nichts Fisch und Fleisch nachstehend. Frank erhöht die Sorgfalt und den Aufwand der Bearbeitung, ohne den Geschmackskern der Zutaten zu verfälschen.

Es geht ihm nicht um modernistische Dekonstruktion oder Verkünstelung, sondern um Essenz und vertiefte Aromata. Er nutzt eine breite Palette an Garmethoden, vom sanften Sieden bis zum kräftigen Rösten, kombiniert die Dinge so überlegt wie einfallsreich, richtet sie lässig-elegant an, ohne die Mühen, die dahinterstecken, prahlerisch zur Schau zu stellen. Franks Kunst hat Anmut.

Titelbild: k u k [cook]. Links die ein Jahr gereifte Sellerieknolle, aus der Salzteigkruste ausgebrochen
© Matthaes Verlag

Für den Amateur dürfte es nicht immer einfach sein, die Rezepte exakt so zu kochen, wie sie im Buch stehen. Doch nichts spricht dagegen, wenn der Leser in der Praxis das eine oder andere weglässt und sich das abschaut, was seinen Möglichkeiten entspricht. Ein Parade-Rezept ist „Sellerie, reif und jung“. Sellerie wird gleichsam mit sich selbst gewürzt: mit Geschmacksnoten unterschiedlichen Alters. Die Knolle wird im Salzteig gebacken und reift dann darin ein Jahr im Keller, bis sie einen überaus dichten Geschmack entwickelt, der etwas von Liebstöckelwürze an sich hat. Schließlich wird frischer Sellerie hauchdünn in Scheiben geschnitten, leicht gedämpft, als Rosette angerichtet und mit legierter Hühnerbrühe umgossen. Darüber hobelt man den gereiften Sellerie und streut geröstete Selleriesaat darüber. Eine vertraute Gemüsesorte vermittelt plötzlich mitteleuropäische Exotik.

Es ist bereits ein Gewinn, in diesem Buch die geröstete Selleriesaat als Gewürz zu entdecken – nicht nur für die Sellerieknolle, sondern auch für andere Gemüse, als eine Art von unaufdringlichem Geschmacksverstärker. Dasselbe gilt für die geröstete braune Senfsaat sowie für das Senföl, Dinge, die Frank gern verwendet, etwa als Würze für die geflämmte Forelle mit geeistem Essigrahm, Dill und Kalbskopfchip. Ebenso er greift immer wieder auf Mohn oder Leindotteröl zurück. Eine stärker pflanzlich geprägte mitteleuropäische Küche hat es so kaum nötig, fernöstliche Gewürze einzusetzen, weil auch heimische Mittel für Raffinesse und Überraschung sorgen können.

Zauberei mit Fetten

Zu den Steckenpferden des Meisters zählen nicht zuletzt tierische Fette, die als ungesättigte Fette eine Zeitlang von der Medizin verteufelt worden waren und vielerorts aus der Küche verschwanden. Doch Frank lässt sich von Moden nicht so leicht beirren. Tierische Fette, zumal von Tieren aus artgerechter Haltung, sind für ihn außergewöhnliche Geschmacksträger. Es reicht eine kleine Dosis: etwa Schmalz von geräuchertem Schweinespeck, Kalbsnierenfett oder Hühnersuppenfett. So findet man im Buch ein Rezept für „Gelbe Beete mit Rauchschmalzglasur und geröstetem Mohn“, ebenso „Frittierte Pilze mit Kalbsnierenfettschaum und Schinken-Karamell-Sud“, geleitet von der Idee moderner Leichtigkeit mit Geschmacksfülle.

Solcher Weise hat man die mitteleuropäische Küche noch nicht erlebt: weitgehend frei von kohlehydratreichen Zutaten – wenngleich Korn und Brot nicht ganz ausgeschlossen sind –  hauptsächlich mit Gemüse und Obst, etwas Fisch und Fleisch, doch oft mit tierischen Fetten, pflanzlichen Ölen und Ölsaaten gewürzt, wunderbar aromatisch.

Sebastian Frank
© Matthaes Verlag

Beim Besuch im Restaurant „Horváth“ bildet Brot den Beginn, weil der Duft von gutem Brot zur mitteleuropäischen Tradition gehört. Der Gast erhält anfangs ein Gläschen Zwiebelsud, komplex gewürzt mit Selleriesaat und Liebstöckel, dann verschiedene Brötchen, täglich frisch im Haus gebacken, darunter ein ungarisches „Langos“, ein frittiertes Hefebrötchen, sowie „Blunzenkrapferl“, Krapfen mit Blutwurstwürfeln, zudem ein Roggen-Sauberteigbrötchen, das ungemein knusprig und würzig schmeckt. Selbstverständlich wird auch etwas Butter, von allerfeinster Art, dazu gereicht. Umwerfend die kleine Portion Kartoffelstampf mit Nussbutter, die man daneben in einem zugedeckten Schälchen findet.

Der Hunger wird gleich eingangs besänftigt; das Gast ist beglückt von Wohlgeschmack, jenem, den Zwiebel, Brot, Butter, Kartoffel bieten können, und dann geht es weiter, leicht und beschwingt, von Gang zu Gang. Man kann sich entscheiden, ob man alkoholfreie oder vorwiegend alkoholfreie Getränke aus Gemüse und Obst dazu trinkt, die von der Küche hergestellt werden – oder ob man eine Weinbegleitung bevorzugt. Janine Woltaire ist Gastgeberin, Restaurantchefin und Sommelière in einem und hat das Weinangebot dem Stil der Küche angepasst: mit Weinen aus Deutschland und jenen mitteleuropäischen Ländern, die einst der Donau-Monarchie angehörten.

Auch in diesem Fall bedeutet die Begrenzung auf ein bestimmtes Gebiet keinen Verlust. Man freut sich als Gast, einmal erstklassigen Schaumwein aus Ungarn zu trinken, beispielsweise vom Weingut Kreinbacher „brut nature“, eine Cuvée aus Furmint und Chardonnay, die auf Vulkangestein wuchsen, brillant perlend, mit feinem Hefe-Ton und Kräuterwürze, angenehm trocken. Frau Woltaire, ihre Stellvertreterin Anne Brandhorst sowie die anderen Kellerinnen drängen sich nicht in den Vordergrund, sondern geben sich natürlich und herzlich. Küche und Service spielen vorzüglich zusammen und schaffen einen bezaubernden Ort – kein Chichi, kein Getue, weder auf dem Teller noch im Lokal. Wichtig ist anderes: Atmosphäre, Unterhaltung, bestes Essen, magische Momente.

Erwin Seitz

„Horváth“, Paul-Lincke-Ufer 44a, Berlin-Kreuzberg

www.restaurant-horvath.de

Sebastian Frank: k u k [cook]. Fotografie: René Riis. Matthaes Verlag, Stuttgart 2019. 240 Seiten. 79,90 Euro