Dezember 2016
Die Stille der Berge
Genuss für den Gaumen und die Seele
Gegenüber den westlichen schweizerischen Alpen sind die östlichen österreichischen Gebirgsmassive in der Regel nicht ganz so hoch und schroff, nicht ganz so dicht und erhaben, oft eher etwas gedehnter, heller, anmutiger, zumal im Salzkammergut südöstlich von Salzburg. Hinzu kommt, dass die gemächlich ansteigenden Bergflanken häufig mit größeren Seen verbunden sind. Nackte Kaltsteingipfel, Bergwälder, Wiesen und Seen bestimmen das Bild, gepaart mit malerischen Orten.
Die Zersiedlung der Landschaft hält sich in Grenzen, erst recht, wenn man den hintersten, südöstlichsten Teil des Salzkammergutes ansteuert, der schon zur Steiermark gehört: das Ausseerland, in dem Bad Aussee den Mittelpunkt bildet, umzogen von Orten wie Altaussee am Altaussee oder Grundlsee am Grundlsee. Auch Bad Mitterndorf zählt dazu, von wo aus man im Winter mit der Gondelbahn das Skigebiet der Tauplitz-Alm erreicht. Das macht die Vorzüge des Ausseerlandes aus: Es ist hier fast immer Saison; winters kann man auf gut präparierten Pisten Skifahren und Langlaufen, sommers wandern, zumal um die Seen herum, oder bergsteigen.
Das eigentlich Reizvolle ist, dass das Ausseerland ein ländliches Gebiet geblieben ist, in welches Industrie, Verkehr und Dynamik nur bedingt Einzug hielten. Von je her hat man hier gut vom Salzbergbau gelebt und sah keinen Anlass, über die Maßen den Tourismus zu forcieren. Eine gewisse Eigenwilligkeit der Leute kommt der Erhaltung der Landschaft zugute. Man findet Hotels und Gasthäuser von mittlerer bis kleiner Größe, angenehme, individuelle Häuser, die sich da und dort sachte fortentwickeln, und in Bad Aussee gibt es noch mehrere handwerkliche und kunsthandwerkliche Betriebe: Hutmacher, Goldschmiede, Maßschneider für Trachten und so fort.
Bei der Anfahrt in die Region muss man Passhöhen überwinden, die einem das Gefühl geben, einen versteckten, höher gelegenen Winkel von eigener Art zu erreichen. Tatsächlich erscheinen felsige Bergwände, als seien sie von einem Bildhauer herausgemeißelt worden. Schon im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert haben Künstler das Ausseerland als eine besondere Landschaft entdeckt, Dichter wie Adalbert Stifter und Hugo von Hofmannsthal, Musiker wie Brahms oder Maler wie Kokoschka. Gerade Vertreter der Wiener Moderne waren hier, samt Sigmund Freud mit seiner Familie, quasi zur Seelenkur. Bereits 1810 aber hatte Erzherzog Johann, der „Steirische Prinz“ der Habsburger, in seinen „persönlichen Aufzeichnungen“ das Wesentliche erfasst: „Es lieget über dieser Gegend eine Ruhe, die jeden, welcher Gefühl für die großartige Natur hat, ansprechen muss.“
Ein Anziehungspunkt für die Künstler war seinerzeit die „Café-Wirtschaft“ der „Wasnerin“ auf einem Plateau über Bad Ausssee, wo es besonders hell und sonnig ist und sich ringsum ein grandioses Bergpanorama bietet. Heute steht dort das Hotel „Die Wasnerin“, wo jetzt Petra Barta die Wasnerin ist und gemeinsam mit ihrem Mann Davor das Haus leitet. Sie übernahmen die Geschäftsführung vor ein paar Jahren und holten die Dichter wieder ins Haus, indem sie regelmäßig überregional bekannte Autoren zu Lesungen einladen. Ebenso holten sie mehr Natur ins Haus und schufen im Spa- und Wellnessbereich neue Ruheräume mit klaren Strukturen, natürlichen Materialien und verglasten Wänden, die den Blick auf die Szenerie der Bergwelt freigeben. Wer will, kann sich eine Liegekur à la Zauberberg gönnen, sich selbst vergessen und Entrücktheit erleben.
Solche Ruhe- und Flüsterräume mit weitem Blick auf die Berge oder das Meer gehören zu jenen Einrichtungen, die heutzutage die Hotellerie bereichern. „Wir wollten nicht länger ein gewöhnliches Wellnesshotel sein“, erklärt Frau Barta, „sondern Themen bespielen, die hier Bezüge haben, wie eben Literatur, Bergwelt, Natur, Ruhe, Muße, Gesundheit, eine stimmige Atmosphäre im Haus, die es dem Gast erlaubt, eine Auszeit zu nehmen.“ Entzückend sind die neuen „Auszeitzimmer“ zur Loserseite hin, mit sanft gehaltenen Pudertönen, Holz, Filzstoffen, Lehmverputz und mit großem Bett. Die Halbpensionsküche gibt sich ansprechend und vielseitig. Jeder Gang des Menüs bietet mehrere Wahlmöglichkeiten: vegan, vegetarisch oder mit Fisch und Fleisch.
Überhaupt ist das Ausseerland eine Genussregion, sei es für das Auge beim Wandern oder Skifahren, sei es für den Gaumen bei der Einkehr in Hütten und Restaurants. Die „Steirerhütte“ liegt außerhalb von Bad Mitterndorf in einer Wiesen- und Weidelandschaft. Die Hütte ist verhältnismäßig klein und hat innen nur ein paar Tische, sommers kann man auch draußen sitzen. Man könnte meinen, es gäbe einfache Hüttenbrotzeit. Aber der Gast staunt, wenn er innen in verglasten Kühlschränken die Rückenstücke von Ochsen, Färsen und Kühen am Knochen reifen sieht. Wunderbar, wie zart und tiefwürzig dieses Fleisch schmeckt, gerade jenes von einer zehnjährigen Kuh, die in Muttertierhaltung lebte und nicht durch Milchwirtschaft ausgemergelt wurde. Gesalzen wird das Fleisch natürlich mit dem gemahlenen Bergkernsalz des Ausseerlandes: mild und fein.
Die eigentlichen königlichen Tiere der Region sind aber die wilden Fische, die in der warmen Jahreszeit, von Juni bis Oktober, in den Seen gefangen werden, winters dann aus der örtlichen Zucht stammen, welcher dafür ein blitzsauberes, kühles und sauerstoffreiches Gebirgsbachwasser zur Verfügung steht. So oder so sind die regionalen Süßwasserfische von erlesener Güte, und die Palme gebührt wohl dem Seesaibling, mit wunderbarer Saftigkeit bei exakter Garzeit, gefolgt von Seeforelle, Bachforelle und Rheinanke (auch Renke oder Felchen genannt), die ein wenig magerer sind.
Nichts ist sinniger und appetitlicher, als solche Fische in einem Restaurant am Seeufer zu essen, wie im Seehotel am Grundlsee. Das Restaurant des Hauses, das Seeplatz´l, wirkt großzügig und geräumig und ist zum See hin wintergartenartig verglast, davor befindet sich die Terrasse. Der Gast fühlt von vornherein eine innige Verbindung zum See und zu den aufsteigenden Bergflanken. Küchenchef Matthias Schütz, der vor kurzem neu ins Haus kam, ist ein Zauberer, der behutsam moderne Methoden des Garens und der Zubereitung mit heimischer Produktkultur und Tradition verbindet.
Das Saibling-Filet wird langsam in Butter erhitzt und liegt zart und reintönig im schalenartigen Teller, begleitet von brauner Butter, weichem Stunden-Ei (eine Stunde bei 58 Grad gegart), Spinat und Kartoffelcreme, obenauf gehobelter weißer Trüffel. Alles spielt subtil zusammen, und man erlebt jene Momente, die nicht allein bezirzenden Geschmack, sondern Ergriffenheit vermitteln. So geht es fort; dem Fisch aus dem See folgt das Wild von den Bergen, Hirsch, Gams, mit Pilzen, Gemüsen und guten Weinen. Der Service ist ruhig und freundlich. Der Gast träumt.
Erwin Seitz
Erschienen in der Neuen Westfälischen und Neuen Osnabrücker Zeitung
www.diewasnerin.at ; www.gourmet-atelier.at (Steirerhütte) ; www.seehotelgrundlsee.at; empfehlenswerte Ferienwohnungen im Hütterhof, schlicht, aber nett eingerichtet, in bezaubernder Lage: www.members.aon.at/grundlsee.huetterhof ; Präsentation der handwerklichen und kunsthandwerklichen Betriebe: www.selektion-ausseerland.at , Tourismusamt: www.ausseerland.salzkammergut.at