Nördliches Burgenland, Juni 2012
Leben wie Gott in Pannonien
Träumen, schauen, essen und trinken am Neusiedler See
Sagen wir, der Gast landet morgens am Flughafen in Wien. Er mietet sich dort ein Auto und fährt eine Weile südöstlich weiter, um ins Burgenland zu kommen: stracks nach Neusiedl am See. Hier findet er in der Ortsmitte die Abzweigung, welche hinaus zum Wasser führt. Auf einer längeren Strecke sieht der Fahrer links und rechts der Straße nichts als dichtes Schilf – und ahnt, dass er jetzt in eine andere Welt eintaucht.
Am Ende des Weges erscheint die „Mole West“, ein Ausflugslokal, das schließlich und endlich den Blick auf den großen Neusiedler See freigibt, den einzigen Steppensee in Mitteleuropa, ringsum von einem breiten, oft leicht wogendem Schilfgürtel umrahmt, quasi als Schutzwall gegenüber der andrängenden modernen Welt.
Die „Mole West“ ist ein Glücksfall: nicht nur wegen der buchstäblich abgeschiedenen, traumhaften Lage, sondern auch wegen ihrer geradlinigen schnörkellosen Architektur aus Holz und Glas, die sich so unaufdringlich wie gewitzt in die unberührte, stille Landschaft einfügt. Vor dem luftigen Hauptgebäude schiebt sich eine gestufte Terrasse zum See hin vor, wie eine Bühne. Der Gast kann barrierefrei und entspannt auf das glitzernde Wasser schauen, kann die wechselnden Atmosphären auf dem See erleben, ein Gefühl von Freiheit spüren.
Die Leute sitzen unter hellen freundlichen Zeltstoffen (ohne Werbung und Kommerz), teils bequem auf Sofas, teils auf Stühlen an Tischen, bestellen bereits am späten Vormittag einen Aperitif oder ein Glas Wein, lassen sich leicht davon beflügeln, gleichsam meilenweit entfernt von den Menschen hinter dem Schilf, von jenen, die um diese Tageszeit ihre Arbeit tun. Hier draußen ist vor allem die Phantasie aktiv, ein Ort für Tagträumer und Luftbaumeister.
Die Hügelreihen westlich des Sees sind die letzten Ausläufer der Alpen und wirken noch typisch mitteleuropäisch: mit Feldern und Wiesen überzogen, mit Obst- und Weingärten und mit Wäldern. Dagegen gehört die flache Steppe östliche des Sees, auch Seewinkel genannt, schon zur ungarischen Pussta, mit heißem, regenarmem Klima. Dem Schilf folgen hier landeinwärts seichte Lacken und Wannen, die im Laufe des Sommers austrocknen und Salze bilden, welche ihrerseits in der Hitze schneeweiß blitzen.
Daneben finden sich Weiden, wo das silbergraue Steppenrind grast, geschmückt mit unglaublich schönen Hörnern: im Halbrund noch oben geschwungen, ganz so, als sei ein Maler wie Picasso der Demiurg der Rinder gewesen – oder als kämen die Tiere aus einer fernen arkadischen Zeit daher. Die grasenden Rinder halten die endlosen Weiden offen und können ungestört ihre Kreise ziehen, weil ihr Lebensraum zum Nationalpark Neusiedlersee-Seewinkel gehört. Der Tagträumer, der hier nach einem Drink spazieren geht oder mit dem Fahrrad fährt, kann sich an die baumarme afrikanische Serengeti erinnert fühlen.
Der Clou ist: Landschaftspflege und Feinschmeckerei spielen zusammen. Martin Karlo, ein Fleischermeister in Pamhagen, schlachtet die überschüssigen Steppenrinder des Nationalparks und bietet sie der Gastronomie an. Mitten in der Steppe, südlich von Podersdorf am See, am Rad- und Wanderweg nach Illmitz, liegt beispielsweise das Heurigenlokal „Zur Hölle“. Auf der leicht erhöhten Terrasse hat der Gast abermals einen wunderbaren Blick auf die Umgebung. Alt und Jung, Einheimische und Globetrotter, alle sozialen Gruppen sitzen hier zusammen und genießen das schöne Leben. Selbstverständlich gibt es auch mariniertes Rindfleisch vom Steppenrind. Das Fleisch der Tiere ist von fester Struktur und eigener Würze. Es eignet sich besonders für das Sieden, nachher kalt mariniert serviert.
Wie so häufig in Österreich, arbeiten auch im Burgenland Behörden, Naturschützer, Denkmalpfleger, Lebensmittelhandwerker, Gärtner, Winzer und Gastronomen eng zusammen, um so etwas wie eine „Genussregion“ zu schaffen. Die kulinarische Feinheit beginnt hier nicht erst mit der kunstvollen Komposition des Kochs, sondern schon bei der Produktkultur. Die Gegend bringt hinreichend Romantiker, Typen und Charaktere hervor, welche die Möglichkeiten der traditionellen heimischen Lebensmittel neu ausschöpfen.
Da ist das Mangalitza-Schwein, ein Wollschwein, welches zur Steppenlandschaft gehört und vor ein paar Jahrzehnten fast ausgestorben wäre. Es setzt viel Speck an, über welchen zwischenzeitlich der Bann ausgesprochen worden war. Erst als der italienische Lardo chic wurde, kam auch der Speck des Mangalitza-Schweins wieder ins Spiel. Angeregt durch Nationalpark-Direktor Kurt Kirchberger, züchten nun wieder verschiedene Liebhaber die Tiere in freien Gehegen. Während übliche Mastschweine es schaffen, innerhalb von fünf Monaten ein Gewicht von 100 Kilogramm zu erreichen, lässt sich das Wollschwein Zeit und braucht dafür ein Jahr. Ähnlich altehrwürdig und eigenwillig ist das Turopolje-Schwein, das manche dem Mangalitz-Schwein noch vorziehen. Da wie dort verleiht das langsame Wachstum dem Lardo eine unnachahmliche Kernigkeit und Würze, sahnig delikat.
Auch auf der anderen Seite des Sees, im westlichen Hügelland, tut sich etwas. Johannes Pinterits in Klingenbach gehörte beruflich der Medienwelt an, bevor er vor ein paar Jahren zum kreativen Quereinsteiger der Feinkostwelt wurde. „Die Selbständigkeit war immer in mir – i bin ja naiv“, sagt er kokett. Er baut leicht violette Krokusgewächse an, um im Herbst purpurrote Safranfäden zu ernten, alles in Handarbeit. Die Fäden werden säuberlich vom Griffel getrennt und anschließend nicht geröstet, sondern bei niedriger Temperatur getrocknet, um die duftenden Nuancen so subtil wie möglich zu erhalten: wie Honig, Orange, Ingwer, Erde, Leder, Noten des Bitteren und des Süßen, Düfte wie aus Tausendundeiner Nacht.
Um die gewisse eigene Exotik auszudrücken, sprechen die Burgenländer gern vom Pannonischen, abgeleitet von der einstigen römischen Provinz Pannonia in dieser Region. Das Epizentrum der feinen pannonischen Küche ist heute das „Gut Purbach“ in Purbach, mitten im kleinen, historischen Ortskern. Es handelt sich um ein Gasthaus mit Zimmern, einst erbaut im 16. Jahrhundert als eingeschossiger Vierseithof: die Wände puristisch weiß gekalkt, die Dächer mit roten Ziegeln eingedeckt, der Innenhof mit Steinplatten und Kies ausgelegt. Sommers sitzt hier der Gast unter jungen Platanen und hellen Sonnenschirmen, während seitlich Rosen, Lavendel und Salbei blühen. Der Betrieb gehört zum Projekt „Pannonisches Wohnen“ mit denkmalgepflegten, landestypischen Unterkünften.
Max Stiegl ist Pächter, Gastgeber und Küchenchef in einem. Er erscheint im Polohemd mit hellgrauer Latzschürze, um anzudeuten, dass hier kein Etepetete gilt, sondern gepflegtes Laisser-faire. Elegant betuchte Herrschaften aus Wien sitzen neben Leuten mit Radlerhose. Als Koch zieht Stiegl die Trümpfe der heimischen Produktkultur: Lardo vom Turopolje-Schwein, schmackhafte Tomaten und Wildkräuter wie Schafgarbe, Fische vom Neusiedlersee, Wels, Zander und Hecht, seltenes Wildgeflügel, Schnepfe, Rebhuhn und Fasan. Nicht zuletzt hat der Chef ein Faible für Innereien, ob vom Reh, vom Lamm oder vom Kalb, oft verfeinert mit den Gewürzen und Ölen von Johannes Pinterits. Auf den Tellern gibt es kein Chichi. Es werden jeweils ein paar Sachen ungezwungen, mit gutem Auge angeordnet, der Gast kann sich entspannen. Die Dinge sind meisterlich auf den Punkt gegart, bestens abgeschmeckt. Der Gast lebt hier wie Gott in Frankreich – oder besser noch: wie Gott in Pannonien.
ERWIN SEITZ
Adressen
„Gut Purbach“, Hauptstraße 64, A-7083 Purbach, Tel. 0043 (0) 2683 / 560 86, www.gutpurbach.at
Heuriger „Zur Hölle“, In der Hölle, A-7141 Podersdorf am See, Tel. 0043 (0) 2177 2252
„Mole West“, Strandbad-Westmole, A-7100 Neusiedl am See, Tel. 0043 (0) 2167 / 20205, www.mole-west.at
“Pannonischer Safran”, Johannes Pinterits, Ödenburgerstraße 55, A-7013 Klingenbach, Tel. 0043 (0) 664 2247 261, www.pannonischer-safran.at
„Pannonisches Wohnen“, Information durch Burgenland Tourismus, A-7000 Eisenstadt, Johann Permayer-Straße 13, Tel. 0043 (0) 2682 / 63384-0, www.burgenland.info
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