Cotswolds

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Mittelengland, September 2007

Wolle auf ihrer Haut

Wenn betuchte Londoner sich nach der Provinz sehen oder gut essen möchten, fahren sie in die Cotswolds

Natürlich liegt auch „Highgrove“, die Biofarm von Prinz Charles, in den Cotswolds. Die Gegend erscheint wie gemacht für betuchte Alternative. Es handelt sich um eine Art von englischer Urlandschaft, die weitgehend von industrieller Revolution verschont blieb. Sie erstreckt sich im westlichen Mittel-England, etwa zwischen Oxford, Bath und Stradford-upon-Avon, steigt von Osten her als ein sanftwelliges Kalksteinplateau an, ist überzogen von grünen Wiesen, grasenden Schafen und Lämmern, Hecken, zwitschernden Vögeln, kleinen Wäldern, Dörfern, Rosengärten und Landstädten, um schließlich im Westen eine dramatische Bruchkante zu bilden, die einen unendlich weiten Blick in andere Landstriche bietet.

Die Cotswolds wirken wie ein Korrektiv von zügelloser Moderne. Schon im neunzehnten Jahrhundert kamen aus London die ersten Aussteiger des Maschinenzeitalters hierher, um durch eine Verbindung von Kunst und Handwerk die unfeinen Erzeugnisse industrieller Produktion zu überwinden. Die „Arts and Crafts“-Bewegung sah in den Cotswolds das Gelobte Land. William Morris und seine Schüler wurden teilweise hier anssässig, gründeten Werkstätten für Möbel, Stoffe oder Teppiche. Man wollte nicht nur gegenüber der seriellen Herstellung der Dinge andere Möglichkeiten aufzeigen, sondern auch dem ideenlosen Kopieren historisierender Stile ein Ende bereiten. Es sollten schnörkellose, schöne Gebrauchsgegenstände für das breite Publikum entstehen, wenngleich die aufwendige Fertigung nur von wohlhabenden Herrschaften bezahlt werden konnte. Später machte das „Bauhaus“ jedoch solche Ideen fruchtbar, indem man das Zusammenspiel von Kunst und Handwerk durch das Element der Industrie ergänzte.

Die Cotswolds vereinen auf wundersame Weise beides: das Entlegene, Friedvolle, Traditionelle – und das Weltoffene, Regsame. Diese eigenartige Mischung kann man nirgendwo angenehmer erleben als in Chipping Campden, einer Landstadt im Norden der Cotswolds. Der Ort ist behutsam in die wellenförmige Wiesen- und Waldlandschaft eingebettet, wirkt verträumt, entrückt, ohne ein Hintertupfingen zu sein. Die langgezogene Hauptstraße, wo sich dicht an dicht die Häuser reihen, bildet das Rückgrat der Landstadt, während die gotische Pfarrkirche leicht zurückversetzt auf einem Hügel steht. Im Chor des Gotteshauses sieht man das Grabmal von Thomas Smythe, der im Jahr 1593 verstarb. Er liegt in voller Rüstung unter einem Baldachin. Erstaunt liest man, daß er sowohl ein örtlicher Landedelmann als auch der erster Direktor der „East Indian Company“ war.

St. James in Chipping Campden
© Stephen McKay, Quelle, Lizenz

Noch beeindruckender erscheint eine Grabplatte aus Messing, die genau im Zentrum des Chores in den Boden eingefügt ist. Dargestellt sind William Grevel, der 1401 verstarb, und seine Frau Marion. Obwohl das Denkmal rund zweihundert Jahre älter ist als das von Thomas Smythe, wirkt es anmutiger und moderner oder verkörpert zeitlose, bürgerlich-menschliche Ideale. Beide Figuren stehen aufrecht da, tragen lange Gewänder und falten über der Brust die Hände. William Grevel ist an der Taille umgürtet und trägt ein Schwert, während das Kleid von Marion Grevel in reizvollen, langen Linien nach unten fließt und sich am Boden leicht ausbreitet. Die Gesichter wirken wach und gefaßt und würdig, während über ihnen das Zeichen der Wollhändler zu sehen ist. Beide Figuren durchbrechen sacht religiöse und soziale Barrieren: geben sich demütig und fromm, aber auch menschlich würdevoll und modisch, kennzeichnen sich als Bürger und Kaufleute und treten doch als Gentleman (durch das Schwert) und als Lady auf. Die Inschrift verrät, daß beide aus London nach Chipping Campden kamen, um hier die „Blüte der Wollhändler ganz Englands“ zu bilden.

Die Provinz barg schon damals besondere Schätze, die die Urbanisten anzog. Die Wiesen der Umgebung nährten ein besonderes Schaf, das „Cotswolds lion sheep“, von dem man eine selten feine Wolle gewann, die im späten Mittelalter wie in der Renaissance in ganz Europa begehrt war und hohe Preise erzielte. Die andere Kostbarkeit lag unter den Wiesen; es war der beige bis goldene Kalkstein, der allen Häusern ein nobles Aussehen verlieh. Wenn man heute die Pfarrkirche von Chipping Campden verläßt, wird man betört von diesem zweifarbigen Kontrast: den grünen Wiesen ringsum und den beige-goldenen Gebäuden der Landstadt.

Alte Markthalle in Chipping Campden
© Richard Slessor, Quelle, Lizenz

An sich ist kein Haus wie das andere; mehrere Stile sind vertreten, Gotik, Renaissance, Barock, Klassizismus, und doch bleibt die Farbe immer diesselbe. Man erlebt Vielfalt in der Einheit. In der High Street können dazu noch mehrere kleine, individuelle Läden ihr Auskommen finden, nicht zuletzt da Touristen in angenehmen Maße den Ort besuchen. Es gibt Bäckereien, Metzgereien, Mode- und Antiquitätengeschäfte oder Galerien. In der Sheep Street entdeckt man die „Old Silk Mill“, die C. R. Ashbee, ein Schüler von William Morris, im Jahr 1902 in ein Werkstatt-Gebäude für Silberschmiede, Juweliere und Möbelschreiner verwandelte. Nachfahren der Gründer-Generation arbeiten noch heute hier und halten die Türen offen, sind nie um ein freundliches Wort verlegen.

Eine Besonderheit der Gastronomie sind die „Tea Rooms“, wie „Badgars Hall“ oder „The Bentam“ in der High Street. Die Räume liegen jeweils leicht unter dem Straßenniveau, sind geduckt, von niedrigen Balkendecken und weißen Wänden geprägt, wirken heimelig und behaglich, gewähren umgekehrt durch große Fenster auch einen Blick nach draußen. Es ist Brauch, „Cotswolds Cream Tea“ zu bestellen. Man erhält zwei Scones, Clotted Cream (dicken Rahm), Marmelade und Tee. Nach dem Verzehr dieser nahrhaften Kleinigkeiten kann selbst ein verregneter Tag dem Gast nichts mehr anhaben.

Der Boom der Haute Cuisine, der London seit ein bis zwei Jahrzehnten beglückt, erfaßt auch Chipping Campden. Wie eh und je zogen Leute von der Hauptstadt hierher, um vor geraumer Zeit in der Ortsmitte das klasszistische „Cotswold House“ von 1815 gastronomisch zu erneuern. Neben mehreren Zimmern erhielten auch die zwei Lokale des Hauses, die „Hicks Brasserie“ und das Restaurant „Juliana´s“, ein dezentes, modernes Design. Am Wochenende treffen Mitglieder des Smart Set aus London ein, um im „Juliana´s“ frisches Krebsfleisch aus Cornwall oder Lamm der neue Saison zu speisen. Das Frühstück gehört zum Besten, was man auf der britischen Insel bekommen kann: mit köstlicher Marmelade, Butter, Toast, zartem Rührei, gebratener, würziger Wurst.

Ein paar Kilometer weiter westlich stößt man auf die Bruchkante der Cotswolds, die einen rauschaften Blick in die Ferne freigibt. Von Chipping Campden aus führt der Wanderweg just über den „Broadway Tower“, der den Standpunkt noch einmal erhöht. Der eckige Kern der Turmes wird launisch wie elegant von drei schlanken Rundtürmen ummantelt. Peggy, die Countness of Coventry, ließ das Bauwerk im Jahr 1797 errichten, als bloße Narretei, wie man vermutet. Am Fuße des jähen Hangs liegt Braodway, wieder eine Landstadt aus goldenen Steinen. Man kann in der langgestreckten High Street im „Russell´s“ einkehren, das ebenfalls kürzlich von großstädtischen Aussteigern erneuert wurde.

ERWIN SEITZ

Broadway Tower
© Autor, Quelle, Lizenz

Weitere Informationen unter:

„Badgars Hall, Tea Rooms, Bed and Breakfast“, High Street, Chipping Campden, Tel. 0044 (0) 1 386 / 840 839, www.badgarshall.com

„The Bantam Tea Rooms and Guest House“, High Street, Chipping Campden, Tel. 0044 (0) 13 86 / 840386, www.bantamtea-rooms.co.uk

“Cotswold House Hotel”, High Street, Chipping Campden, Tel. 0044 (0) 13 86 / 840 310, www.cotswoldhouse.com

„Russell`s, a restaurant with rooms“, 20 High Street, The Green, Broadway, Tel. 0044 (0) 13 86 / 853 555, www.russelsofbroadway.co.uk

VisitBritain, Hackescher Markt 1, 10178 Berlin, Tel. 030 / 3157 1942, www.visitbritain.com/de