Höri am Bodensee

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Bodensee, September 2014

Regelrecht mediterran

Auf der Halbinsel Höri am Untersee des Bodensees kann man sich der Kunst des Müßiggangs widmen

Schon die Anfahrt mit dem Zug ist reizvoll, zumal wenn man vom Norden herkommt und durch den Rheingraben fährt. In Offenburg muss man umsteigen und genießt es, die erhaben-finsteren Höhenzüge des Schwarzwalds zu durchqueren. In Radolfzell sieht man dann endlich das große Wasser blinken, den Untersee, den südwestlichen Teil des Bodensees.

Mit dem Bus geht es auf die Halbinsel Höri, die sich just zwischen Radolfzell und dem schweizerischen Stein am Rhein ostwärts in den Untersee  hineinschiebt. Die Höri erscheint wie ein versteckter, idyllischer Winkel in Deutschland, ohne bedeutenden Durchgangsverkehr. Südlicher geht es hierzulande kaum noch, weder faktisch noch gefühlsmäßig. Man ist umgeben von Wasser und Pappelalleen, Weite und Helle, sanft welligen Streuobstwiesen und Gemüsegärten, Feldern und ansteigenden Wäldern. Man hofft auf Erholung, reiche Genüsse, gute Geselligkeit.

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Die Halbinsel Höri aus der Vogelperspektive, im Vordergrund Radolfzell, Postkarte um 1900

Eine erste Station ist Moos, wo der Liebhaber von Süßwasserfischen und Gemüsen auf seine Kosten kommt: im Hotel „Gottfried“. Der Patron und Küchenchef Klaus Neidhart hat wie kaum ein anderer eine glückliche Hand für frisch gefangene Bodenseefische, besonders auch für das Felchen, das andere Köche schnell wegen seines milden Geschmacks unterschätzen. Aber Neidhart konfiert das Filet vom Felchen, gart es sanft im Ofen mit Öl, umlegt es auf dem Teller mit Gemüsen, leicht von weißer Buttersoße überzogen. Das Gericht schmeckt wunderbar zart und fein, mutet wie ein kulinarisches Spiegelbild der umliegenden Landschaft an. Man fühlt sich angekommen.

Patronin Gerlinde Neidhart schenkt dazu einen Müller-Thurgau vom Weingut Clauß in Nack ein, spontan mit wilder Hefe vergoren, mit herrlicher Tiefe und Würze und tollem Nachklang. Es folgt ein Stück vom Hecht, saftig auf der Haut gebraten und frei von Gräten. Selten erlebt man wie hier, was für ein großartiger Speisefisch der Hecht sein kann, umzogen von roter Zwiebelsoße. Grundlage der Soße ist die Höri-Bülle, eine rote mild-süßliche Zwiebel, der eigentliche Star des Höri-Gemüses.

Der Weg führt weiter nach Horn, das etwas höher liegt, auf der Höri weit nach Osten vorgeschoben, mit traumhaftem Rundblick über den Untersee, am besten von jener Anhöhe aus, wo sich die barocke Dorfkirche mit dem Friedhof befindet. Man schaut auf die Insel Reichenau und erkennt in der Ferne auch die breite Turmfassade des Konstanzer Münsters. An der Friedhofsmauer gedeihen Weinstöcke, am sanften Abhang folgen die typischen Streuobstwiesen, unten funkelt der See.

Die Kirche, der nahe Pfarrhof und das traditionsreiche Gasthaus „Hirschen“ bilden ein klassisches Dorfensemble in der Mitte. Im „Hirschen“ gibt es auch noch so etwas wie eine Metzgerküche: mit Schlachtplatte vom Schwein, Innereien vom Kalb oder mit einem Ochsen-Kotelett, am Knochen abgehangen und gereift. Das marmorierte Kotelett wird dem Gast zuerst roh gezeigt, dann nach dem Garen am Tisch tranchiert. Ein elementarer Schmaus! In der warmen Jahreszeit sitzt man im schattig-luftigen Biergarten mit plätscherndem Brunnen und Blumen. Gäste mit Halbpension können hier auch eine leichtere Fisch- und Gemüseküche genießen, Felchen natürlich, Flussbarsch, der hier Kretzer heißt. Gelegentlich ist ebenso ein Stück von der sehr raren Trüsche auf dem Teller, einer Kabeljauart, die sich im Süßwasser wohl fühlt, mit verhältnismäßig festem und delikatem Fleisch. Dem Gasthaus schließen sich moderne Hoteltrakte an, so schnörkellos wie komfortabel.

Nur nichts Unruhiges, Plüschiges, Überladenes in den Räumen eines modernen Landhauses, sondern erholsame Klarheit! Umgekehrt sollten die Zimmer auch nicht zu karg sein, sondern Annehmlichkeit vermitteln, alles Ton in Ton, natürliche Materialien, Holz, Naturstein, Stoffe, ein großes Bett mit Federkissen, wie eben das Haus „Verena“ im „Hirschen.“ Auch die Speisen vermitteln ein Fluidum der Ruhe wie der lässigen Bewegtheit – mit Waren von echter Substanz. Man stellt sich hier längst auch auf ein junges urbanes Publikum ein. Bezaubernd, in der warmen Jahreszeit im Garten zu frühstücken, mit unverstelltem Blick auf die Streuobstwiesen und den Untersee.

Schon im frühen zwanzigsten Jahrhundert hatten Künstler, Dichter und Maler die Halbinsel Höri als Refugium entdeckt, darunter berühmte Namen wie Hermann Hesse oder Otto Dix. Das schlichte Bauernhaus, in welches Hesse und seine Frau Mia 1904 einzogen, ist heute ein Teil des Hermann-Hesse-Höri-Museums im Dorfkern von Gaienhofen. Das einfache Haus und die entlegene Gegend schienen den Ideen der Lebensreform entgegenzukommen, die Hesse zuvor in seinem Roman „Peter Camenzind“ entwickelt hatte, fern von Ballungszentren und Wilhelminischen Pomp. „Das einzige, was mir an Berlin gefällt, ist“, schrieb er damals aus Gaienhofen, „daß es so weit weg von hier liegt.“

In einem anderen Teil des Museums wurde eine entzückende Gemäldegalerie eingerichtet, mit Bildern der Untersee-Maler, etwa von Erich Heckel oder Walter Waentig. Der Betrachter hat das Vergnügen, die dortige Landschaft doppelt zu erleben: Einmal so, wie man sie selbst sieht, dann so, wie sie die Maler darstellen. Nach Absprache kann man schließlich auch das geräumige Hermann-Hesse-Haus besichtigen, welches die Familie Hesse 1907 für sich in Gaienhofen errichten ließ und bis 1912 bewohnte. Was für ein Sprung: vom engen Bauernhaus zur großzügigen Villa!

Villa am Dorfrand von Gaienhofen, die der Architekt Hans Hindermann 1907 im Stil der Lebensreform für Hermann Hesse und seine Frau Mia errichtet hatte. Die Familie Hesse wohnte hier bis 1912. ©Heinrich Stürzl, Quelle, Lizenz

Villa am Dorfrand von Gaienhofen, die der Architekt Hans Hindermann 1907 im Stil der Lebensreform für Hermann Hesse und seine Frau Mia errichtet hatte. Die Familie Hesse wohnte hier bis 1912.
©Heinrich Stürzl, Quelle, Lizenz

Auch Hesse hat in seinen Texten die Bodenseelandschaft charakterisiert, etwa in „Septembermorgen am Bodensee“, zu finden in der köstlichen Essaysammlung „Die Kunst des Müßiggangs“. Es handelt sich um eine Kunst, die man auf der Höri gleich einüben kann: durch Lesen und Nachdenken, ein besseres Verstehen seiner selbst und der Welt; durch Bewegung in der Natur; Schwimmen im Bodensee; ein Genießen von Luft, Landschaft, Wasser, Essen und Trinken.

Der Reisende kommt kaum daran vorbei, ebenso einen Ausflug auf die Insel Reichenau zu machen. Im frühen und hohen Mittelalter war die Insel ein Zentrum der Kultur in deutschen Landen. Immer wieder kamen Kaiser und Könige mit großem Gefolge hierher, nahmen das Kloster auf der Insel in ihren Schutz, ließen sich dafür üppig bewirten und gaben prachtvolle Bücher und Kunstwerke in Auftrag. Die drei klösterlichen Kirchen auf der Insel vermitteln noch etwas von der heute seltenen karolingischen und ottonischen Architektur. Man kann in eine andere Zeit versinken.

Zur Mitte hin wölbt sich die Insel leicht, und auf einem der höchsten Punkte entdeckt man das neue Hotel „Mein Inselglück“, in heller, luftiger Bauart, mit viel Glas, Holz und Metall, aber auch mit viel Sinn für das Detail, Farben und Formen. Vom Restaurant oder von der vorgelagerten Terrasse aus schaut der Gast über die Insel und auf das Wasser. In der Küche sind wiederum die kulinarischen Hauptsachen der Unterseeregion Trumpf: Fisch, Gemüse, Obst – regelrecht mediterran.

ERWIN SEITZ

www.hotel-gottfried.de; www.hotelhirschen-bodensee.de; www.meininselglueck.de;
www.tourismus-untersee.eu