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Köln, Januar 2015

Urquellen rheinischer Lebensfreude

Die Rheinmetropole ist nicht nur während der närrischen Tage eine Reise wert

Es lohnt sich, in Köln in die Tiefe hinabzusteigen, beispielsweise im Römisch-Germanischen Museum, unmittelbar südlich vor dem Domchor. Im Untergeschoss des modernen Gebäudes glitzert das Dionysos-Mosaik, ein ehemaliger Fußboden, der zum Speisezimmer einer antik-römischen Stadtvilla gehörte, just dort, wo das Kunstwerk heute noch im Museum zu sehen ist. Mehrere farbige Medaillons zeigen lebensfrohe, heitere Szenen mit dem Gott des Weins, der Fruchtbarkeit und der Ekstase. Dionysos wurde in der Poesie auch Lyäus genannt, der Sorgenbrecher.

Urquelle rheinischer Lebensfreude: Detail des römerzeitlichen Dyonisosmosaiks im Römisch-Germanischen Museum in Köln.
© Denis Barthel, Quelle, Lizenz

Schon denkt man über die Mentalität der Kölner nach. Das Sorgenbrechen heißt im zeitgenössischen Dialekt: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Der Rosenmontag, der höchste Feiertag der Stadt, mag den Besucher gar an dionysischen Wahnsinn erinnern. Ganz abwegig ist es nicht, Kölner Eigenheiten bis in die Antike zurückzuverfolgen. Das römische Stadtleben ging hier nie abrupt zu Ende. Nach archäologischem Befund erlebte Köln im frühen Mittelalter keine nennenswerten Zerstörungen und blieb fortdauernd ein Ort urbaner Kultur: ein Wegweiser städtischer Lebensart und Verfassung.

Erstaunlich, was sich in Köln schon im Jahr 957 abspielte. Nahezu ein ganzes Stadtviertel wurde abgerissen, um einen neuen riesigen Hauptmarkt zu schaffen, der später Heumarkt genannt wurde. Es handelte sich, vor über tausend Jahren, um eine städtebauliche Maßnahme ersten Ranges – regelrecht um ein Fanal wirtschaftlichen Aufschwung. Händler und Handwerker erhielten ein gut funktionierendes, repräsentatives Forum, fein säuberlich mit eingestampftem Kiesboden versehen. Deutlicher hätte man kaum vor Augen führen können, dass die Schicht der Kaufleute und des Kommerzes in der Stadt an Bedeutung gewann.

Vier Jahre zuvor, 953, war Bruno, der jüngste Bruder von Kaiser Otto dem Großen, zum Erzbischof von Köln wie zum „Erzherzog“ von Lothringen erhoben worden nahm damit gleichsam eine vizekönigliche Stellung im Westen des Ostfränkisch-deutschen Reiches ein. Bruno war als Knabe an der Domschule von Utrecht erzogen worden, um auf eine geistliche Laufbahn vorbereitet zu werden. Im Alter von vierzehn Jahren kam er als Kaplan an den königlichen Hof, ein Jahr später macht ihn sein Bruder Otto schon zum Kanzler der Hofkanzlei und des Reiches. Als er dann mit achtundzwanzig Jahren als neuer Erzbischof in Köln einzog, geriet die Stadt in einen wahren Taumel.

Ruotger, der Bruno persönlich kannte, verfasste eine Biographie über ihn und hielt darin dieses Ereignis fest: „Ein ungeheurer Volksauflauf entstand, ein ständiges unruhiges Hin- und Herfluten der Mengen, von neuem frohlockte freudig die Stadt. Die Geistlichkeit kam aus den Stiften, Nonnen strömten in Menge herbei, jeder Stand und Männer und Frauen fanden sich in ungewöhnlicher Freudenfeier ein.“ Es drückt sich die Begeisterung darin aus, dass so viele Menschen auf engem Raum zusammenlebten und eine Prozession bei festlichen Anlässen bildeten.

Der Erzbischof hatte im Wesentlichen die Verwaltung der Stadt in seiner Hand. Undenkbar, dass der neue riesige Hauptmarkt ohne sein Mitwirken entstanden wäre. Ob die Initiative von ihm ausging, als eine Planung von oben, par ordre du mufti, oder ob er sich von Kaufleuten beraten ließ und sie ihn drängten, tätig zu werden, bleibt offen. So oder so förderte er die Ökonomie der Stadt.

Mercator, Arnold, Der Plan der Stadt Koeln aus dem Jahre 1571 von Arnold Mercator mit markierten Kirchen, 2. Auflage von 1642, Kupferstich, Köln (Köln, Kölnisches Stadtmuseum, HM 1901/191 & KSM 1984/857. (Foto: © Rheinisches Bildarchiv Köln, Zimmermann, Rolf, rba_c013097)

Urquelle rheinischer Lebensfreude: Der Heumarkt als wirtschaftliche Pulsschlagader: In der Kölner Stadtansicht von 1570 von Arnold Mercator, im Vordergrund der Rhein mit Handelsschiffen.

1608 schildete der englische Gentleman Thomas Coryate in seiner Europareise, den „Coryates Crudities“, den Kölner Heumarkt, wo sich die Großkaufleute und Fernhändler täglich versammelten: „Dieser ist mit Ausnahme des Markusplatzes in Venedig der größte Platz, den ich auf meiner Reise sah. (…) so grandios und von so vielen prächtigen und prunkvollen Baulichkeiten an Längs- und Schmalseiten eingefasst, dass mich dünkt, wenn ein Bauer plötzlich in voller Einfalt und Unwissenheit daherkäme, würde ihm die Majestät dieses Platzes wie ein Traum verkommen.“ Die Schönheit des Platzes versank im Zweiten Weltkrieg in Schutt und Asche. Heute sieht man hier vor allem Bauten aus der frühen Nachkriegszeit. Doch der Platz selbst wurde in jüngerer Zeit wieder ansprechend gepflastert und großzügig gestaltet, so dass die alte Grandeur in Maßen fortlebt.

Im hohen Mittelalter wurde Köln zum Heiligen Köln, voll von Kirchen, die durch den Lichteinfall etwas Mystisches vermitteln: den Anflug einer anderen Welt, womöglich eines besseren Lebens, gütiger, liebender. Der Kölner wirkt tatsächlich nicht hochmütig, eher charmant. Man entdeckt Gotteshäuser, in denen sich antike und mittelalterliche Teile zu außergewöhnlichen Formen verbinden, wie in St. Gereon, in der nordwestlichen Altstadt. Man wird von einem ovalen Hauptraum überrascht, der auf einer römischen Gedenkhalle fußt; der hohe Aufriss zeigt im Innern schmuckvolle romanisch-gotische Elemente, Pfeiler, Bögen, Fenster, von nahezu höfischer Pracht. Unmittelbar gegenüber liegt idyllisch das ehemalige neogotische Stadtarchiv, in dem sich neuerdings das Hotel Qvest befindet und dem Gast die Möglichkeit bietet, in die Exotik des alten Köln einzutauchen.

Im Südwesten der Altstadt stößt der Flaneur auf das Haus Töller in der Weyerstraße, ein Gasthaus, das im Keller sowie im Erdgeschoss immer noch mittelalterliche Bausubstanz besitzt. Bis heute hat sich die Einrichtung aus dem späten neunzehnten Jahrhundert erhalten, geprägt von viel braunem Holz. Es gibt noch die klassischen Utensilien der Kölner Wirtshauskultur: etwa den „Beichtstuhl“, eine halboffene, hölzerne Kabine zwischen dem Hausflur, wo Bier vom Holzfass gezapft wird, und dem Gastraum. Der Wirt, Henning Heuser, sitzt hier und überschaut das Geschehen. Natürlich wird Kölsch eingeschenkt, von der Kleinbrauerei Päffgen, in die typischen, schmalen und dünnwandigen 0,2-Liter-Gläser. So elegant wie das Glas mutet auch das Kölsch selbst an, mit feinem, weißem Schaum, frisch und süffig. Frisch und schmackhaft zubereitet werden auch die Gerichte der Kölner Küche, wie „Himmel un Ääd“ –  Religiöses schwingt immer gern mit.

Demgegenüber lehnt sich die Küche im Restaurant Le Moissonnier in der Krefelder Straße, nördlich der Altstadt, an die französische Küche an, ohne sich penibel daran zu halten. Der Patron, Vincent Moissonnier, kreierte hier gemeinsam mit seiner Frau Liliane eine neue Form des Gourmet-Restaurants: Exzellente Küche verbindet sich mit einer ungezwungenen, aber gepflegten Atmosphäre. Es ist, als sitze man in einem Pariser Bistro oder in dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“. Küchenchef Eric Menchon verblüfft den Gast mit freien, würzigen Kompositionen, subtilen Puzzlespielen: wie bretonischer St. Petersfisch mit pulverisierter Sojasauce, Lavendelöl, Muscheln.

Es lohnt es sich, in Köln auch gastronomisch in die Tiefe hinabzusteigen. Nördlich schräg gegenüber dem Dom präsentiert sich das traditionsreiche Excelsior Hotel Ernst. Während man im Erdgeschoss, tief im Hausinnern, die Hansestube findet: seriös patrizierartig, fein mit Mahagoni vertäfelt und mit Gerichten der europäisch-deutschen klassischen Küche – tritt der Gast im Kellergeschoss in eine andere Welt ein: ins Restaurant Taku. Er schreitet über einen Laufsteg in das Lokal, gleich einem Walk of Fame, und genießt südostasiatisch-japanische Speisen, leicht und beschwingt. Schon der Gruß aus der Küche von Küchenchef Mirko Gaul bildet ein brillantes aromatisches Feuerwerk – wie Street Food im Pappkarton serviert: Fisch- und Schweinefleischbällchen auf Papaya-Salat. In Köln kommt beides wunderbar zusammen: die Liebe zur eigenen Stadt – und Weltläufigkeit.

Erwin Seitz

www.qvest-hotel.com; www.haus-toeller.de; www.lemoissonnier.de; www.excelsiorhotelernst.com; www.koelntourismus.de

Näheres über Köln und seine famose gastliche Geschichte in meinem Buch „Kunst der Gastlichkeit“, besonders in den Kapiteln 8 „Urbane Eleganz“ und 9 „Verfeinerung des Bürgers“. Link