Leipzig, Mai 2015
Passion légère
In der Messestadt an der Pleiße lebt der Luxus von einst sachte fort
Der Gast sitzt rund hundert Meter über der Stadt am Tisch und schaut durch große Fenster. Unten funkeln abends die Lichter: Leipzig strahlt, als sei es ein Ort von Glanz und Glamour. Tatsächlich war die Stadt im 18. und 19. Jahrhundert eine Messe- und Handelsmetropole von europäischem Rang, wo Kaufleute alles feilboten, was die Welt an Luxus hergab: Gewürze, Seidenstoffe, Porzellan.
Im himmelhohen „FALCO“ des Hotels „The Westin Leipzig“ kommt die Phantasie schnell in Gang, sei es im Restaurant, sei es in der Lounge oder in der Bar. Der städtische Luxus von einst setzt sich hier auf moderne Art fort: als ein Genussleben in der Höhe, als zeitgemäße Feinschmeckerei und Gastlichkeit auf höchstem Niveau: ungezwungen, elegant, als schwebe man über den Dingen.
Dementsprechend nennt Küchenchef Peter Maria Schnurr seine Kochkunst „cuisine passion légère ©“. Er ist hier die treibende Kraft, welche gewohnte Strukturen aufbricht, unterstützt von einem nicht minder famosen Serviceduo, von Maître Oliver Kraft und Sommelier Christian Wilhelm. Das jüngste Konzept heißt „DER! Tisch“. Gemeint ist ein viergängiges Menü, das nicht im Restaurant, sondern nebenan in der Lounge serviert wird: an einem großen blanken Eichenholztisch, wo zehn bis zwölf Personen Platz haben, individuell buchbar, zu einem verhältnismäßig günstigen Preis, ohne dass der Gast auch nur ein Jota an kulinarischem Genuss einbüßt. Die Leute sitzen dicht an dicht und können sich leicht gegenseitig kennenlernen, wenn sie wollen. Zwanglos verbindet sich hier traditionelle Gasthauskultur mit Gourmetküche und Höhenblick. Das Mittag- oder Abendessen beginnt ohne Brimborium. Es gibt keinen Gruß aus der Küche, keinen aufwendigen Service. Den übernimmt schlicht der Barkeeper der Lounge, während der Maître oder der Sommelier des Restaurants gelegentlich auf einen Sprung vorbeikommen, sich auf einen Plausch mit den Gästen einlassen oder sie nach Bedarf bei der Weinauswahl beraten. Gourmandise soll sich an diesem Tisch in den Alltag einfügen, nicht zu formell, nicht zu teuer, aber doch das gewisse Etwas bieten.
Traumhaft der Kabeljau aus Island, kross auf der Haut gebraten, saftig im Ofen mit Rosmarinzweigen nachgegart. Die Rippen des dicken Filets zerbrechen zart und saftig auf der Zunge und vermitteln einen Hauch von Meeresbrise, zugleich wird die bestimmte eigene Süße des Kabeljaus subtil von der Herbe des Rosmarins ausbalanciert. Vertiefte Sensorik! Auch der Kabeljau erscheint, wie jeder der vier Gänge, in relativ einfachem Geschirr, in einer Art von flachem Suppenteller, in diesem Fall mit metallisch glänzendem Goldrand. Ohne Pinzetten-Akrobatik wurde das weiße Filet mit brauner knuspriger Haut in die Mitte gelegt, umzogen von cremefarbener Soße, von einer Champagnernage; darauf liegen flockenleicht grüne Rosenkohlblätter, gehackte Rosinen und Rauchnüsse.
Verlockend gehen Farben, Düfte, Aromen ineinander über. Es sind keine extravaganten Gewürze nötig, denn der verführerische Geschmack erwächst aus den Dingen selbst. Man freut sich am Ganzen, doch auch an jeder Einzelheit, die ohne Anstrengung wahrzunehmen ist. Jede Zutat wahrt den Schein des Natürlichen; die Mühe des Kochs, die dahintersteckt, wird nicht noch durch technisch-dekorative Mätzchen hervorgekehrt. Wirklich: „cuisine passion légère © “.
Wie im „Falco“ lebt der Luxus von einst auch am zentralen Marktplatz von Leipzig fort, etwa in dem Fachgeschäft für Meissener Porzellan, just in den gewölbten Arkadenräumen des Alten Rathauses. Das einzigartige sächsische Porzellan trinkt das Licht, sagt man, und strahlt es tausendfach gebrochen zurück. Im Geschäft von Bodo Zeidler kann man sich davon überzeugen.
Anders als Preußen wurde Sachsen im 18. Jahrhundert als ein Land der Genüsse und Freuden hergerichtet. In der Leipziger Altstadt schlendert der Flaneur wie eh und je nicht nur durch Straßen, sondern ebenso durch Innenhöfe und Passagen, wo einst die Messewaren prunkten. Man folgt gern den labyrinthischen Verheißungen, lässt sich hierhin und dahin locken, etwa in die Mädler-Passage, und entdeckt im Untergeschoss das berühmte Lokal „Auerbachs Keller“, einen riesigen gewölbten Saal mit leichten Jugendstilanklängen von 1913. Spezialität ist der Sächsische Sauerbraten, schonend über Nacht bei niedriger Temperatur gegart und mit ausgezeichneter Soße. Oder man geht gleich in die „Historischen Weinstuben“ des Kellers aus dem 16. Jahrhundert, wo auch schon der junge Goethe zechte. Ein ähnliches Erlebnis bietet der „Barthels Hof“, ein prachtvoller Durchgangshof, welcher seine heutige Form im 18. Jahrhundert erhielt. Darin stößt man auf das gleichnamige Gasthaus „Barthels Hof“, wiederum mit angenehmen Gewölberäumen und guter sächsischer Küche.
Der Bau einer Börse in unmittelbarer Nähe des Rathauses, seit 1678 geplant und 1687 vollendet, bildete einst den symbolischen Beginn einer neuen Epoche in der Stadt. Während bis dahin die Gebäude oft noch den Elementen der Renaissancearchitektur treu geblieben waren, wandte man sich nun entschieden der Kunst des Barock zu: die Fassade blockhaft, aber konsequent symmetrisch geordnet; das Dekor voller Pracht, Noblesse und Lebensfreude. Das ganze Gebäude, von Kaufleuten gewünscht und vom Rat erstellt, erscheint bis heute wie ein Lustschloss. Über einer gewölbten Verkaufshalle liegt der Börsensaal (ursprünglich mit Stuckdecke, im Zweiten Weltkrieg zerstört), zugänglich über eine Freitreppe, die man später leicht veränderte.
Vier skulpturale Figuren des klassischen Altertums, die man an den Ecken des flachen Dachs auf luftigen Balustraden stehen sieht, spiegeln das Selbstverständnis des aufblühenden barocken Leipzig: Merkur und Apoll zur Freitreppe hin, Venus und Minerva auf der anderen Seite. Merkur und Apoll versinnbildlichen die zwei wichtigen stadtprägenden Elemente: das Messewesen, Handel und Kommerz sowie Universität, Wissenschaft und Kunst. Venus und Minerva zeigen darüber hinaus an, dass die Mühen, die mit Merkur und Apoll verbunden sind, noch keinen Selbstzeck bedeuten, sondern auch Muße ermöglichen sollen, Freizügigkeit und Lebensgenuss, Komfort und Urbanität.
Ein Spaziergang durch die Altstadt ist wie ein Zeitreise, bei der man immer wieder in der Gegenwart auftaucht. Das neue Museum der bildenden Künste erhebt sich als gläserner Kubus und führt das Leipziger Labyrinth im Innern fort: mit ungemein weiten und hohen Räumen, Terrassen und Passagen. Unter anderem sieht man die Neue Leipziger Schule mit Gemälden von Neo Rauch. Auch ein Besuch der gotischen Thomaskirche ist obligat, wo am Wochenende der Thomanerchor singt. Nicht zuletzt die Bach’sche Musik vermittelt Barock und Glanz.
ERWIN SEITZ
www.westinleipzig.com; www.auerbachs-keller-leipzig.de; www.barthels-hof.de; www.leipzig.travel
Näheres über Leipzig in meinem Buch „Kunst der Gastlichkeit“, Kapitel 15 „Galante Seidenstoffe und Porzellan“ Link
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