Neapel

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Italien, Oktober 2012

„Wir lieben den Vesuv“

Eine kulinarische Reise in das historische Zentrum von Neapel und auf die sorrentinische Halbinsel: Ursprungsorte des mediterranen Stils in der Küche

Das spanische Viertel in Neapel hat einen merkwürdig schlechten Ruf. Nicht einmal die Polizei wage sich noch in die Quartieri Spagnoli hinein, hört man. Der historische Stadtteil sei sich quasi selbst überlassen; heruntergekommen und beherrscht von Leuten, die nicht viel haben, den sprichwörtlichen Lazzaroni, abgeleitet vom armen Lazarus.

Welch ein Gegensatz zu den Hymnen, die von alters her über den Golf von Neapel und das umliegende Kampanien gesungen wurden! Glückliches Kampanien! rief einst Vergil aus. Man pries eine Gegend voll von üppigem Wachstum und kultivierter Landwirtschaft. In Rom, meinte Goethe, könne der Reisende die Kunst studieren, in Neapel das Leben.

Das ominöse spanische Viertel entstand m 16. Jahrhundert, seinerzeit als Neustadt gegenüber der östlichen Altstadt. Zur Prunkmeile wurde die nord-südliche Via Toledo, die die Altstadt vom spanischen Viertel trennt. Dort wohnten die wenig beliebten spanischen Soldaten, die von jeher dem Quartier einen schrägen Anstrich gaben – und das, obwohl der Stadtteil gut ausgebaut wurde; an der Via Toledo selbst entstanden reihenweise prachtvolle Adelspalais.

In solchen Palais kann man gute Übernachtungsmöglichkeiten finden. So durchschreitet man beispielsweise den mächtigen Eingangsbogen eines Hauses, kommt in den Innenhof und stiegt dort eine große Treppe aus schwarzem Vulkanbasalt empor. Alles atmete Höhe und Großzügigkeit. Im ersten und zweiten Stock liegt das Hotel Napolit`amo Toledo, mit wunderbar hohen Decken und angenehmen Zimmern.

Die Spaccanapoli: Typische Straßenschlucht im historischen Zentrum von Neapel
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Die Gäste fragen den Wirt, Signor Dario Napolitano, ob sie ohne Bedenken gegenüber ins spanische Viertel gehen könnten. O, gehen Sie hinein, sagte er, es wird Ihnen gefallen, glauben Sie nicht alles, was Sie darüber andernorts hören!

Schon die tief eingekerbten, schmalen Gassen ziehen einen an. Nur kleine Autos kommen hier noch durch und hupen; junge Mütter mit Kindern fahren auf der Vespa; Mütterchen beten in den Kirchen einen litaneiartigen Singsang. Kleine Bäckereien, Metzgereien, Fisch- und Gemüsestände reihen sich, überall unterhält man sich, es menschelt.

Der Besucher kann die Kunst des Lebens und Genießens studieren. Nicht, dass alles tiptop in Schuss wäre, aber was man an frischen Lebensmitteln sieht, mutete erstklassig an. Freschissimo – äußerst frisch! preist der Fischhändler seine Venusmuscheln an. Besonders lebendig geht es in der Via Speranzella zu. Die Preise sind überall unglaublich günstig.

Für die breite Bevölkerung war es in Neapel von jeher unabdingbar, zumindest auf kulinarischem Gebiet an feineren Genüssen teilzuhaben. Neapel brachte zwei Kernsachen der mediterranen Küche hervor, welche längst die Lieblingsgerichte der Kinder und Jugendlichen sowie der Erwachsenen in vielen Ländern geworden sind: die Pizza und die Pasta secca: die getrocknete Pasta ohne Ei wie Spaghetti. Beides besteht aus hellem Mehl, wirkt fein und leicht. Den Durchbruch erzielte man im 18. Jahrhundert, als es in der Umgebung der Stadt gelang, die sauren Tomaten durch Zucht in süß-säuerliche, wohlschmeckende zu verwandeln. Die herzhafte Tomatensoße entwickelte Umami-Geschmack, wurde zum Fleischersatz und machte Pizza und Pasta mit einem Schlag salonfähig.

Man kann sich auf den Weg machen, um die Urform der Pizza zu erkunden, ähnlich wie Goethe einst in Kampanien nach der Urpflanze suchte. Äußerst delikat sind die Pizzen in der Pizzeria Gino Sorbillo in der Via dei Tribunali 32, einer Hauptachse der Altstadt, welche ähnlich strukturiert ist wie das spanische Viertel. Die Pizza, sagt Signor Sorbillo, soll einfach und bekömmlich sein und auch günstig. Die seine hat einen leicht bräunlichen, würzigen Rand und ist innen überzogen vom Püree der feinfruchtigen San-Marzano-Tomaten und anderen Dingen; sie ist nicht steif, sondern hat einen biegsamen Boden und mundet wunderbar weich und sämig.

Auch die Mattozzi gehören zu den Pizzabäcker-Clans. Alfonso Mattozzi betreibt nicht weit vom Hafen entfernt das Mattozzi Europeo, Ristorante und Pizzeria in einem, eine noble Trattoria. Ein Gaumenschmaus sind hier die Vorspeisen, Mozzarella di bufalo: solo – in purezza (eine Zutat wäre eine Beleidigung); ebenso Torta rustica, gefüllt mit verschiedenen Käsen und Salami; ferner Strudel, gefüllt mit Friarelli, einer blättrigen Variante des Brokkoli.

Das Bahnhofsviertel steht in noch schlechterem Ruf als das spanische Viertel. Nichtsdestotrotz findet man hier das Ristorante Mimi alla ferrovia, ein Lokal, in dem sich Stadtprominenz und kundige Touristen vermischen, ähnlich wie im Berliner Borchardt oder in der Zürcher Kronenhalle. Der erste Gang ist so schlicht wie umwerfend: ein rundes Stückchen hauchzarter Ricotta di bufalo, daneben eine leicht gesüßte Tomaten-Marmelade, einfach Weiß und Rot, eine Erinnerung an glückliche Kindheitstage. So folgt hier eins dem anderen.

Die Reise geht weiter zum Fuße des Vesuvs, der schon längst in seiner ruhigen Majestät grüßte. In Ercolano, wo der Vesuvio Express den Aufstieg zum Vulkan organisiert, wachsen auch die kleinen ovalförmigen Versuv-Tomaten, die klassische Zutat für Spaghetti napolitana. Noch weiter südlich, in Gragnano, gibt es die traditionellen Pasta-Manufakturen, die noch halbhandwerklich arbeiten, wie Gentile oder Gerado di Nola. Südöstlich des Vesuvs liegt Sarno, wo die San-Marzano-Tomaten herstammen. Sie eignen sich für das Einkochen eines Sugos, während die Versuv-Tomaten schlicht halbiert in Olivenöl erhitzt werden.

Blick von Neapel auf den Vesuv

Auf die Frage, ob die Leute Angst hätten vor dem Vesuv, hört man: Nein, wir lieben ihn, er ist unser Freund und ernährt uns mit seinem fruchtbaren Boden – Geologen sind natürlich skeptischer, was die Freundlichkeit des Vesuvs anbelangt. Niemand kann garantieren, dass er nicht doch eines Tages wieder ausbricht.

Auch die rote Rebsorte Piedirosso ist rund um den Vulkan zu Hause und verträgt sich dank ihrer moussierenden Säure köstlich mit der Tomate. Die beliebte Cuvee Lacryma Christi del Vesuvio rosso, wörtlich die Tränen Christi vom Vesuv, besteht in der Regel vorwiegend aus Piedirosso und wird von verschiedenen guten Winzern angeboten, wie Cantina Grotta del Sole oder Azienda Vinicola Sorrentino. Essen und Trinken sind hier gut vernetzt.

Endpunkt der Reise soll die sorrentinische Halbinsel sein. Schon weit nach Westen vorgeschoben, hoch oben auf dem Bergrücken, befindet sich das Dorf Sant´ Agata sui Due Golfi – und mittendrin, am kleinen Markplatz, das Hotel und Ristorante Don Alfonso. Es handelt sich gewissermaßen um die Hohe Schule der mediterranen Küche, die ein Höchstmaß an Düften, Geschmack und feinem Gewebe bietet. Grundlage ist ein eigener bio-dynamischer Garten an der Steilküste, just gegenüber Capri, ein Paradiesgarten mit Oliven, Zitronen, Orangen und viel Gemüse. Donna Livia Alfonso ist vernarrt in ihren Garten und sagt: Wir wollen unserem Land wieder die hergebrachte Würde geben. Zauberhaft, wie ihr Sohn Ernesto frittiertes Gemüse zubereitet. Der umhüllende Teig ist becircend knusprig, das Gemüse selbst unglaublich zart und fein. Glückliches Kampanien!

ERWIN SEITZ

Pizzeria Gino Sorbillo

Via die Tribunali 32, Napoli

Tel. 0039 (0)81 446643

www.addademiadellapizza.it

Ristorante und Pizzeria Mattozzi Europeo

Via marchese Campodisola 4, Napoli

Tel. 0039 (0)81 552133

www.mattozzieuropeo.com

Ristorante Mimi alla ferrovia

Via Alfonso D´Aragona 19/21, Napoli

Tel. 0039 (0)81 5538525

www.mimiallaferrovia.it

Unterkunft

Hotel Napolit´amo Toledo

Via Toledo 148, Napoli

Tel. 0039 (0)81 5523626

www.napolitamo.it

Hotel und Ristorante Don Alfonso

Corso Sant´Agata 11/13, Sant´Agata Sui Due Golfi

Tel. 0039 (0)81 8780026

www.donalfonso.com