Stralsund

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September 2016

Das Tor zur Ostsee

In der Hansestadt Stralsund treffen europäische Linien aufeinander

Wenn sich die Hafenrundfahrt dem Ende zuneigt und das Schiff vom offenen Strelasund aus im Bogen auf die historische Mitte von Stralsund zusteuert, dann eröffnet sich ein herrliches Schauspiel: gewaltige gotische Kirchenschiffe und Türme ragen auf, gleichsam mittelalterliche Wolkenkratzer, künden von Kraft und Dynamik, hanseatisch-bürgerlichem Zutrauen, Reichtum, Kunstverstand.

Aber auch stolze Zeichen der Gegenwart stellen sich zur Schau; linker Hand die hohe Rügenbrücke, die das Festland mit der berühmten Insel verbindet, fertiggestellt 2007. Der Pylon, das heißt der aufragende Bauteil, über den die Tragseile der Brücke laufen, erklimmt eine Höhe von 128 Metern und vermittelt einen Anklang von San Francisco Oakland Bay Bridge und großer weiter Welt. Geradeaus erscheint an der Wasserfront der Stadt das Ozeaneum, ein Meeresmuseum, eröffnet 2008: nicht im traditionellen roten Backstein wie die Speicherbauten des Hafens daneben, sondern in hellem strahlendem Weiß, gleich der Farbe von Segeltüchern, geschwungen, wie im Wind flatternd.

Klugschnacker, Quelle, Lizenz

Blick auf die Stralsunder Altstadt
© Klugschnacker, Quelle, Lizenz

Stralsund ist in Bewegung, keine Puppenstube. Es strahlt etwas Würdevolles aus und doch auch Lebendigkeit. Der Anstieg der Gässchen lockt den Besucher zum Alten Markt, zum zentralen Platz der Stadt: mit angenehmer Größenordnung, fast quadratisch, beschaulich und zugleich imposant durch die majestätische Rathausfassade und die benachbarte Nikolaikirche. Wenngleich die Schauseite des Rathauses im späten neunzehnten Jahrhundert erneuert wurde, präsentiert sie im Wesentlichen die Konturen des Originals aus dem vierzehnten Jahrhundert: mit dem charakteristischen hohen Blendgiebel, rhythmisiert von sieben schlanken Pfeilern und durchbrochen von Maßwerkfenstern.

© JoachimKohlerBremen, Quelle, Lizenz

Schaugiebel des Stralsunder Rathauses am Alten Markt
© JoachimKohlerBremen, Quelle, Lizenz

Seinerzeit, als um 1350 diese Fassade entstand, erlebte Stralsund den Höhepunkt seiner Macht als ein führender Ort der Hanse, mit Handelsverbindungen nach Nowgorod in Russland, Bergen in Norwegen oder nach London und nach Brügge in Flandern. Belegt ist das bis zum heutigen Tag durch die Ausstattung der Nikolaikirche. Der Besucher entdeckt im Chorumgang die gravierte bronzene Grabplatte des Bürgermeisters Albert Hovener, der 1357 starb. Stilistische Merkmale deuten darauf hin, dass es sich um ein Kunstwerk aus Flandern handelt. Es erscheint ein lebensgroßer vornehmer Herr mit fein frisiertem halblangen Haar und eleganter Kleidung. Er konnte wohl problemlos als bürgerlicher Patrizier hohen Fürsten auf Augenhöhe gegenübertreten und mit ihnen verhandeln.

Entzückend sind die Relieftafeln aus Eichenholz vom Gestühl der Rigafahrer aus der zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, geschaffen von einem Stralsunder Meister. Gezeigt werden Szenen der baltisch-russischen Pelztierfänger, Honigsucher und Wachssammler, dazu kommen ein hanseatischer Kaufmann und sein Gehilfe, die die Waren einhandeln. Die Nikolaikirche diente durchaus der weltlichen Repräsentation stolzer Kaufleute, die sich kühn und kosmopolitisch gaben.

Es gibt ebenso Verbindungen zum Süden, ob bewusst oder unbewusst. Zieht man nämlich auf der Landkarte von Venedig aus eine schnurgerade Linie nach Norden, so stößt man an dem Punkt, wo das Festland wieder aufhört, auf Stralsund. Venedig und Stralsund bilden quasi eine Klammer um das mittlere Europa. Die Parallelität der beiden Städte ließe sich spielend fortsetzen: Da wie dort stößt der Gast auf eine kompakte historische Altstadt, umgeben von Waser, in exponierter Lage, jeweils eine Welt für sich. Einst Orte von eigener originärer Kraft – und selbstverständlich, möchte man hinzufügen, gehören beide Städte nun zum Weltkulturerbe. Schließlich könnte man der Meinung sein, dass Stralsund unter den deutschen Hansestädten an der Ostsee die eigentliche Königin ist.

Der Besucher kann sich in Stralsund in die Zeit versinken lassen und beispielsweise ins gotische Katharinenkloster gehen, wo jetzt das Stadtmuseum eingerichtet ist. Räumlich besonders bezaubernd ist der große sommerliche Speisesaal, der Remter, den die Dominikanermönche wohl um 1300 errichteten. Viele schlanke Säulen tragen das Gewölbe, ganz so, als schwebe die Decke – ein wirklich festlicher Saal, luftig, zart, elegant, ein Kunstwerk von europäischem Rang.

Während nun die venezianische Küche mit den Muscheln und Krustentieren der Lagune prunken kann, sind die Paradefische des Strelasunds der Hering und der Dorsch (Ostsee-Kabeljau), aber auch Süßwasserfische aus den dortigen Haff- und Boddengewässern wie der Bodden-Barsch (Flussbarsch) oder Zander sind äußerst fein.  Vorzüglich zubereitet werden sie im Hanseatischen Restaurant „Zum Scheele“ im Hotel „Scheelehof“. Im Kern besteht das Hotel aus zwei alten Patrizierhäusern aus dem vierzehnten Jahrhundert, und im Hanseatischen Restaurant sitzt der Gast in der Diele, im ehemaligen Kaufmannskontor, zwei Geschosse hoch, von nahezu kathedralartiger Anmutung.

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Hanseatisches Restaurant im Hotel Scheelehof, ehemalige Diele und Kaufmannskontor aus dem vierzehnten Jahrhundert.
© Christian Rödel

Die Phantasie kann spielen und sich vorstellen, wie hier einst die Pfeffer- und die Ingwersäcke, die Herings- und die Bierfässer meterhoch gestapelt wurden oder von dort aus eine Zeitlang in den Keller- und Dachgeschossen verschwanden.  Auch in diesem Hotel kann der Gast also in die Tiefe der Zeit eintauchen und sich zugleich gegenwärtigen Genüssen hingeben.  Kaum anderswo in Vorpommern dürfte man gastronomisch beschaulicher sitzen, während in der Küche die frischen regionalen Zutaten auf den Punkt zubereitet werden  und der Service stets angenehm präsent ist.

Sogar die Raumfolgen in diesem Haus erinnern ein wenig an die luxuriöse Anordnung in mittelalterlichen Klöstern, ähnlich wie im örtlichen Kathrinenkloster. So wie sich dort Speisesäle und Versammlungsräume verlockend aneinanderreihen, so entdeckt man im „Scheelehof“ mehrere einladende Lokale: unter anderem im  Kellergeschoss neben einer Kneipe ein Gourmetrestaurant, wo der Gast seine Aufmerksamkeit hauptsächlich dem Essen selbst widmen kann. Es handelt sich um das Restaurant „Scheel´s“, mit eher internationaler Orientierung, wenngleich der Stil der Skandinavisch-Nordischen Küche den Schwerpunkt bildet: leicht, frisch, subtil – von europäischer Klasse.

Henri Zipperling, der gemeinsam mit Björn Kapelke die Küche des „Scheel´s“ leitet, erklärt: „Wir verwenden viele Produkte aus dem Norden; ich sammle selbst wilde Kräuter in der Umgebung, dazu kommen erdige Noten, Knollenfrüchte, Pastinake, Kartoffel, Schwarzwurzel, ferner mögen wir die feinsäuerlichen Noten der Beerenfrüchte. Ich würde sagen, wir kochen modern, leicht, frisch, wobei Gemüse, Getreide und dergleichen gegenüber Fisch und Fleisch eine größere Rolle spielen.“

Die Anziehungskraft einer Stadt hängt nicht zuletzt davon ab, ob der Besucher angenehm einkehren kann. Stralsund hat in dieser Hinsicht seit geraumer Zeit wieder einiges zu bieten. So zieht es den Gast früher oder später auch wieder zum Hafen. Hier sind die Speisen eher etwas handfester, herzhafter. Auf der ehemaligen Bastion „Kron-Lastadie“ befindet sich im alten Kanonenschuppen das „Fritz Braugasthaus“; in Frankreich würde man von einer Brasserie sprechen, durchaus schnörkellos-urban eingerichtet, mit vorgelagertem Wintergarten und Terrasse. Das Fleisch kommt vom eigenen Bio-LandWert-Hof im nahen Stahlbrode. Überaus schmackhaft ist das gegrillte Kotelett vom Freilandschwein mit Speckschicht, Kräuterbutter, Brot und Rotbier. Am Schluss muss man unbedingt noch im dazugehörigen Feinkostladen ein Stralsunder Marzipan mitnehmen, mit wenig Zucker und viel Mandeln, traumhaft die Variante Sanddorn-Orangehappen – echt hanseatisch.

Erwin Seitz

www.scheelehof.de; www.kron-lastadie.de; www.stralsunder-marzipan.de; www.stralsundtourismus.de; empfehlenswerte Ferienwohnung für Architekturliebhaber: www.backsteinspeicher-stralsund.de

siehe auch:

Hotel Scheelehof in Stralsund, September 2016

Wagnis der Sterne

Interview mit Eike Sadewater, Geschäftsführer und Hoteldirektor des „Scheelehofs“ in Stralsund, und Henri Zipperling, Küchenchef im dortigen Sternerestaurant „Scheel´s“. Mehr