Gal Ben Moshe im Restaurant Glass

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August 2017

Märchenhaft

Gal Ben Msohe als Patron und Küchenchef im „Glass“ in Berlin

Historiker lassen die westliche Kultur gern im Nahen Osten beginnen: in Mesopotamien sowie im alten Ägypten. Von dort aus wanderten die Impulse früher Hochkultur nach Europa, bis sie schließlich in der Frühen Neuzeit Amerika erreichten. Die Biographie von Gal Ben Moshe ist regelrecht ein Spiegelbild dieser Entwicklung. Geboren in Tel Aviv, lernte er in seiner Heimatstadt das Kochhandwerk, während ihn seine Lehr- und Wanderjahre nach London und Chicago führten, bis er dann 2013 nach Berlin kam und hier sein eigenes Restaurant eröffnete: das „Glass“.

Gal Ben Moshe

Noch in jener Zeit, als er in Israel kochte, hatte er in Europa als Gast bereits ein Schlüsselerlebnis: im Restaurant „Le Moulin de Mougins“ an der französischen Rivera, wo Roger Vergé im Alter von achtzig Jahren immer noch Küchenchef und Patron zugleich war. Ben Moshe hatte damals die Gelegenheit, hinter die Kulissen zu blicken und Gespräche zu führen, tief beeindruckt davon, wie Vergé seine Küche für sich persönlich in „ein Stück Himmel auf Erden“ verwandelte. Der Maître ging darin auf, hatte alles im Blick, lebte für die Kochkunst, bis ins hohe Alter. So wollte Ben Moshe auch leben.

2008 ging er nach London und kochte bei Jason Atherton im „Maze“, das zur bekannten Restaurant-Gruppe von Gordon Ramsey gehörte. Hier lernte er ein freieres Kochen kennen. Zu guter Letzt verschlug es ihn in die Küche von Grant Achatz im „Alinea“ in Chicago. Das Entscheidende waren für Ben Moshe nicht die technischen Bravourstückchen, die das „Alinea“ weltberühmt machten, sondern die Basis: die klassische französische Küche, die dort perfekt eingespielt ist und alles möglich macht.

Um selbst Patron zu werden, wählte er Berlin, weil er den Eindruck gewann, dass man hier als noch junger, selbständiger Küchenchef nicht gleich vom Start weg vollkommen sein muss, sondern sich entwickeln kann, so wie die Stadt ihrerseits in ihren Strukturen nicht abgeschlossen wirkt – ein Ort für Kreative. Er fand hier im seinem Restaurant „Glass“ nach und nach zu seinem eigenen Stil: Rezepte des Nahen Ostens, besser gesagt, Gewürzmischungen und Zutaten der mittelalterlich-arabischen Hochküche, fließen ein in eine zeitgenössisch-europäische Haute Cuisine.

Er und seine Frau Jacqueline Lorenz schaffen eine Atmosphäre des Casual Fine Dining; sie leitet den Service, er die Küche. Die Bedienung erfolgt zügig, dennoch findet Frau Lorenz immer wieder ein paar Minuten für ein charmantes Gepräch mit dem Gast. Der erste Gruß aus der Küche ist ein gerösteter Falafel-Würfel mit etwas griechischem Joghurt und gebeizter Makrele. Je länger man das Würfelchen im Mund zermalmt, desto mehr entfaltet es seine Würzkraft, nachhaltig, wunderbar aromatisch, ohne aufdringlich zu sein. Auf Nachfrage erfährt man, dass hier die Würzmischung Baharat im Spiel war.

Der nächste Gruß aus der Küche erscheint in einer offenen Glaskugel: oben eine Schicht grünes Apfel-Granite, darunter ein Salzzitronen-Sabayon und am Boden eine köstlich-mineralische bretonische Austern. Wieder sind die Zutaten und Aromen fein ausbalanciert, und das Sabayon gewinnt seinen leicht animalischen, verführerischen Kick dadurch, dass ihm noch gefriergetrocknetes Austernpulver beigemischt wurde. Abermals hat man den Eindruck, dass man eine solche Komposition noch nicht im Mund hatte.

So geht es den ganzen Abend fort. Gemüse, Obst, Gewürze und Kräuter werden jeweils ergänzt von etwas Fisch oder Fleisch – angenehm leichte, abwechslungsreiche Folgen; quasi eine Küche für den modernen, aufgeklärten Typus des Flexitariers. Es folgen Röllchen von der Salatgurke, gepaart mit Freekeh, palästinesischem grünen Weizen, vergleichbar dem Dinkel-Grünkern, mit fabelhaft feinen Röst- und Rauchnoten, ergänzt von grünem Erbsenpulver und Joghurt.

Anschließend kommt Zander in Sesamsoße mit Saubohnen und Calamaretti auf den Tisch. Der Zander wurde vor dem Garen leicht mariniert, so dass sein Gewebe etwas elastischer als sonst anmutet, becircend harmonierend mit der zarten federnden Art des heiß angebratenen Tintenfischs. Nicht nur die Kompositionskunst  oder die Würztechnik, auch die Garmethode wirkt bei Ben Moshe ausgefeilt und auf der Höhe der Zeit. Die Gerichte werden nie zu penibel-korrekt angerichtet, sondern in lässiger Eleganz. Seine Frau empfiehlt vorzugsweise frische, nicht zu üppige Weine dazu. Irgendwann schwirrt einem das Märchen von Tausendundeiner Nacht durch den Kopf.

Erwin Seitz

Das Lokal ist zwischenzeitlich umgezogen und wurde mit ähnlichem Konzept unter dem Namen „prism“ in Berlin-Charlottenburg neu eröffnet, siehe dazu: Mehr