Restaurant Rutz, Berlin

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Mai 2022

Dem Geschmack Raum geben

Das Rutz in Berlin-Mitte nach dem Umbau im Frühjahr 2022.

 

Restaurant Rutz, eingerichtet von Gesine Weinmiller

Ein abgedroschenes Wort: Gourmettempel. Nicht selten sitzt der Gast dort in einem überdekorierten Raum, der verzweifelt versucht, Hochmögendes auszudrücken. Oder das Haus gibt sich in Zeiten der Formlosigkeit so leger wie möglich und bittet den Gast, am Küchentresen Platz zu nehmen. Selten ist der Gourmettempel tatsächlich ein Ort der Stille und Magie, so schlicht wie ergreifend.

Das Restaurant „Rutz“ kommt diesem Wunschbild mittlerweile nahe, ausgezeichnet mit drei „Michelin“-Sternen seit der Ausgabe 2020. Es wurde 2001 von dem Weinhändlerpaar Anja und Carsten Schmidt an der Chausseestraße in Mitte eröffnet, konzeptionell geprägt vom damaligen Restaurantchef Lars Rutz, der sich seinerseits von Marco Müller beraten ließ. Der erste Küchenchef im „Rutz“ war dann aber Ralf Zacherl, bis ihm Marco Müller 2004 folgte. Anfangs huldigte man hier der Hyperkreativität der Millenniums-Phase, wollte jung und dynamisch sein, schwor auf Molekularküche, Reagenzgläser, Vielerlei – geboren aus dem Geist industrieller Labore und der Vorstellung, dass die kulinarischen Möglichkeiten auf dieser Erde unendlich sein sollten. Doch es gab von Beginn auch schon den Drall ins Regionale, den Versuch, mit guten heimischen Waren zu kochen.

Dieser Zug gab mehr und mehr die Richtung vor: weg vom Hyperexperimentellen, hin zur Konzentration auf das Wesentliche und Nachhaltige – nicht Produktbreite, sondern Produkttiefe, der Aufbau einer erstklassigen örtlich-regionalen Produktpflege im Gespräch mit den Erzeugern, den Bauern, Gärtnern, Fischern und Fischzüchtern. Bald gab es am Abend nur noch ein Menü, sonst nichts, damit man sich um die einzelnen Sachen besser kümmern konnte. Die verschiedenen Gänge bestanden jeweils aus drei, vier Hauptzutaten, serviert in einem ruhigen runden Keramikteller. Die Gäste gingen mit, weil auch ihr Zeit- und Lebensgefühl zwischenzeitlich ein anderes geworden war.

Kürzlich wurde die Einrichtung des Hauses der entwickelten Kochkunst angeglichen. Gab es früher im Erdgeschoss die Weinbar und im ersten Stock das Restaurant, so bilden seit Mitte März 2022 die Räume unten und oben eine harmonische Einheit als Restaurant mit etwa dreißig Sitzplätzen. Der Umbau wurde nicht mehr, wie sonst, in Eigenregie unternommen, sondern man holte sich Fachkräfte ins Haus, die der fortgeschrittenen Küche angemessen sein sollten. Verantwortlich für die Pläne war die Berliner Architektin Gesine Weinmiller, die ihrerseits Berater hinzuzog, so für die Lichtregie „Licht Kunst Licht“.

Der achtsame, sorgfältige Umgang in der Küche mit den Waren spiegelt sich nun im Restaurant. Die Räume geben sich still und elegant, sind eher dunkel, romantisch gehalten, aber Spotlights werfen ein brillantes Licht auf die Teller und lassen die Farben der Zutaten leuchten. Die Gäste sitzen teils auf bequemen brauen Lederbänken, die sich betörend sanft anfühlen, teils auf Stühlen aus Nussbaumholz, die ein japanischer Designer entwarf. Der hohe Raum im Erdgeschoss öffnet sich galerieartig ins Oberschoss und vermittelt räumliche Großzügigkeit. Ein Werkregel, in dem Einmachgläser aus der Küche lagern, erstreckt sich vom Erdgeschoss ins Obergeschoss – als Narrativ und Rückgrat des Restaurants. Daneben rücken helle Sandsteinwände in den Blick, handwerklich zugehauen – die blanke Würde des Materials.

Küchenchef Marco Müller
© Ricarda Spiegel

Die Küche entdeckte währenddessen den Karpfen, einen traditionellen Bewohner der märkisch-mecklenburgischen Seen- und Kiefernlandschaft, der aber bislang in der Hochküche kaum zu finden war, weil er oft schlickig und modrig schmeckt, entnommen aus kleinen überbesetzten Teichen. Marco Müller sprach mit den Müritz-Fischern, die ihm nun große wilde Karpfen liefern, die drei bis vier Kilo wiegen und ein überaus feines reintöniges Aroma entfalten, vergleichbar mit der Gelbschwanzmakrele oder einem Yellowfin-Tunfisch. Geschlachtet wird der Karpfen nach der schonenden japanischen Ikejime-Methode, die es erlaubt, den Fisch einen Tag ins Eiswasser zu legen, damit er auch noch den leisesten Schlickton verliert. Anschließend reift das Karpfen drei bis vier Tage im Dry-aged-Schrank, damit sich sein Fleisch im Geschmack noch ein wenig verdichtet.

„Dry aged Karpfen & Holunder“

Auf der Karte steht „Drg aged Karpfen & Holunder“, serviert in zwei Etappen: zuerst erhält der Gast ein Tatar, dann ein gegrilltes Rippchen. Das Tatar gleicht einem Mille-feuille: Übereinander schichten sich verschiedenartige Dinge, die bezirzend zusammenwirken. Einer feinsäuerlichen Buttermilchschicht mit Holunder-Öl folgt das Tatar, das mit Garum mariniert wurde, einem vergorenen, reduzierten Karpfensud. Bedeckt wird das Tatar von einer rosaroten Rettich-Rosette bedeckt, gebeizt in milden Apfelessig, darüber erscheinen glamourös weiße Sauerrahmperlen mit Holunderblütenduft, dazu ein goldener Karpfen-Crunch aus gebackener Farce und Schuppen. Unvergleichlich, ein solches Tatar, so samtig, so zart umgarnt von hochfeinen anderen Sachen.

„Wir wollten Karpfen neu denken,“ meint Marco Müller. Restaurantchef Falco Mühlichen und seine Mitarbeiter erklären den Gästen den Aufbau der Gerichte. Jeder soll nachvollziehen können, was er isst. Sommelière Nancy Großmann stellt nicht minder charmant den Wein oder die alkoholfreie Menübegleitung vor. Das „Rutz“ dürfte im Moment das beste kompletteste Restaurant in Berlin sein, gerade in der Art, wie Einrichtung, Küche, Keller und Bedienung zusammenspielen.

Erwin Seitz

Restaurant Rutz in Berlin-Mitte, Chausseestraße 8, www.rutz-restaurant.de

Siehe auch Gespräch mit Küchenchef Marco Müller. Mehr