Hallmann & Klee

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Nice Dining

im Gasthaus-Restaurant

Das „Hallmann & Klee“ macht Berlin-Neukölln als Trendviertel alle Ehre

Der Ruhm einer Metropole hängt heute davon ab, ob die Kapitale auch jenseits der Mitte über lebendige Stadtteile verfügt, möglichst über solche, in denen das Establishment noch nicht Fuß gefasst hat und Spielraum für Neues vorhanden ist. In der Regel sind es die Bezirke um die Mitte herum oder gar erst in der zweiten Reihe, wie Berlin-Neukölln, das durch Kreuzberg von der Mitte in den Südosten der Stadt abgedrängt wird. Der nördliche Teil des Quartiers ist größtenteils noch von Wilhelminischer Architektur geprägt, von verdichteter Stadtstruktur mit Patina.

Lange stand Neukölln im Schatten Kreuzbergs, doch seit ungefähr 2005 mehren sich die Nachrichten, dass sich der „Problembezirk“, in dem die Menschen nicht miteinander, sondern nebeneinander her leben, Deutsche, Türken, Araber, in ein „Trendviertel“ verwandelt, weil Künstler, Kunsthandwerker, Studenten, junge Leute hier das Unfertige suchen, bezahlbare Mieten für Wohnungen, Ateliers, Ladengeschäfte, Lokale, die ihrerseits mit moderaten Preisen scharmieren.

Im Blickpunkt steht die junge Mode- und Bar-Szene im Reuterkiez, rund um den Reuterpark, just zwischen dem Landwehrkanal im Norden und der Sonnenallee im Süden. Neuköllns Kern liegt jedoch noch weiter im Südosten, zwischen der Sonnenallee und der Karl-Marx-Straße, im Richardkiez, um den Richardplatz, der einen spätmittelalterlichen Dorfanger darstellt, regelrecht idyllisch.

Nur ein paar Gehminuten vom Richardplatz entfernt, stößt man auf den Böhmischen Platz, der noch intimer wirkt, wie eine kleine Welt für sich, weit weg vom großen Trubel der Stadt, aber doch mit urbanem Flair, historisierenden Fassaden, dicht an dicht. In einem Eckhaus wurde 2016 das „Hallmann & Klee“ eröffnet. Es handelt sich um ein Lokal neuerer Art: weder Kiezkneipe noch Gaststätte oder Gourmettempel, sondern von all dem etwas, am ehesten an der Schwelle zwischen verjüngtem Gasthaus und Restaurant, ein Gasthaus-Restaurant.

Sarah Hallmann
© Anthea Schaap

Es sind keine Amateure, die hier ans Werk gehen. Sarah Hallmann, die Patronin und Gastgeberin, sowie ihre zwei engsten Mitarbeiter, Küchenchefin Rosa Beutelspacher und Pâtissière Nike Roessler, haben zuerst ein akademisches Studium absolviert und dann ein Handwerk erlernt: den Kochberuf, weil sie die einseitige Kopfarbeitet nicht ausfüllte. Die Lehr- und Wanderjahre führten die jungen Frauen in die Hochgastronomie, alle drei arbeiteten eine Zeitlang im Berliner Zwei-Sterne-Restaurant „Facil“ unter Küchenchef Michael Kempf. Frau Hallmann war auch Köchin im ehemaligen Sterne-Restaurant „Margaux“ unter der Leitung von Michael Hoffmann. „Ich war“, erklärt die Chefin und gebürtige Stuttgarterin, „einfach an einer guten Ausbildung interessiert, mit der ich mich identifizieren konnte: präzis, effizient, logisch, professionell, die Kapazitäten nutzend.“

Der Entschluss, nach dem Bachelor-Studium, „African Development Studies in Geography“, Köchin zu werden, war für sie von Anfang an mit dem Wunsch verbunden, sich einmal selbständig zu machen und ein eigenes Lokal zu entwickeln. Ziel sollte nicht ein bestimmter äußerer Rang sein, ein Sterne-Restaurant, sondern eine Gastronomie, die ihr selbst gefällt, ein Ort, an dem sie sich selbst wohlfühlt, weil man dort viele Stunden und Tage verbringt. Das erinnert an das New-Work-Movement: Leben und Arbeiten in Übereinstimmung mit den eigenen Träumen und Talenten.

Schon das Konzept der Einrichtung stammt von Frau Hallmann selbst, unterstützt allerdings von einem Freund, dem Architekten Thomas Kupke, der vorher bei Chipperfield gearbeitet hatte. Wenn der Gast das Ecklokal betritt, schaut er an der Nahtstelle zwischen den zwei Raumteilen auf skulpturale Formen: auf einen Tresen mit kubisch-gläserner Vitrine und einen Stehtisch aus poliertem Beton, kontrastiert durch den hölzernen Dielenboden und weiß gekalkte Ziegelsteinwände. Das Interieur beschränkt sich auf puristische Elemente – und überlässt es der Küche, die erste Geige zu spielen.

Hallmann und Klee
© Anthea Schaap

Der eine Raumteil, der einen Blick in die Küche bietet, wird von einem großen massiven Holztisch beherrscht, quasi als Einladung zum „family-style“. Auf der anderen Seite kann sich der Gast an kleinere Tische setzen. Ursprünglich waren sie von unterschiedlicher Größe und Höhe im Flohmarktstil. Doch das war Frau Hallmann auf Dauer zu formlos und unpraktisch. Jetzt stehen dort einheitliche kleine Tisch, die man zusammenschieben kann, bedeckt mit anthrazitfarbenem Linoleum, nicht mehr durch und durch bloße Natur. „Vom allzu Hyggeligen, Nordeuropäischen“, sagt Frau Hallmann, „bin ich weggekommen, ich mag nun mehr die klare Linie, urbane Eleganz, weniger dörflich. Berlin – selbst Neukölln – kann sich mittlerweile ein bisschen mehr zutrauen.“

Anfangs lag der gastronomische Akzent auf dem Frühstück, dem Mittagessen sowie auf Kaffee und Kuchen, weil man glaubte, dass man dafür in Neukölln ein Publikum finde. „Heute“, erklärt die Chefin, „können wir abends auch ein Menü anbieten. Wir rücken näher ans Restaurant heran, nehmen gerne Haltung an, wollen freundlich und zuvorkommend sein und wünschen uns das auch von den Gästen.“ Jetzt gibt es Frühstück und Mittagessen nur noch am Wochenende, an den andere Tagen öffnet das Lokal erst ab 18.00 Uhr, wobei Montag und Dienstag Ruhetage sind.

Intern sorgt die Akzentverschiebung für ein kleineres Team, das sich gut versteht und im Wesentlichen zusammenbleibt, darunter junge Frauen und Mütter, die zeitlich flexibel arbeiten können. Schon die Betriebsstruktur soll nachhaltig sein. Das Gleiche gilt für Speis und Trank. Man konzentriert sich auf das Wesentliche: auf eine modern-deutsche Küche, die ausgezeichnete frische Produkte verwendet, teilweise von ökologischer und weitgehend von regionaler Herkunft, mit handwerklicher Sorgfalt bearbeitet, so frei wie sinnvoll komponiert, ohne Schickimicki.

Der Begriff des Gasthauses war nie ein Leitmotiv. Aber instinktiv spielt man im „Hallmann & Klee“ mit Elementen gediegener Gasthauskultur, nicht nur bei der Einrichtung, sondern auch in der Küche. Die Chefin meint: „Man muss nicht nur modern sein und im Zeitgeist denken, es darf auch eine gewisse Klassik einfließen. Wir haben keine Angst, unserem Gefühl zu folgen.“

So liest man schon auf der Frühstückskarte: „Die Knödel: Topfen, Zwetschge, Brösel, Mohn.“ Kennzeichnend für das „Hallmann & Klee“, klingen in der Beschreibung dieser Speise keine Luxusprodukte, sondern vermeintlich einfache und vertraute Sachen an, Soul Food oder Urbegriffe der heimisch-deutschen Küche. Das Gericht wird auf dem Teller aufgefächert. Alles steht gleichberechtigt nebeneinander, jede Zutat gewinnt an Eigenart und bildet doch mit den anderen Dingen ein Ganzes, fast so, als würde sich darin eine sozialpolitische Utopie spiegeln: Individualität und Gemeinschaft.

Die Hierarchie in der Küche ist flach. Die Patronin, Frau Hallmann, ist als gelernte Köchin, wie sie sagt, „Kreativdirektor“ und entwickelt nachmittags gemeinsam mit der Küchenchefin und der Pâtissière die Rezepte. Die Gerichte sollen zugänglich sein, nicht so verkopft wie in der Hochküche, aber doch etwas von der Haute Cuisine vermitteln, mit anderen Worten, eine Art von Nice Dining.

Abends leitet Frau Hallmann selbst den Service, gibt die Gastgeberin, tritt freundlich und elegant auf, zugleich übernimmt sie die Rolle der Sommelière und bevorzugt Weine, die den Geschmack des Essens nicht übertünchen, sondern heben. Zum Abendmenü mit drei Gängen werden eingangs hausgemachte Sauerteigbrötchen aus Weizen serviert, begleitet von aufgeschlagener Fassbutter und Meersalz. Als Vorspeise kommt „Spinat, Eigelb, Brösel, Molke, Kartoffeln“. Auf dem Teller entdeckt man reizvolle Gegensätze: Rohes und Gegartes, Samtiges und Knuspriges: sprich neben mariniertem Spinat das Kartoffelpüree, in der Mitte das Eigelb, wie ein Sonnenauge, daneben die goldbraunen Brösel und eine weiße Molke-Butter-Soße. Küchenchefin Rosa Beutelspacher sorgt für den gewissen zarten Ton, wohltuend, nichts Extremes, nicht zu hoch hinaus, aber doch mit Witz und Delikatesse.

Auf die Frage, ob es sich hier um eine weibliche, feminine Kochkunst und Gastronomie handelt, sagt Frau Hallmann: „Vielleicht, aber wir legen es nicht darauf an.“ So gibt es auch den einen oder anderen Mann im Team. Doch niemand spielt sich auf, niemand stört mit Geltungsgehabe das Klima. Bewundernswert, wie unaufgeregt es in der Küche zugeht, wie gut die Griffe sitzen.

Vegetarisches vermischt sich mit Fleischigem. Als Hauptgang wird „Dry Aged Entrecôte, Rosenkohl, Pflaume, Sauce Robert“ serviert. Wieder erblickt man auf dem Teller alle angekündigten Zutaten klar und deutlich, hinzu kommt noch ein Grünkohlpüree. Es geht nie um bloßes Vielerlei, sondern um überlegte Verbindungen und Besonderheit. Das Rückenstück vom Rind ist von einnehmend zarter, saftiger Konsistenz, mineralisch-würzig im Geschmack, gerade die Fettsträhnen vermitteln ein überaus reiches Aroma. Apart der Unterschied zwischen Grün- und Rosenkohl, mal herber, kräftiger, mal milder, cremiger. Köstlich die Sauce Robert, ein Element der klassisch-französischen Grande Cuisine, in diesem Fall aber nicht zu schwer: ein geschmeidiger brauner Bratensaft und Jus, mit Senf verfeinert. Schließlich bringt die Pflaume eine süß-säuerliche, fruchtige Spur ins Gericht. Ohne Aufhebens zieht die Küche verschiedene Register und schafft Mehrstimmigkeit.

Und wer vom Tiramisu eigentlich längst genug hat, der sollte diesem Dessert-Evergreen im „Hallmann & Klee“ noch einmal eine Chance geben, denn Pâtissière Nike Roessler offeriert ein hinreißendes „Tiramisu especial“, quasi im Stil des Hauses: nicht plump als ein Ganzes, sondern in seine Bestandteile aufgegliedert, teils luftig und leicht, teils von bezirzendem Gewicht: Mascarponecreme, schmelzendes Kirschsorbet, Schokoladenchip, geeister Espresso.

Auf dem Grat zwischen verjüngtem Gasthaus und Restaurant steht das „Hallmann & Klee“ in Berlin an der Spitze. Es macht Neukölln als „Trendviertel“ alle Ehre, weil es tatsächlich eine neue Art von Gastronomie wagt: zwischen ungezwungenem Alltag und eleganter Romantik. Abends ist das Lokal verhältnismäßig dunkel, doch kleine Ballonlampen, die an langen Kabelschnüren von der Decke hängen, beleuchten gut die einzelnen Tische und lassen sowohl das Essen als auch die Gesichter der Gäste erstrahlen. Man fühlt sich behütet. Es liegt etwas Zauberisches in der Luft.

Erwin Seitz

Hallmann & Klee, Böhmische Straße 13, Berlin-Neukölln

www.hallmann-klee.de