Hummerkunde

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Warenkunde, März 2015

Reiches Aroma, festes Fleisch, feine Süße              

Die meisten Hummer stammen von der Ostküste der USA und Kanadas

Die Heimat des Hummers ist der Nordatlantik. Das glamouröse Krustentier fühlt sich sowohl an der Ostküste Nordamerikas als auch den Westküsten Europas wohl, vorzugsweise in kühlen Gewässern, die nicht mehr als fünfzehn Grad Celsius warm werden. Die weitaus größten Fanggründe befinden sich an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Kanada: dort, wo der Golf von Maine in die Fundy Bay mündet. Südwestlich erstreckt sich das US-amerikanische Hummerrevier von Maine, nordöstlich liegt das kanadische Hummerrefugium der Halbinsel Nova Scotia, deutsch Neuschottland.

Da wie dort herrscht eine zerklüftete felsige Küstenlandschaft vor, die sich im flachen Wasser fortsetzt. Hier findet der Hummer tagsüber idealen Schutz in kleinen Felshöhlen, während er nachts nach Beute sucht. Vornehmlich frisst er andere Krusten- und Schalentiere, welche er mit seinen kräftigen Scheren aufbricht. Der Golf von Maine und die Fundy Bay sind dank hohen Tidenhubs voll von solchen Tieren. Der Hummer lebt hier wie im Paradies: Das Wasser ist für ihn angenehm kühl; der felsige Meeresgrund bietet tagsüber beste Verstecke und nachts kann er reiche Beute machen.

Rot markiert: Nova Scotia an der Ostküste Kanadas, südwestlich davon der Gulf of Maine sowie der US-Bundesstaat Maine
© Autor, Quelle, Lizenz

Jährlich werden in Maine und Nova Scotia rund einhunderttausend Tonnen Hummer gefangen, viele Millionen Exemplare. Der größte Teil der Maine Lobster wie der Nova Scotia Lobster wird in den Vereinigten Staaten verzehrt, doch gerade der kanadische Neuschottland-Hummer gelangt auch in andere Teile der Welt. Auf hiesigen Speisekarten steht dann schlicht „Kanadischer Hummer“, was wenig individuell und regional klingt. Ehre wem Ehre gebührt: Man sollte „Nova Scotia Lobster“ oder eben „Kanadischer Neuschottland-Hummer“ schreiben, sofern diese Herkunft verbürgt ist.

Die Fangmenge des europäischen Hummers beträgt höchstens ein Zwanzigstel der amerikanisch-kanadischen Hummermenge. Die Franzosen sind überzeugt, dass der bretonische Hummer der Beste überhaupt ist. Doch Alfred Walterspiel, der bedeutendste deutsche Koch in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts, schrieb um 1950 in seinem Buch „Meine Kunst in Küche und Restaurant“, dass das Wasser an der bretonischen Küste schon zu warm sei, und erklärte: „Der Helgoländer, der südschwedische oder norwegische Hummer ist daher weit geschätzter und steht auch doppelt so hoch im Preis wie der französische oder belgische.“ Der delikate Helgoländer Hummer ist heute sehr rar, doch Kenner schätzen längst auch den irischen und schottischen Hummer hoch ein.

Die beiden Arten des Hummers, der amerikanische und der europäische: der „Homarus americanus“ und der „Homarus gammarus“, unterscheiden sich kaum voneinander. Beide zeigen lebend einen fast schwarzen Panzer, wobei der amerikanische einen rotbräunlichen Einschlag hat, der europäische einen bläulichen. Die Scheren sind beim amerikanischen Hummer im Verhältnis zur Gesamtgröße des Tiers etwas größer als beim europäischen. Idealerweise sollte jeder Hummer nach dem Garen ein wunderbar elastisches Fleisch bieten, keinesfalls ein zu weiches oder zu hartes; es sollte ein reiches Aroma vernehmbar sein: mit leichter Süße und einem Anflug von Meeresbrise und Frische – Urlaubsstimmung. Vielleicht schmeckt der europäische Hummer um eine Spur würziger.

Amerikanischer Hummer
(Homarus americanus)
© Roberto Rodríguez, Quelle, Lizenz

Europäischer Hummer
(Homarus gammarus)
© Roberto Rodríguez, Quelle, Lizenz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Entscheidend für die Güte des Hummers ist, wie schnell er nach dem Fang lebend in die Küche kommt und wie er verarbeitet wird. Vielerorts wird die schwankende saisonale Fangmenge dadurch ausgeglichen, dass der Hummer in Hälterungen zwischengelagert wird, wo er von der eigenen Substanz lebt, ohne noch etwas zu fressen. Im Handel nennt man Hummer, die gleich nach dem Fang in die Küche kommen, „Premium Lobster“, es folgen „Market A Lobster“ und „Market B Lobster“.

Mai, Juni, Juli bilden die Hauptsaison für den Hummer; die Tiere sind in dieser Zeit besonders gut genährt und vollfleischig; danach erneuern sie ihren Panzer und magern leicht ab, bevor sie sich im Oktober, November, Dezember wieder etwas davon erholen. Allgemein sind Hummer, die ein Gewicht von etwa eineinhalb Pfund erreichen, gut entwickelt und haben einen vollen Geschmack: mit einem Fleischanteil von zwanzig bis fünfundzwanzig Prozent. Wenn der lebende Hummer bei der Lieferung noch Kampfbereitschaft zeigt, wenn er die Scheren hochstreckt und mit dem Schwanz zuckt, dann liegt der Fang des Hummers sehr wahrscheinlich noch nicht lange zurück.

Die einzige zulässige Methode in Deutschland, um den Hummer zu töten, ist, den Hummer einzeln vornüber in sprudelnd kochendes Wasser zu geben, leicht gesalzen, und zu warten, bis das Wasser erneut aufkocht. Gewöhnlich nimmt der Koch dann den Topf vom Herd und lässt den Hummer einige Minuten in der heißen Brühe ziehen; drei bis vier Minuten, um danach das ausgelöste Fleisch in der Pfanne mit Butter anzurösten oder um es mit sanfter Oberhitze zu Ende zu garen. Wer Hummersalat machen will, lässt den Hummer zehn Minuten in der Brühe ziehen. Daneben bilden geröstete Hummerkarkassen die Grundlage, um einen Hummerfond herzustellen, aufgegossen mit der Brühe, in der der Hummer gesotten wurde. Der Fond lässt sich dann in Suppen oder Saucen verwandeln. Man kann sogar der Meinung sein, dass im Idealfall eine Hummersuppe dem Geschmack nach das Beste vom Hummer ist: eine unglaublich feinwürzige Essenz. Wie schade, dass heute Pinzetten- und Galerieköche die Suppe und die Soße, Dinge, die dem Gaumen schmeicheln, nicht mehr wirklich achten. Welch eine Wonne, wenn ein Lokal eine gute Hummerbisque bietet – diese Anklänge von Röstaromen, kalkiger Mineralität der Karkassen, Süße des Hummerfleisches, Eichenwürze des Cognacs.

Klassische Zutaten und Gewürze für Hummer und Fond sind Zitrone, Knoblauch, Schalotte, Fenchel- und Anissamen, Estragon, Petersilie, Weißwein, Sherry, Cognac, Sahne, Butter, Olivenöl – oder eine asiatische Würze mit Kokosmilch, Curry, Zitronengras und Ingwer. Erstaunlich gut passen handgeschabte Spätzle zum Hummerragout, desgleichen grüne Gemüse, grüner Spargel, grüne Saubohne, Spinat, Rosenkohl. Für den lauwarmen Hummersalat eignet sich die handgerührte Mayonnaise mit Zitronensaft und etwas Knoblauch; weniger die Cocktailsauce, die den Eigengeschmack übertüncht.

High Pressure Lobster

Um Qualitätsverluste beim Hummer durch lange Hälterungen zu vermeiden oder um dem lebenden Hummer unangenehme lange Reisen zu ersparen, kommen seit ein paar Jahren „High Pressure Lobster“ auf den Markt. Führend ist dafür wohl das kanadische Unternehmen „Clearwater“ auf Nova Scotia. Bei einem Rundgang durch den Betrieb macht man folgende Beobachtung: Die Hummer kommen nach dem Fang in eine Halle, werden für ein paar Tage auf Bassins mit sehr kaltem Wasser verteilt und so in den Winterschlaf versetzt. Dann befördert man die Tiere in verschließbare Gefäße mit Eiswasser, wo sie unter erhöhtem Druck ganz eingeschläfert und getötet werden, vermutlich ohne etwas davon zu merken. Zugleich trennt sich in dem Hochdruckgefäß das Fleisch vom Panzer. Anschließend löst man die rohen Hummerstücke aus: Schwanz, Scheren, Gelenkstücke, Beinfleisch, schweißt die Teile, oft in unterschiedlichen Kombinationen, in Folien ein und lässt sie durch eine Schockfrostanlage laufen. Beliebt sind halbierte „High Pressure Lobster“ mit Schwanzstück in der Schale sowie gereinigtem Kopf, in dem Schere und Gelenkstücke liegen.

Der Koch spart Zeit; er muss die rohen Stücke nur über Nacht in der Folie auftauen lassen und kann sie leicht zubereiten: im Ofen bei 190 Grad Celsius zehn Minuten erhitzen oder sous-vide garen oder in der Pfanne mit Butter anrösten. Das Beste ist natürlich, wenn ein lebender Hummer gleich nach dem Fang in die Küche kommt, doch ein schockgefrosteter roher „High Pressure Lobster“ kann einem lebenden „Market A Lobster“ oder „Market B Lobster“ an Geschmack überlegen sein, erst recht einem vorgekochtem Hummer, der gefroren geliefert wird.

Hummer ist ein exquisites, teures Tier. Es lohnt sich, nach dem richtigen Produkt zu suchen. Da die nordamerikanischen Hummer in größerer Menge als die europäischen zur Verfügung stehen, sind sie in der Regel rund zwanzig Prozent günstiger zu haben. Das muss noch nichts über die Qualität sagen. Gerade die Logistik der kanadischen Hummerwirtschaft ist gut entwickelt und an Nachhaltigkeit orientiert. Frischeparadies (www.frischeparadies.de) bietet lebende kanadische Neuschottland-Hummer an, saisonal auch bretonische, dazu „High Pressure Lobster“ aus Nova Scotia von Clearwater. Rungis Express (www.rungisexpress.com) offeriert ebenfalls lebende kanadische Neuschottland-Hummer, ferner lebende europäische Hummer, bretonische und schottische, andere auf Vorbestellung, sowie „High Pressure Lobster“. Die Deutsche See (www.deutschesee.de) hat sich ganz auf den kanadischen „High Pressure Lobster“ spezialisiert, nennt ihn jedoch selbst „Hyperbaric-Hummer“, welcher von der Prince-Edward-Insel stammt, unmittelbar nördlich von Nova Scotia.

 

Weitere warenkundliche Informationen solcher Art finden sich in meinem Buch:

Erwin Seitz: Naturnahes Kochen – einfach, gut, gesund. Rezepte und Warenkunde. Insel, Berlin 2018

„Schlichte Rezepte aus besten Zutaten empfiehlt Erwin Seitz in diesem erfrischend diättrendfreien Buch.“ Claire Beermann, ZEIT Magazin

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