Rheingau-Gourmet-Festival 2018

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Zurück in die Zukunft

Avantgarde und Klassik vertragen sich. Und die allein seligmachende Wahrheit gibt es auch in der Spitzenküche nicht. Das wurde beim Rheingau-Gourmet-&-Wein-Festival 2018 im Kronenschlösschen in Hattenheim deutlich. Große Meister ihrer Faches zeigten genussvolle Vielfalt. Ein Andreas Krolik vom Lafleur bot ein überragendes veganes Menü.

Auguste Escoffier, der einflussreichste Koch der westlichen Welt zu Zeiten der Belle Époque und darüber hinaus, hatte in seinem berühmten „Kochkunstführer“ von 1903 dem Ei einen gebührenden Platz eingeräumt und viele Rezepte für Eierspeisen angegeben. Je mehr dann das Huhn von der industriellen Landwirtschaft erfasst und das Ei zur belanglosen Massenware wurde, desto mehr verflüchtigte es sich in der Hochküche. Das nahm man einfach so hin.

Nun gibt Anzeichen, dass das Ei, sofern es wieder vom Bio-Huhn aus der Freilandhaltung stammt, ein Comeback erlebt. Im Idealfall handelt es sich um eine wahre Delikatesse, ob als pochiertes Ei über Gemüsegerichten, ob als Spiegelei unter Trüffelscheiben. Selbst die Medizin entschärft die Cholesterinphobie, die unverdientermaßen mit dem Ei in Verbindung gebracht worden war.

Beim Rheingau-Gourmet-&-Wein Festival im Kronenschlösschen in Hattenheim, das Jahr für Jahr zu Beginn der Saison ein Gratmesser für Trends in der gehobenen Küche ist, erhielt das Ei jedenfalls seinen Auftritt.  Schon auf der Welcome-Party, die traditionell im Kloster Eberbach stattfand, offerierte Oliver Röder vom Restaurant Landlust in Burg Flamersheim ein Flamersheimer Landei mit Sellerie, Nussbutter und Trüffel. Andere Köche folgten seinem Beispiel.

Festliche Tafel beim Rheingau-Gourmet-Festival im Kronenschlößchen in Hattenheim

 

 

 

Postmoderne in der Kochkunst

Wie es scheint, ist die Hochküche jetzt endgültig im Zeitalter der Postmoderne angekommen. Das Moderne hat nicht mehr von vornherein den Vortritt, sondern Avantgarde und Klassik stehen gleichberechtig nebeneinander. Kein Küchenstil ist grundsätzlich mehr wert als der andere. Was zählt, ist die Qualität der Ware, das handwerkliche Können und Meisterschaft der Zubereitung, jeweils ergänzt durch das gewisse Etwas.

So findet mancher Koch das Neue im Vergangenen. Vielleicht kann man auch von romantischer Spätmoderne sprechen. Jean-Claude Bourgueil vom Schiffchen in Düsseldorf nannte beim Festival sein Menü provokativ „Zurück in die Zukunft“ – und bot Saumagen in Riesling-Gelée mit Zwiebelkonfitüre und Kümmelknusper sowie gedünsteten Nordsee-Kabeljau mit dicken Bohnen und Aalspeck an. Schnörkellos klassisch gab sich schließlich Thomas Martin vom Jacobs in Hamburg mit Nordsee-Steinbutt, Beure blanc und Blattspinat oder geschmorter Ochsenschulter mit Rotweinreduktion, Zwiebeln, Möhrchen und Selleriepüree – quasi à la Escoffier.

Zu den Begriffen Tradition und Klassik gesellen sich das Lokale oder Regionale, ob nun herkömmlich regional oder avantgardistisch regional – eben postmodern-variabel. Die Cuisine Alpine des Andreas Döllerer in Dölleres Genusswelten in Golling, südlich von Salzburg, beherrscht das eine wie das andere.  Beim Gourmet-Festival in Hattenheim offerierte er Romanasalat mit Hollerkapern, Hollerblütenessig, Almrosenhonig und getrockneten Mairittlingen, später Fenchel in Gletschersand gebacken oder Tauernlammsattel mit Brokkoli, Buddhas Hand und Selchbernaise.

Die Gastköche des Festivals sind in der Regel mit einem, zwei oder drei Sternen ausgezeichnet. H. B. Ullrich, der Patron der Veranstaltung, ist jedoch souverän genug, auch mal einen Koch ohne Stern einzuladen, wenn er von dessen Vorzüglichkeit überzeugt ist. Wirklich verwunderlich, dass Gal Ben Moshe vom Restaurant Glass in Berlin bislang von Guide Michelin übersehen wurde. Wenn man bei ihm isst, hat man bei jedem Gericht den Eindruck, dass man so etwas Köstliches noch nie auf der Zunge hatte. Der gebürtige Israeli verbindet klassische europäische Küche mit traditioneller nahöstlicher Hochküche. Beim Festival servierte er beispielsweise Ente mit geräucherten Feigen, würziger Schokoladen-Sauce, Baklavan mit Entenconfit, Selleriepüree und Hafer.

Auch der Hausmatador, der Küchenchef des Kronenschlösschens, Simon Stirnal, ist derzeit ohne Stern. Doch er kochte beim Festival famos auf, unter anderem beim beliebten Hummer-Lunch, einem Festival-Evergreen. Eingangs gab es „Surf n Turf mal anders“, nämlich als kalte Vorspeise: als Sockel samtiges Rindertatar, obenauf knackig-elastische Hummerstücke sowie cremiges Kartoffelpüree mit Kräutern, Kerbel, Dill, Kresse – alles fein nuanciert aufeinander abgestimmt, ein herrlicher Akkord.

Als Hauptgang kam glacierter Hummer mit Schwarzwurzel, Passionsfrucht und Nussbutter. Der bretonische Hummer zog nur kurz in der Brühe, wurde dann aus der Schale gelöst, mit Zitronenöl bepinselt und sanft unter Oberhitze nachgegart, überaus saftig, mineralisch-süß, von bestem Eigengeschmack, becircend ausbalanciert von Passionsfruchtessig und Nussbutter.

Veganes Menü

Andreas Krolik: Küchenchef im Lafleur in Frankfurt am Main.
© Michael Wissing

Fast möchte man sagen: Fehlte nur noch ein veganes Menü. Der Frankfurter 2-Sterne-Koch Andreas Krolik lässt dem Gast in seinem Restaurant Lafleur schon seit längerem die Wahl zwischen einem Menü mit Fisch und Fleisch und einem veganen Menü. Das eine wie das andere erfreut sich großer Beliebtheit. Auch in diesem Fall gilt: Das eine ist nicht mehr wert als das andere – postmodern-variabel. Krolik hat sich allerdings tatsächlich in die vegane Küche hineingedacht. Selbst dort sollen sich herzhafte Noten – Umami-Aromata – entfalten. So arbeitet er viel mit Gemüsebrühen, Pilzen, Pilzfonds, Nüssen, Nusscremes, kalt gepressten Ölen, Kräutern und Gewürzen.

In Hattenheim erhielt der Gast als zweiten Gang einen butterzarten Raviolo, gefüllt mit Topinambur-Püree, umlegt mit gebratenen Artischocken, Kräuterseitlingen und Chinoa-Crunch, überzogen von Haselnussschaum und begleitet einer Artischocken-Pilz-Velouté, die einen wunderbar würzigen Duft aufsteigen ließ, während sich das Auge zugleich am schönen Farbspiel erfreute: am weißen Schaum, am Violette der Kresse-Blätter, am Hellgrün der Artischocken. Alles mutete leicht und verspielt an, und doch fehlt es nicht an schmackhafter Substanz. Ein Höhepunkt des Festivals!

Erwin Seitz

Erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung

www.rheingau-gourmet-festival.de