Sonja Frühsammer

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Porträt: Sonja Frühsammer, Sterneköchin aus Berlin, Dezember 2014

„Ich koche, was mir schmeckt“

Wer hätte das vor zehn oder zwanzig Jahren gedacht, dass man der feinen Küche wegen nach Berlin schaut. Lange galt die ehemalige Residenz der preußischen Könige als kulinarische Diaspora und Greenhorn guter Lebensart.  Zwischenzeitlich überschlagen sich die Gastro Guides mit Lob für die deutsche Hauptstadt, ob Michelin, Gault&Millau oder Feinschmecker.

Obwohl sogar im modernen Berlin die Spitzenküche immer noch eine Domäne der Männer ist, gelingt es hier auch einer Frau, in der ersten Liga mitzuspielen: Sonja Frühsammer. Im Gespräch wirkt sie ruhig und freundlich. Alles Großtuerische, übertrieben Ehrgeizige scheint ihr fremd zu sein. Man bemerkt den feinen Blick in ihren Augen, ganz so, als gehe es ihr um die wesentlichen Dinge in Gastronomie und Gourmandise: Menschlichkeit, Natürlichkeit, Spiel, Subtilität.

Nicht einmal die Frage, ob es eine speziell weibliche Spitzenküche gäbe, beschäftigt sie. „Darüber denke ich eigentlich nicht nach“, erklärt sie, und fügt hinzu: „Ich koche, was mir schmeckt.“ Aufgewachsen in Berlin, absolvierte sie hier nach dem Abitur eine Kochlehre bei Siemens. Anschließend wechselte sie 1992 zu Karl Wannemacher ins „Alt Luxemburg“ und wurde erstmals mit der Hochküche vertraut.  Was sie dort gelernt habe, sagt sie freimütig, sei bis heute eine bedeutende Grundlage ihrer Arbeit. Vorübergehend unterbrach sie die Kochkarriere und wurde Mutter.

Bis sie schließlich Peter Frühsammer kennenlernte, ihren jetzigen Mann, der zuvor schon in den Achtziger Jahren ein Sternekoch war. Sie stieg zunächst in dessen Catering-Unternehmen „Servino“ ein, bis sie beide 2007 „Frühsammers Restaurant“ eröffneten. Die Rollen wurden klar verteilt: Er leitet dort den Service, sie die Küche. Das Lokal liegt nicht in der neuralgischen Mitte der Metropole, sondern etwas herausgenommen, im Süden von Berlin, in einer vornehmen Grunewald-Villa,  deren Räume dem Gast das Gefühl geben, dem Trubel der Großstadt für ein paar Stunden zu entfliehen.

Der ruhige, großzügige Ort der Villa passt zur unaufgeregten, feinen Art von Sonja Frühsammer.  Als Köchin hat sie eine besonders glückliche Hand für das Gemüse. Es wird mit überlegter Küchenkunst veredelt und bildet den einen oder anderen selbstständigen Gang, saisonal angemessen, jetzt, in der kalten Jahreszeit, beispielsweise: Gelbe und Rote Beete mit Sauerrahm und Nussbutter.

Die Rote Beete wird schonend im Ofen gegart, im Ganzen auf Salz bei 140 ° rund eineinhalb Stunden, dann geschält, in dünne Scheiben gehobelt,  mit Rapsöl und Himbeeressig mariniert und locker als Rosette angerichtet.  Alle Zutaten bilden ein Band, das quer über den großen weißen Teller läuft, Ton in Ton. Die Sachen haben einen guten, samtigen Biss und munden köstlich, wirken zauberhaft zusammen, in unterschiedlichen Noten, erinnern an ein Saitenspiel, Bratsche oder Cello.

In der Regel ergänzt ein Stück Fisch oder Fleisch das Gemüse, ohne es zu übertrumpfen. Äußerst delikat und auf dem Punkt gegart, rosa und saftig, schmeckt das Stück vom Lammrücken, aus sich selbst heraus kräuterwürzig, unterlegt von mineralischem Blattspinat. Es ist zum Träumen, als werde man aus der Stadt hinausgetragen. Das mag weiblich sein oder nicht.

ERWIN SEITZ