Villa Kellermann in Potsdam

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September 2019

Gediegene Noblesse

Günther Jauch hat die Villa Kellermann in Potsdam in einen sympathischen gastronomischen Ort verwandelt, beraten von Tim Raue sowie geleitet von Fachleuten aus seinem Team: Küchenchef Christopher Wecker und Gastgeberin Patricia Liebscher

An sich war Preußen einst ein Militärstaat, geprägt von Drill, Schnoddrigkeit und Posse. Doch es gab auch das Gegenteil, das arkadische Preußen mit Schäferidylle und Bonhomie, zumal an der Havel: am Übergang von Berlin nach Potsdam, heute Weltkulturerbe-Region. Dort bauten sich die preußischen Könige und Prinzen mehrere Schlösser und Sommersitze: das Kavalierhaus auf der Pfaueninsel, Schloss Glienicke, Schloss Babelsberg sowie im Neuen Garten am Heiligen See das Marmorpalais.

Blick von der Villa Kellerman auf den Heiligen See
© Nils Hasenau

Just zwischen der Havel und dem Heiligen See liegt auf Potsdamer Seite die Berliner Vorstadt, die in Wilhelminischer Zeit zur vornehmen Villengegend ausgebaut wurde. Auf einem besonders schönen Grundstück, unmittelbar am östlichen Ufer des Heiligen Sees, ließ sich im Jahr 1914 der königlich-preußische Zeremonienmeister W. von Hardt eine Villa errichten, die nachmals Villa Kellermann genannt wurde, mit Blick auf den gegenüberliegenden Neuen Garten und das Marmorpalais, gleichsam mitten im preußischen Arkadien, in zarter brandenburgischer Landschaft.

Nach der Wende wechselte das Haus mehrmals den Besitzer, war vorübergehend ein italienisches Restaurant, bis das Gebäude dann fast zehn Jahre leer stand und niemand diesen Ort genießen konnte. Vor einiger Zeit erwarb es schließlich der bekannte Fernsehmoderator Günther Jauch, der schon seit längerem in der Nachbarschaft der Villa Kellermann wohnt. Das Anwesen sollte fortan als gastronomisches Haus öffentlich zugänglich sein, nicht elitär, sondern für möglichst viele Menschen.

Der Bauherr sorgte für eine umfassende denkmalpflegerische Sanierung des Gebäudes mit großem Garten. Der Gast steht nun vor einer Villa in hellem Beige, klassisch gegliedert: mit Souterrain, Hauptgeschoss als Beletage sowie Mezzaningeschoss, bekrönt von einem plastischen Mansarddach mit glänzendem, anthrazitfarbem Schiefer, nicht pompös, aber von gediegener Noblesse.

Man durchschreitet die Haustür, geht ein paar Stufen hoch, steht in der hohen Vorhalle, fühlt sich leicht erhoben und beschwingt. Um die Vorhalle herum reihen sich großzügig mehrere Salons als Gasträume: der „Salon Alter Fritz“ als Hauptrestaurant, der „Elefantensalon“ und der „Grüne Salon“ für besondere Veranstaltungen, alle mit Blick auf den Garten, wo man sommers auch sitzen kann. Die Räume wirken nicht steif, sondern dezent bunt und lebendig. Wer will, mag sich hier als Lady oder Gentleman fühlen beziehungsweise als Figur in einem Lustspiel des Rokokos oder der Belle Époque.

„Salon Alter Fritz“ in der Villa Kellermann
© Nils Hasenau

Günther Jauch erklärt im Gespräch, dass er sich nun zum zweiten Mal in seinem Leben in ein Metier gestürzt habe, von dem er eigentlich nichts verstehe. Bereits vor rund zehn Jahren habe er das Weingut von Othegraven in der Saar-Region übernommen, nun die Villa Kellermann. Plötzlich sei er nicht nur Winzer, sondern auch Gastronom. Essen, Trinken, Gastlichkeit, menschliches Miteinander üben eben auf viele Menschen einen Zauber aus und werden zu essenziellen Kunstformen unserer Zeit.

Jauch holte sich professionelle Hilfe ins Haus. Zunächst habe er Tim Raue gefragt, ob er nicht jemanden wüsste, der die Villa gastronomisch bespielen könnte. Der Starkoch hörte eine Weile zu und sagte: „Das könnte ich doch machen.“  So stammt das gastronomische Konzept im Wesentlichen von Tim Raue, als dem gastronomischen Berater und Kompagnon, unterstützt von seinem Team vor Ort, dem Küchenchef des Hauses, Christopher Wecker, der zuvor für Raue schon die Sterne-Küche im Restaurant „the k by Tim Raue“ im „Kulm Hotel St. Moitz“ geleitet hatte, sowie Gastgeberin Patricia Liebscher, ebenfalls eine erfahrene Mitarbeiterin von Raue.

Von links nach rechts: Gastgeberin Patricia Liebscher, gastronomischer Berater Tim Raue, Patron Günther Jauch und Küchenchef Christopher Wecker
© Nils Hasenau

Die einzige Vorgabe, die der Meisterkoch beachten musste, war, dass es in der Villa nicht gespreizt und abhoben zugehen sollte. Raue erinnerte sich an sein ehemaliges Zweitrestaurant in Berlin, das „la soupe populaire“ in der Industriearchitektur einer alten Großbrauerei, wo er Gerichte aus Großmutters Küche darbot: wie Senf-Ei, Königsberger Klopse oder Kabeljau mit Schmorgurke.

Allerdings wollte er sich in der „Villa Kellermann“ nicht selbst kopieren, sondern dem Genius loci huldigen, der Eigenart des Ortes, der noblen Räumlichkeit und Lage des Hauses. Hier soll fortan feiner gekocht werden als vormals im „la soupe populaire“ (es steht heute unter anderer Leitung und heißt mittlerweile „la soupe populaire canteen“). In der Villa Kellermann gibt es jetzt zwar auch Gerichte aus „Großmutters Küche“, ebenso aber Speisen von der Tafel der „vermögenden Großtante“, wie Raue scherzt. Gemeint sind Anleihen der höfisch-großbürgerlichen Küche, beispielsweise „Garnelencocktail“ oder „Entenleberterrine Sanssouci“.

Ob jedoch eine Terrine von der Stopfleber noch zeitgemäß ist, steht auf einem anderen Blatt – aromatisch eine Bombe, aber doch konventionell. So oder so: Es herrscht in der Küche ein gewisser mittlerer Stil von gediegener Noblesse vor, in der Rezeptur da und dort lokal verankert, wenngleich die Lieferanten nicht unbedingt in der Gegend ansässig sind, sondern die Waren hauptsächlich vom Großhändler, der „Metro“, stammen, für die Raue „Markenbotschafter“ ist. Teils gibt sich das Haus individuell, teils steckt eine großbetriebliche Struktur dahinter – das Tim-Raue-System.

Auf der Karte stehen sechs Vorspeisen, sechs Hauptspeisen und vier Desserts, ergänzt von einem „Menü“, betitelt „Der gedeckte Tisch“, das heißt: mit drei Gängen, wobei sich die Vorspeise in fünf kleinere Varianten aufgliedert und generöse Vielseitigkeit offeriert, quasi großtantenhaft, mit Garnelencocktail, Entenleberterrine Sanssouci und so fort.

Kopfsalat
© Jörg Lehmann

Die Karte wechselt saisonal, im vierteljährlichen Rhythmus. Der Gast erhält zunächst ein herzhaft schmeckendes Brot von der Bäckerei „Salz für Brot“, dazu Butter, Paprikacreme, Leberwurst mit körnigem Senf, eingelegte Perlzwiebeln und Cornichons. In diesem Herbst gehören zur Vorspeise des Menüs eben Garnelencocktail, Entenleber Sanssouci, Makrele Hausfrauenart, Schlemmerkartoffel und Kopfsalat. Besonders köstlich das Letztere, der Kopfsalat, auf erhöhtem, weißem Teller: ein Stück vom Salatherz mit weißen Petersilienwurzelscheibchen und grünem Pfeffer belegt, mariniert mit grüner Petersilien-Kräuter-Emulsion und Citrus-Touch. Typisch für die Raue-Küche, wie man sie auch von seinem Hauptrestaurant „Tim Raue“ in Berlin gewohnt ist, der gewisse asiatische Einschlag: die Balance aus Frische, Säure, Schärfe, Würze, Knackigkeit, Zartheit. Dasselbe gilt im Großen und Ganzen auch für die Makrele Hausfrauenart – es wiederholt sich.

Als Hauptgang wird „Gulasch“ serviert – durchaus ein Gulasch der neuen Generation, nicht alles vermischt, sondern in einzelne Teile zerlegt und zugleich auf dem Teller nebeneinander zusammengesetzt, keine verkopfte Dekonstruktion, sondern insgesamt etwas überaus Feines. Auf dem Teller kreisen orangefarbenes Süßkartoffelpüree, weiße Crème fraîche, mit Kreuzkümmel und Honig verfeinert, eingelegte frische rote Paprika und das rot-braue Gulasch aus geschmorter Rinderbacke und Rotwein. Das Fleisch zart, voller Schmelz, hocharomatisch, die Schmorsoße würzig und charaktervoll. Eins kommt zum anderen, deutlich vernehmbar, der Rahm, die erfrischende Paprika, die Schmorsoße – in diesem Fall wirklich einzigartig, hinreißend.

Natürlich gibt es zum Essen auch Wein vom hauseigenen Weingut von Othegraven, an diesem Abend einen Riesling Altenberg zur Vorspeise, zur Hauptspeise einen Cabernet Sauvignon vom Weingut Philipp Kuhn und zum Dessert, zur Joghurtcreme mit weißen Trauben in Holunderblütensaft, einen edelsüßen Riesling Kolibir vom Weingut Jochen Dreisigacker. Es stehen hauptsächlich namhafte heimische Winzer auf der Weinkarte, ergänzt durch ein paar italienische und französische. Der Service gibt sich freundlich und natürlich, zeigt aber auch Formgefühl und Spiel, was die Stimmung bei den Gästen hebt.

Erwin Seitz

Restaurant Villa Kellermann, Mangerstraße 34, Potsdam

www.villakellermann.de