Toskana

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Italien, April 2006

Hotel Mamma

In der Toskana bekochen italienische Mütter die Gäste

Den Italienern scheint es nicht anders zu ergehen als den Deutschen. Da wie dort kommt der Klapperstorch immer seltener. Auch südlich der Alpen verflüchtigt sich der Archetypus von „La Mamma“. Die Küche, hört man, sei nicht länger das Herzstück des Hauses, wo die Mamma die ihren um sich sammle, sie aufpäpple mit Worten und mit Speisen. Die Küche verwaise, man vernehme weder Scherze noch Gejammer, auch rieche man nichts mehr, außer ein bißchen Espressoduft. Wo einst die Hausmannskost mit Feingefühl von Tag zu Tag gefertigt worden sei, esse man jetzt Snacks, die aus dem Supermarkt kämen.

Doch man kann sie noch finden, die italienischen Mammas, kann sogar ihre Kochkunst in Anspruch nehmen und hoffen, etwas Besseres zu bekommen als in manchen Lokalen, sofern die Gerichte von Hand und mit Liebe gemacht sind. Je seltener der Archetypus von „La Mamma“ wird, desto exotischer mutet er an und findet Einlaß in den touristischen Betrieb. Die Ferienanlage „Le Case Del Borgo“, die vor kurzem im toskanischen Dörfchen Duddova ihre Pforten öffnete, verschreibt sich mit Witz der Hege von Tradition und Nostalgie. So wie man kaum Neues baute, sondern einen verlassenen Teil des Dörfchens mit denkmalpflegerischer Umsicht restaurierte, so beschäftigt man für die Verpflegung der Gäste keine professionellen Köche, sondern sieben Mammas aus den umgliegenden Orten.

Die Anfahrt ist über weite Strecken ernüchternd. Die suburbanen Industriegebiete links und rechts der Autobahnen und Schnellstraßen, die man vom Flughafen bis zum Zielort benutzen muß, sind nirgendwo auf der Welt eine Augenweide, doch in Italien, auch in der Toskana, wirken sie besonders häßlich, wie aus dem Würfelbecher gefallen. Sie stehen in scharfem Kontrast zu dem reizvollen Gefüge, das man in den alten Stadtkernen findet. Man fragt sich zuweilen, ob den Italiener der Sinn für bauliche Planung abhanden gekommen ist, während sie früher dem übrigen Europa einen neuen Begriff von Ordnung und Schönheit vermittelten.

Im Schnittpunkt zwischen Florenz, Siena und Arezzo liegt Duddova. Sobald man das leicht versteckte Ambratal erreicht, zeigt sich der Ort auf einem schmalen Bergrücken. In einigen Windungen geht es nach oben. Der vordere Teil des Ortes umfaßt „Le Case Del Borgo – Tuscan Luxery Living“. Erneuerte Bauernhäuser staffeln sich hintereinander, verkleilen sich kubisch, bilden Rhyhtmus und Melodie. Fast unsichtbar, schiebt sich das neue Haupthaus grottenartig in den sanft ansteigenden Hang hinein, öffnet sich nur nach einer Seite hin in breiter Front, behergt Empfang, Küche, Restaurant, Enoteca, Spa-Bereich, und davor glitzert das Wasser des Swimmigpools. Man fühlt sich angekommen, erlöst von der Autofahrt.

Wenn man sich umdreht und ins ausgedehnte Tal hinabschaut, ist alles Suburbane vergessen. Unmerklich geht die Gartenanlage ringsum in die Landschaft über. Wie aus dem Bilderbuch stellen sich die Merkmale toskanische Vegetation zur Schau: Olivenhaine, Weingärten, Weizenfelder steigen die Hänge hinauf und hinab; Zypressen und Pinien setzen elegante Zeichen; da und dort sieht man ein Haus, ein Dorf, und in langen, ruhigen Linien ziehen sich die Berggrate nach oben, sind mit Eichen und Lerchen bewachsen, bilden blaue Bänder, die sich in die Ferne weben.

Man fühlt sich arkadisch entrückt, ohne die Annehmlichkeiten moderner Zivilisation entbehren zu müssen. Man wohnt einerseits in einer ehemaligen bäuerlichen Sphäre; vieles wirkt schlicht, überschaubar, besänftigend: die Pflanzen wie Ginster, Lavendel, Oleander, die schattigen Pergolen, die bergenden Kalksteinwände, aus denen sich die alten Gebäude zusammensetzen, die Fußböden und schmalen Treppen aus Ziegelsteinen, die Holzbalken, die die Decken und Dächer tragen. Die Denkmalpflege verbindet sich andererseits mit ökologischer Erneuerung, High-Tech und zeitgenössischem Design. Die Heizung und Kühlung der Räume wird mit Solarenergie betrieben; der leicht gewellte Verputz der Wände im Inneren wurde neu mit freundlichen Naturfarben bestrichen; Flachbildschirme empfangen Sender aus aller Welt; antiquarische Möbel verschränken sich mit modernen Sesseln und Sofas. Der Gast kann in verschiedene Rollen schlüpfen, kann den bukolischen Schäfer spielen oder sich zu den Happy few der Weltgesellschaft zählen, die es sich leisten können, das Weltgeschehen für ein paar Tage oder Wochen aus idyllischer Distanz zu betrachten.

Sieben kleinere Häuser bilden Platz für jeweils ein Appartment mit Wohnraum, Küche, Schlafraum und Badezimmer; sieben weitere Appartments sind in zwei größeren Häusern untergebracht. Der Gast kann sich selbst versorgen oder ins Restaurant gehen, wo Tag für Tag eine andere Mamma kocht, oder er kann eine Mamma mit Servicekraft buchen, um im eigenen Appartment bekocht und bedient zu werden. Die Mammas fertigen dasselbe, was sie daheim der eigenen Familie darbieten: verhältnismäßig schlichte, herzhafte, toskanische Kost.

Mamma Daria macht die dreierlei Crostini besonders gut: einmal mit Pilzen, einmal mit Leber, Zwiebeln und Wacholder, schließlich mit Leber, Kapern und Stockfisch. Als zweiten Gang serviert sie ein Ragout von der Rinderhaxe, das vier Stunden schmorte und nun wunderbar schmelzig und würzig auf der Zunge zergeht. Als Köchin im Appartment erscheint Mamma Daria in klassischem Schwarz und Weiß: trägt weiße Bluse, schwarzen Pullover, schwarzen Rock, weiße Schürze, während ihre Haare rotbraun gefärbt sind. Man merkt, daß sie Stil hat und gerne kocht. Sie lacht und freut sich, wenn man sie lobt. Für ihren Ehemann und ihre beiden erwachsenen Söhne, erzählt sie, habe sie an diesem Abend daheim grünen Salat und Beefsteaks vorbereitet. Das Fleisch nur noch auf den Grill zu legen, scherzt sie, könne sie ihren Männer gelegentlich zumuten.

Weil kein Küchenchef vorhanden ist, sondern jede Mamma ihre eigene Art einbringt, ist die Güte des Essens leicht schwankend. Es kann vorkommen, daß der Broccoli verkocht oder das Rinderfilet durchgebraten und trocken ist. Manches wird sich wohl noch einspielen, wenn die Mammas mit ihrer neuen Aufgabe besser vertraut sind. Es käme darauf an, daß jede ihre Stärken gezielter ausspielt. Der einen gelingen frische, köstliche Kartoffel-Gnocchi, einfach in Butter und Salbei geschwenkt, eine andere fertigt besonders guten Apfelkuchen.

Stets gibt es feinen toskanischen Wein zum Essen, so wie auch Fahrten ins benachbarte Chinati-Classico-Gebiete angeboten werden. Vornehmlich drei junge Frauen, Milena, Laura und Francesca, die sich entschieden haben, nicht mehr die Rolle der archetypischen Mamma zu übernehmen, managen „Le Case Del Borgo“, die Häuser des Dorfes, und organisieren so gut wie jeden Ausflug, den sich die Gäste wünschen. Sie sprechen italienisch, englisch und deutsch und sind darum bemüht, eine Atmosphäre der Vertrautheit herzustellen und Kontakte mit Leute vor Ort zu erleichtern. Die dänische Sommelière Rebecca Christophersen, die seit mehreren Jahren in der Toskana lebt, hilft ihnen dabei. Sie hat Verbindungen zu renommierten Winzern und kann bei Ausflügen die eine oder andere Tür öffnen.

Der Chianti soll nach Chianti schmecken, sagt Paolo de Marchis, der Besitzer des Weingutes Isole e Olena; er soll eine gewisse Frische zeigen, eine kirschige Note bieten und auf keinen Fall zu stark vom Barrique übertüncht sein. Die Vermengung der heimischen Paraderebe Sangiovese mit internationalen Rebsorten hat er mittlerweile fast ganz aufgegeben. Sein Chianti Classico besteht hauptsächlich aus Sangiovese, ergänzt durch ein bißchen Canaiolo und einem Bruchteil an Syrah. Der 2004er Chinati Classico hält, was der Winzer verspricht, gibt sich frisch, fruchtig, seidig, besitzt eine gute Struktur und feines Tannin. Einen ähnlich charmanten Stil weist auch der 2003er Chianti Classico von Podere Terreno oder der von Fontodi auf. Diese Weingüter wollen nicht zuviel und schaffen es, den etwas rauhen Gerbstoff des Sangiovese auszubalancieren und die elegante Frucht in den Vordergrund zu rücken. Es klingt regelrecht die rural-urbane Art an, die der Toskana so eigen ist.

Der Ausflug führt zu guter Letzt zu dem Metzger Dario Cecchini in Panzano, der für sein abgehangenes, zartes Beefsteak berühmt ist. Ein Stück davon wird eingepackt und abends an Mamma Valeria übergeben. Sie grillt es einige Minuten, schneidet es auf, streut Rosmarin, Salz und Pfeffer darüber und übergießt alles mit heißem Olivenöl. Sie reicht knuspriges Weißbrot und Chianti Classico dazu, mehr ist nicht nötig.

ERWIN SEITZ

Information unter Telefon 0039 / 055 991 871 oder www.lecasedelborgo.com. Informationen zu „Tuscan Wine Tours“, Rebecca Christophersen, unter Telefon 0039 / 333 72 29 716. Fahrdienst „Golden Travel“ unter Telefon 0039 / 055 97 38 370.