Deutscher Weißwein

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Weinkultur, Mai 2014

Beim Weißwein ist Deutschland verspielt

Die aktuellen Küchentrends, die leichte und pflanzliche Speisen bevorzugen, rufen nach entsprechenden Weinen

Die Passion für den Wein ist nördlich der Alpen uralt. Klimatisch zählt die Region teilweise noch zum erweiterten Mittelmeergebiet, selbst wenn die hohen Bergkämme der Alpen wie ein unüberwindbarer Riegel erscheinen. Archäologen konnten bereits für die Periode um 5000 vor Christus hierzulande wilde Weinreben nachweisen. Spätestens die Kelten und die Germanen wählten bestimmte wilde Reben aus, um sie gezielt anzupflanzen.

Den ersten Glanzpunkt des Weinbaus erlebte die Moselregion unter der Herrschaft der Römer. Trier wurde im 4. Jahrhundert zu einer der kaiserlichen Hauptresidenzen außerhalb von Rom ausgebaut. Der Dichter Ausonius verfasste dort um 365 seine „Mosella“, worin er die Mosellandschaft als eine voll entwickelte Weinregion beschrieb: „Denn bis zum Kamm des Hanges, der sich mit höchsten Erhebungen hinzieht, / wird der Rand des Flusses von grünem Lyaeus (Wein) bewachsen.“

Selbst wenn der Weinbau an Mosel und Rhein anschließend unter den Wirren der Völkerwanderung litt, riss die hiesige Tradition des Weins nicht mehr ab. Die neuen Herrscher, die Franken, waren Genussmenschen wie die Römer und trieben den Weinbau bald auch östliche des Rheins voran. In einer Würzburger Markbeschreibung wird um 780 bereits ein „Weingarten“ erwähnt.

Man sollte meinen, dass Deutschland von je her ein Weißweinland sei, eben weil es sich am nördlichen Rand des erweiterten Mittelmeergebiets befindet, in einer klimatischen Grenzzone, wo es nicht mehr ganz so warm ist, was dem Weißwein besser bekommt als dem Rotwein. Dem war aber nicht immer so. Anfänglich wurden mehr oder minder wahllos weiße und rote Reben angepflanzt, vorzugsweise im gemischten Satze, jeweils für die eine oder andere Variante.

Erst ab dem 15. Jahrhundert wuchs das Gespür für besonders feine Reben, denn sie wurden damals schon gelegentlich sortenrein in Weingärten angebaut: nämlich der Riesling bei den Weißweinen und der Spätburgunder bei den Rotweinen. Beide Sorten sind sich darin ähnlich, dass sie auf ihre je eigene Weise verhältnismäßig viel Säure, Frische, Lebendigkeit haben: quasi die Markenzeichen des deutschen Weins, sofern die Winzer diese Stärken zu betonen verstehen. Hinzu kommt durch die relative lange Wachstumsperiode dieser Sorten eine feine Duftigkeit und Frucht.

Diese frische, fruchtige Art: das ist der Grundzug des deutschen Weins, insbesondere des Weißweins, zumal des Rieslings, regelrecht tänzerisch, elegant, ergänzt durch die anderen edle Weißweinreben, deren große Tradition hierzulande teilweise unbekannt ist: Traminer oder Gewürztraminer und Gelber Muskateller, ferner Silvaner, Weiß- und Grauburgunder, schließlich Gutedel.

Die Schrittmacher des heimischen Weinbaus, die kurfürstlichen Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz, die Äbte der Zisterzienserklöster und die Prälaten der Stifte, drängt ab dem 17. Jahrhundert ihre Pächter dazu, auf den Weißwein zu setzen, an der Mosel und im Rheingau vorzüglich auf den Riesling, woanders kamen auch die anderen feinen Weißweinreben zum Zug. Gerade mit sortenreinem Weißwein bester Rebensorten, so gab man sich überzeugt, konnte man der Konkurrenz aus Frankreich und Italien Paroli bieten: leicht, frisch, verspielt, aromatisch, einzigartig.

Wenn heutzutage die Köche versuchen, dem Essen eine gewisse Leichtigkeit zu geben, bemüht, die Fettaromen durch Gewürze zu ersetzen, verbunden mit der Tendenz, die Portionen zu verkleinern, Menüs in Tapas-Form anzubieten – dann macht der klassische deutsche Weißwein ein hervorragende Figur dazu: vor allem die Einstiegsweine, wie der traditionelle Kabinett, der nicht ganz durchgegoren ist und eine gewisse natürliche Süße hat, oft nur mit 10 Volumenprozent Alkohol, der nicht gleich in den Kopf steigt. Wenn ein solcher Weine über die perfekte Balance zwischen Süße und Säure verfügt, kann er viele Speisen begleiten: Salat, Gemüse, Pasta, Süßwasserfische. Diese frische, fruchtige Süße harmoniert zudem bestens mit der neuen Vorliebe für asiatische Würzmittel. Gerade Riesling, Gewürztraminer und Muskateller sind Aromarebsorten, wie sich mit würzigen Gerichten prima vertragen. Auch der trockene weiße Guts- und Einstiegswein mit 11,5 bis 12,5 Volumenprozent Alkohol wirkt zeitgemäß schlank und ist ideal für die leichte, vorwiegend pflanzliche Küche.

Dagegen lässt sich der Hype um die trockenen Großen Gewächse des heimischen Weißweins mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten. Lachend, weil die deutschen Spitzenwinzer beweisen, dass sie ungemein füllige und würzige Weine herstellen können, mit 13 bis 14 Volumenprozent Alkohol, wuchtige Tropfen, die sich mit berühmten Burgundern messen können und nahezu dieselben Preise erzielen. Weinend, weil die Einzigartigkeit des deutschen Weißweins, diese leichte, frische, verspielte, aromatische Art, überhaupt das Sortentypische und das Terroir, die Bodenwürze, verlorenzugehen drohen – unter zu viel Alkohol  und cremiger Süße der Glyzerins.

ERWIN SEITZ

Verkostungen

zuerst erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ)

Vergleiche dazu auch:

Weinkultur, September 2015

Streifzug zum Spätburgunder

Deutschlands große rote Rebsorte zeigt viele Facetten. Mehr