Interview mit Heinz Reitbauer

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November 2017

Stockschwämmchenbrühe mit Rehherz

Interview mit Heinz Reitbauer, Küchenchef und Patron des „Steirerecks“ in Wien. Der Sternekoch bevorzugt Zutaten aus Österreich. Gäste lieben sein Lokal, das als eines der besten der Welt gilt

Herr Reitbauer, ihr „Restaurant „Steirereck“ in Wien steht aktuell auf der Liste der „World´s 50 Best Restaurants“ auf Platz 10, besser als jedes andere Restaurant im deutschsprachigen Raum. Es fällt auf, dass die Produkte ihrer Kompositionen kaum noch an die klassische französische Hochküche erinnern. Statt Steinbutt gibt es Karpfen oder Schleie; statt Périgord-Trüffel kommen Reizker auf den Teller. Nehmen Sie eine bewusste Gegenposition ein?

Das würde ich nicht so sagen. Immerhin habe ich einen Teil meiner Lehr- und Wanderjahre in Frankreich verbracht, unter anderem bei Alain Chapel in Mionnay. Dessen Respekt gegenüber den Zutaten hat mich fasziniert. Ich schreibe heute gelegentlich bewusst auch Steinbutt auf die Karte, um nicht in eine dogmatische Ecke gestellt zu werden. Aber wir haben natürlich die Produktpalette erheblich erweitert, insbesondere um heimische, österreichische Waren. Mittlerweile kommen viele ausländische Gäste zu uns, weil sie etwas essen möchte, was es nur hier gibt.

Heinz Reitbauer bei der Chef-Sache in Köln
© CHEF-SACHE

Je künstlicher der menschliche Alltag durch Technik, Elektronik und Digitalisierung wird, desto mehr sehnen sich Köche wie Gäste nach unverfälschter Natur auf den Tellern, nach Dingen, die von der modernen Welt vergessen werden. Man hat den Eindruck, dass Sie viele solche Sachen aufstöbern. Folgen Sie einer Mode oder steckt mehr dahinter?

Ich bin zwar in der Stadt, in Wien, geboren und aufgewachsen, habe aber später mehrere Jahre auf dem Land gelebt und gearbeitet. Von 1996 bis 2005 war ich Küchenchef in unserem anderen Haus, im „Steirereck am Pogusch“ in Turnau in der Steiermark, wo wir auch einen Bauernhof haben mit Schafen, einigen Ziegen, Schweinen und Geflügel. Wenn ich nicht Koch geworden wäre, wäre ich heute Bauer. Die Nähe zum Land und zu den Produkten lag mir immer am Herzen.

Als dann mein Vater und ich 2005 die Lokale tauschten, er nach Turnau kam und ich nach Wien ging, brachte ich die Idee einer regional-österreichischen Küche mit in die Hauptstadt. Das „Steiereck“ in Wien sollte ein feines Restaurant bleiben, aber vorwiegend mit heimischen Produktvielfalt. Die Köche, die ich vom Vater übernahm, waren skeptisch: Wie soll das gehen, Hochküche ohne Seezunge und Hummer? Es lief anfangs tatsächlich auch manches schief, weil ich zu viel auf einmal wollte.

Ich sagte den Köchen: Wir müssen zuerst selbst von unseren besonderen Produkten und unsere Arbeitsweise überzeugt sein, dann springt der Funke auch auf die Gäste über. Wir machten Ausflüge zu unseren Herstellern und lernten die Erzeugnisse besser kennen, was uns auf neue Ideen brachte. Wir wurden mit heimischen Zutaten vertraut und entdeckten immer wieder neue.

Heute haben wir täglich etwa acht verschiedene heimische Süßwasserfische auf der Karte, was früher in einen Gourmetrestaurant unvorstellbar gewesen wäre, darunter seltene Varianten wie den Perlfisch, eine Karpfenart. Wir greifen sowohl auf erstklassige Zuchtware als auch auf wilde Fänge aus alpinen Seen zurück. Mittlerweile erkennen selbst die Behörden, dass es möglich sein muss, in geeigneten Lagen neue Fischteiche mit frischem, kühlem Wasser anzulegen. Für den, der so etwas vorhatte, war das vor einigen Jahren noch eine bürokratische Tortur. Wir Köche und die Gäste sowie die Verbraucher insgesamt entscheiden darüber, ob wir hierzulande eine Artenvielfalt in freier Natur und Landwirtschaft haben oder nicht, dementsprechend entwickelt sich die Küche.

Mittlerweile stehen in der Herbstsaison auch viele heimische Pilze auf der Karte. Das scheint eines ihrer neuen Themen zu sein.

Ich mache mit meiner Familie und mit Freunden jeden Sommer Urlaub auf einer Alm in Kärnten, wo es ringsum auch viel Wald gibt. Irgendwann hat es mich geärgert, dass ich bei den Waldwanderungen bestenfalls ein halbes Dutzend Pilze sicher erkennen konnte, obwohl zu sehen war, dass es noch viel mehr Pilze gibt. Das ist doch eigentlich mein Thema, dachte ich mir, Natur- und Waldgeschmack in die Küche und auf den Teller zu bringen. Also fing ich an, Bücher über Pilze zu lesen und Verbindungen zu Leuten zu knüpfen, die Erfahrung im Umgang mit Pilzen hatten.

Mittlerweile greifen wir auf in diesem Fall sowohl auf erstklassige Zuchtware als auch auf Pilze aus dem Wald zurück. Wir versuchen immer, den Anteil der Ware aus der freien Natur zu vermehren, weil sie in der Regel noch geschmacksintensiver ist. Zubereitungstechniken, die wir schon beim Gemüse erprobt haben, wenden wir auch auf die Pilze an: ob frisch gebraten oder gedünstet, ob eingelegt und fermentiert oder ob getrocknet und gemahlen. Zugleich lernt man, dass man nicht jeden Pilz gleich behandeln kann. Da funktioniert nicht alles, was man sich ausdenkt. Man muss sich in der Thema einarbeiten. Wir sind nun schon zwei Jahre dran.

Welche Pilzarten haben Sie für sich neu entdeckt?

Stockschwämmchen zum Beispiel. Wir haben jemand gefunden, der sie im Freien züchtet; ein guter Kompromiss zwischen der Ware aus der Halle und jener aus dem Wald. Auch darum geht es, dass sich die Zuchtware verbessert und der Erzeuger nach besseren Bedingungen Ausschau hält. Stockschwämmchen sind für das ungeübte Auge leicht mit weniger bekömmlichen oder giftigen Pilzen zu verwechseln, deshalb sollten sie aus der Zucht kommen. Doch auch das gezüchtete Stockschwämmchen, so wie wir es erhalten, ist ein ausgezeichneter Pilz mit tiefem Umami-Geschmack in fermentierter Form – oder ein wunderbarer Würz-Pilz, getrocknet und gemahlen. Wir würzen etwa den Reh-Fond damit und servieren die Brühe zum Reh-Herz.

Das Gespräch führte Erwin Seitz

Erschienen in der Allgemeinen Hotel- und Gastronomie-Zeitung (AHGZ)