Janine Woltaire im Horváth

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September 2019

Lebensart und Menschenfreundlichkeit

Janine Woltaire ist Restaurantchefin und Sommelière im Restaurant „Horváth“ in Berlin-Kreuzberg und stellt eine reizvolle Harmonie her zwischen Küche, Keller und Service

Anfänglich deutete nichts darauf hin, dass sie einmal in der Gastronomie ihre Berufung finden würde. Bemerkenswerterweise kam sie aber schon früh damit in Berührung. Schon als Gymnasiastin in Hamburg kellnerte Janine Woltaire und lernte das Milieu der Gastronomie ein wenig kennen, darunter auch ein größeres Catering-Unternehmen. Es war vorläufig nicht das Metier, in dem sie bleiben wollte. Heikle Arbeitszeiten, mäßige Bezahlung, unpersönliche Arbeitsverhältnisse wirkten wenig verlocken. Nach dem Abitur reiste sie erst einmal einige Monate um die Welt, von Indien bis in die USA. Schließlich zog sie nach Berlin, wo sie Politikwissenschaft studierte.

Auch als Studentin jobbt sie wieder in der Gastronomie, dieses Mal aber in einem familiären Betrieb, im „Lava“ in Berlin-Neukölln, seinerzeit ein Zweitrestaurant der „Lavanderia Vecchia“, betrieben von Renate und Andreas Hoffmann. Die Art von Gastronomie, die sie hier kennenlernte, sprach sie schon mehr an: ein gepflegtes Gasthaus mit italienischem Einschlag, mit inspirierenden Chefs und Gästen, die sich an einer Küche mit frischen Zutaten, Handwerk und guten Weinen erfreuten.

Janine Woltaire
© White Kitchen

Überstunden zu machen und viel zu arbeiten, erklärt Frau Woltaire, sei für sie nie das Problem gewesen. „Aber das, was man tut, soll ansprechend und erfüllend sein“, fügt sie hinzu. Die Mühe in der Gastronomie werde wettgemacht, sobald man Leidenschaft erlebe, das Gasthaus als Bühne, als eine Welt der Menschen, Charaktere, Genüsse, der guten Produkte, der feinen Speisen und Weine. Essen, Trinken, Zusammensitzen als Form von Lebensart und Menschlichkeit.

Nicht zuletzt das reiche Spektrum, dass der Wein bietet, fesselte sie. Immer noch Studentin, wollte sie den nächsten Schritt machen und bewarb sich als Kellnerin in der „Weinbar Rutz“ in Berlin-Mitte, in einer Weinbar, die zu den legendären Adressen für Weinliebhaber zählt, mit über 700 Positionen auf der Karte. Dort wollte man sich allerdings nicht auf eine ungelernte Kraft einlassen.

Also heuerte sie in der Weinhandlung „Not only riesling“ an, wo sie von ihre Kollegin Katharina Ràček in die Sprache des Weins eingeführt wurde. Man spezialisiert sich dort darauf, talentierte junge Winzer und Winzerinnen zu entdecken. Deshalb ging es darum, selbst feine Weine zu erkennen, über die noch wenig publiziert wurde. Die „Weinbar Rutz“ ging Frau Woltaire aber nicht auf dem Kopf. Ein Jahr später klopfte sie noch einmal an der Tür der Bar an – und erhielt nun Einlass als angehende Weinkennerin mit Berufspraxis und stieg hier bald zur Chefin hinter dem Tresen auf.

Sie entschied sich nun, endgültig das Studium der Politikwissenschaft an den Nagel zu hängen und stattdessen parallel zur Arbeit in der Weinbar die Deutsche Wein- und Sommerlierschule in Berlin zu besuchen und als staatlich geprüfte Sommelière zu verlassen. Als anerkannte Fachkraft wurde sie dann gleich Chef-Sommelière im Hotel „Das Stue“ in Berlin-Tiergarten, dort auch zuständig für das Gourmetrestaurant „Cinco by Paco Pérez“, ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern.

Es ging fast traumwandlerisch für sie weiter. Seit Februar 2019 ist Frau Woltaire sowohl Restaurantchefin als auch Chef-Sommelière im „Horvath“ in Berlin-Kreuzberg, in einem der führenden Lokale in der deutschen Hauptstadt, bekrönt mit zwei Michelin-Sternen. Passion, Umwege, Beharrlichkeit halfen ihr bei diesem Aufstieg, ebenso ihr natürliches und freundliches Wesen sowie ihre sprachfähige und weltläufige Art sowie ihr Fachwissen.

Sie trägt jetzt ihren Teil dazu bei, dass das „Horvath“ ein besonderer, singulärer Ort ist. Da sie sowohl Restaurantchefin als auch Sommelière ist, hat sie einen Getränkewagen eingeführt, der quasi Bewegung ins Spiel bringt, bestückt mit einige Aperitifs, die den Abend einleiten. Spiegelbildlich zum Stil der Küche, die in Anlehnung an die einstige k. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn eine moderne mitteleuropäische Kochkunst kultiviert, offeriert Frau Woltaire alkoholische Getränke aus Deutschland, Österreich, Ungaren und anderen mitteleuropäischen Ländern. Der Gast kann sich allerdings auch für eine feine alkoholfreie Essensbegleitung entscheiden, die in der Küche hergestellt wird, basierend auf entsaftetem Gemüse und Obst, wärmebehandelt und teils mit Öl verlängert.

Die Küche von Sebastian Frank und der Service von Janine Woltaire spielen vorzüglich zusammen – kein Chichi, kein Getue, weder auf dem Teller noch im Lokal. „Wir arbeiten hier sehr ebenerdig“, sagt die Restaurantchefin. Sie sorgt dafür, dass flache Hierarchien im Service vorherrschen, wenn nicht freundschaftliche Verhältnisse, die etwas Sympathisches vermitteln. Die Kellerinnen drängen sich gegenüber den Gästen nicht auf. Wenn sich diese soeben vergnügen, werden sie nicht gestört; niemand grätscht in Tischgespräche hinein mit abgegriffenen Fragen wie: Ist alles recht so bei Ihnen?

Der Service im „Horváth“ hat etwas unaufdringlich Fließendes an sich und ist stets zur Stelle, wenn der Gast es wünscht. Frau Woltaire bleibt dann gern eine Weile am Tisch stehen, erklärt das eine oder andere, spricht eine Empfehlung aus oder trägt etwas zur Unterhaltung bei. Sie gibt dem Gast das Gefühl, wertgeschätzt zu sein und umsorgt zu werden, in dem Maße, wie es ihm gefällt.

Erwin Seitz

Restaurant „Horváth“, Paul-Linke-Ufer 44a, Berlin-Kreuzberg

www.restaurant-horvath.de

Siehe auch den Artikel:

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Sebastian Frank schlägt im Restaurant „Horváth“ in Berlin-Kreuzberg neue Wege in der Kochkunst ein und legt dazu nun auch ein Kochbuch vor. Mehr